Dossier
Von Gerüchen und Strukturen
Künstliche Nasen, Geruchsexplosionen und Chanel No 5: Ein Rundgang durch die Welt der Gerüche mit Chemikerin Katharina Fromm.
Es riecht nach – ja wonach genau riecht es, im Chemiegebäude der Universität Freiburg? Hätte man «die Nase», dann könnte man den Text nun mit konkreten und nachvollziehbaren Duftnoten beginnen. So aber muss es im Ungefähren bleiben: es riecht irgendwie chemisch, es riecht aber auch nach Unigebäude, ein wenig muffig, ein wenig künstlich. Riecht es unangenehm? Eigentlich nicht. Und so ist man dann auch gleich mittendrin im Gespräch mit der Chemikerin Katharina Fromm: Ist das nicht das simpelste Klischee ihres Fachs, fast schon eine Definition? «Chemie, das ist, wenn es stinkt?» Da widerspricht Fromm natürlich: «Es gibt ja in der Chemie auch viele Dinge, die gut riechen. Viele Ester etwa, also Produkte einer Kondensationsreaktion zwischen einem Alkohol und einer Sauerstoffsäure. Gewisse Verbindungen riechen hingegen nach gar nichts.» Aber doch, im Prinzip gibt sie einem recht: Den Zugang zur Chemie via Nase findet sie einen überaus naheliegenden.
Lange, noch bis in die Vorkriegszeit, habe das ja auch zum üblichen Analytikarsenal des Chemikers gehört, der mit dem eigenen Sensorium vorgenommene Geschmacks- und Geruchstest. Beryllium etwa nannte man lange auch Glucinium, weil es einen angenehm süsslichen Geschmack hat. Was den Stoff, nur nebenbei, natürlich nicht gesundheitsverträglicher macht.
Die Chemie im Parfum
Fromm selber hat eine kleine persönliche Obsession mit Wohlgerüchen. Sie hat Freunde in der Parfumbranche und sagt, dass manch ein weltbekannter Parfumeur vorher Chemiker gewesen sei. Was durchaus Vorteile hätte bei der Komposition von Gerüchen. Wenn man nur seiner Nase folge, dann müsse man sehr viel ausprobieren, ein grosses «Trial and Error». Das spezifische chemische Wissen hinter den Düften könne helfen, gewisse Effekte beim Mischen vorauszusehen. Fromm erwähnt das Beispiel physikalisch-chemischer Wechselwirkungen zwischen Molekülen, was zunächst einmal langweilig klingt, aber Grund für «Geruchsexplosionen» sein könne. Das passiere, wenn ein Duftmolekül allein zum Beispiel eher wenig volatil sei, durch den Zusatz eines passenden anderen Moleküls, womöglich «nur ein winziges Tröpfchen», aber «befreit» würde und so auf einmal buchstäblich in die Luft geht. Dem chemisch geschulten Parfumeur falle diesbezüglich bereits in der Molekülstruktur womöglich die Doppelbindung zum Sauerstoff auf, was für eine starke Polarisierung sorgt. Andere Zusatzstoffe sorgen bisweilen dafür, dass ein Parfum langlebiger ist auf der Haut, dass es seine Wirkung also länger tut.
Der Zapfentest
Es scheint bei Düften ja überhaupt viel um Wechselwirkung zu gehen. Physiologisch gesehen ist ein Duftsignal eine Wechselwirkung des entsprechenden Moleküls mit den passenden Rezeptoren in der Nase. Die Verbindung ins Hirn wiederum ist dann eine sehr direkte, «nur zwei bis drei Zellen lang» sei diese Nervenbahn – unsere Nase wurzelt gewissermassen direkt im Hirn. Es wäre nun faszinierend, wenn man Mischungen von «passgenauen» Molekülen vorhersagen könnte, um Geruchseffekte zu erzielen, meint Fromm. Künstliche Nasen gibt es zwar schon, aber sie erreichen noch nicht die Komplexität des Riechorgans. Immerhin habe ihre Gruppe unlängst eine Annäherung geschafft: Mithilfe einer mikroskopisch kleinen Wabenstruktur, einer Art simplifizierten Version der Rezeptorenvertiefungen in der Nase, konnten sie einen kleinen Detektor bauen, der den berühmten «Zapfen» beim Wein nachweist. Wir Vinologie-Laien werden ewig dankbar sein, wenn unser Smartphone dereinst so einen Test durchführen kann, die Forschung hat aber durchaus einen ernsteren Hintergrund – Fromm hofft, dass ähnlich gebaute «künstliche Nasen» zum Beispiel dereinst auch in der Lage sein könnten, rasch und zuverlässig Explosionsstoffe und andere gefährliche Substanzen nachzuweisen.
Die Krux mit der Chiralität
Besonders spannend findet Fromm die sogenannte Chiralität, wiederum eine Eigenschaft, die viel mit der räumlichen Struktur eines Moleküls zu tun hat. Gemeint sind damit Moleküle, die exakt dieselbe Strukturformel und Form haben, allerdings in spiegelverkehrter Anordnung. Für viele chemophysikalische Eigenschaften macht Links- oder Rechtsgedrehtheit keinen grossen Unterschied, aber im biologischen Kontext kommt es zuweilen zu dramatischen Differenzen. Bei Medikamenten zum Beispiel kann es vorkommen, dass die eine Form die gewünschte Wirkung hat, die andere aber starke Nebenwirkungen. Eben das ist bei Contergan passiert, das als gut verträgliches Schlafmittel vermarktet wurde. Für die Fehlbildungen bei Einnahme während der Schwangerschaft war man blind, weil man den Stoff in einer chiral reinen Form getestet hatte. Erst das spiegelbildliche Molekül, das dann im verkauften Medikament auch auftauchte, hat für die schrecklichen Nebenwirkungen gesorgt.
Aber auch bei den Gerüchen gibt es seltsame chirale Effekte. Fromm hat ein paar Fläschchen vorbereitet und schraubt nun die Plastikdeckel auf, in allen liegt ein Wattebausch. Sie fordert einen auf, an den bloss mit einer Nummer versehenen Fläschchen zu riechen. Daneben legt sie Zeichnungen verschiedener Pflanzen und Früchte, man soll versuchen, die aus den Fläschchen kommenden Düfte den Bildern zuzuordnen. Kein einfaches Spiel, vor allem bei Gerüchen, die sich chiral unterscheiden (also strukturell nah verwandt sind) lässt man sich leicht täuschen. Das Limonenfläschen riecht je nach Spiegelbildform entweder nach Zitrusfrucht oder Terpentin/Tanne. Noch ein anderes solches chirales Duftpaar ergibt sich bei Carvon: da wird Kümmel zu Mandarinenschale.
Noch etwas schwieriger wird es, als Katharina Fromm ihr Weinduft-Köfferchen hervorholt. Es beinhaltet eine Unzahl von kleinen Fläschchen, so etwas wie eine Klaviatur der Wein-Duftpalette. Man schätze, dass 200–300 Moleküle zum Weingeschmack und -duft beitrügen, in jeweils verschiedener Zusammenstellung. In dem Köfferchen sind die wichtigsten Elemente versammelt. Wenn man aufs Geratewohl ein Fläschchen herausgreift und daran riecht, dann kommt einem der Geruch zwar meist sehr bekannt vor, aber es ist verteufelt schwierig, ihn auch zu fassen, ihn zu benennen. Als wäre der Geruch eben unmittelbarer mit dem Hirn verdrahtet, mit Bypass am Sprachzentrum vorbei.
Gute Düfte, schlechte Düfte
Nichtsdestotrotz sind Gerüche stark kulturell geprägt, führt Fromm aus. In der Vormoderne müssten Strassen tierisch gestunken haben, wenigstens für unsere Massstäbe. Aber man kann natürlich die (philosophisch durchaus schwierige) Frage stellen, ob es denn wirklich «gestunken» hat, damals. Denn so wahrgenommen hat man es offenbar nicht. Die Moleküle waren dieselben, ihre Wirkung war eine andere. Macht ein fallender Baum im Wald ein Geräusch, wenn niemand in der Nähe ist? Stinkt etwas, wenn niemand da ist, der sich am Gestank stört?
Einer ihrer Parfumeur-Freunde sei diesbezüglich ohnehin radikaler Relativist. «Es gibt keinen Gestank», sage er gern, für ihn rieche alles irgendwie interessant. Und manchmal braucht es eine «Fehlnote», einen irritierenden Duft, damit eine Parfumkomposition wirklich Charakter entwickelt. Fromm findet es auch «etwas vom Unglaublichsten, wenn man plötzlich einen Geruch wahrnimmt, der einen in der Kindheit geprägt hat.» Bei ihr ist es zum Beispiel der Geruch nach chloriertem Wasser, der sie zurück in die USA bringt. Wenn man mit diesem Wasser Nudeln koche, dann überkomme sie sofort ein Gefühl von Nostalgie, und die Empfindung sei, ganz unabhängig vom eigentlichen Geruch, zwingend positiv behaftet. Insofern fühlte sie auch sehr mit den Covid-Kranken, die unter Geruchsverlust litten: wenn man plötzlich einer ganzen Wahrnehmungsebene beraubt ist, wenn Kaffee fürchterlich schmeckt, weil erst die Mischung aus Geschmack und Geruch den feinen Kaffee macht.
Ein Duft von Welt
Könnte man denn auch ganz neue Gerüche kreieren? Nie dagewesene, der Natur unbekannte Moleküle? Fromm findet es einen faszinierenden Gedanken, aber sie ist sich nicht sicher, ob das ginge, schliesslich kann man ja nur riechen, wofür wir einen Rezeptor in der Nase haben. Aber sie erinnert sich an eine andere Geschichte aus dem Feld der Gerüche, wo darum ging, dass die Chemiker «etwas Neues kochen» mussten. Es geht um das vielleicht berühmteste Parfum der Welt, Chanel No5. Als die EU vor einiger Zeit neue Regulierungen für chemische Stoffe einführte, durften einige der im Urrezept vermerkten Substanzen nicht mehr benutzt werden. Man suchte also spezifisch nach Molekülen, die ähnliche Wechselwirkungen zeigen, um verschiedene Noten in die möglichst perfekte Balance zu bringen. Ganz gleich ist die neue Mischung natürlich nicht mehr wie das Original, aber es ist ja auch ein tröstlicher Gedanke: dass Düfte notwendig mit der Zeit gehen.
Unsere Expertin Katharina Fromm ist Professorin für Anorganische Chemie und Vizerektorin für Forschung und Innovation. Ab Februar 2024 wird Katharina Fromm das Amt der Rektorin der Unifr antreten.
katharina.fromm@unifr.ch