Porträt

De Schmutz, nicht Dr. Schmutz

Er ist Sprachkünstler und als Mister Senslerdeutsch in Freiburg eine lokale Berühmtheit. Ihren Anfang nahm die Karriere von Christian Schmutz mit einem Mammutprojekt im Germanistikstudium.

Die Frage nach seinem Beruf beantwortet Christian Schmutz mit der Gegenfrage, wie viel Zeit man denn habe. Die Kurzversion: Journalist, Schriftsteller, Dialektologe, Bühnenkünstler. Schmutz ist zu 20 Prozent bei den Freiburger Nachrichten angestellt und von Radio SRF erhält er regelmässig als externer Mundartexperte Aufträge für Beiträge und Sendungen. Daneben reiht er seit vielen Jahren Projekt um Projekt aneinander. Er schreibt Romane und Theaterstücke, macht bei Poetry Slams mit oder tritt, von seiner Partnerin am Klavier begleitet, mit Wortspielereien auf. In Kulturlokalen, in Dorfbeizen, die ganze Palette.

«I bü' haut schü'sch a bitz a Fuula»

Ein rastloses Berufsleben, das viel Eigen­initiative erfordert. Die Energie dafür hat Schmutz dank seiner Faulheit in anderen Bereichen. «Viele Dinge, die anderen wichtig sind, sind mir egal. Für Fernsehen, Shopping oder Wohnungseinrichtung etwa wende ich keinerlei Energie auf.» Entsprechend setzt sein alter Röhrenfernseher in einer Ecke seiner einfachen Blockwohnung im Freiburger Schönbergquartier regelmässig Staub an.

Einmal im Jahr treibt es der 54-Jährige in Sachen Ablenkungslosigkeit auf die Spitze und verschwindet für einen Monat in den Bergen. «Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit alles hinter sich zu lassen. Die Talsohle zu erreichen, diesen Moment, in dem dir so langweilig ist, dass du denkst: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?» Bei ihm setze dieser Moment in der Regel nach vier bis sechs Tagen ein. «Und dann beginnt die Fantasie zu spielen.»

«Mengisch hetteni gäär a chli Lampefieber»

Es sind für Schmutz die kreativsten Phasen. Sein Output ist derart gross, dass er aktuell zwei Buchprojekte in der Schublade hat, für die er je bereits 30 Seiten geschrieben hat, jedoch nicht weiss, ob er voll dahintersteht und weitermacht. Ein unermüdlicher Geist in einem Körper, der nicht bloss wegen der stoischen Bassstimme viel Ruhe ausstrahlt. Und der Eindruck täuscht nicht, Adrenalin sei nicht so sein Ding, sagt Schmutz, manchmal wünschte er sich gar ein bisschen Lampenfieber, um bei seinen Bühnenauftritten automatisch voll bei der Sache zu sein.

In Zusammenhang mit Christian Schmutz fällt immer wieder mal der Begriff Berufssensler. Tatsächlich drehen sich die meisten seiner Projekte um Senslerdeutsch, diesen speziellen Dialekt, den die 45’000 Einwohner_innen des Freiburger Sensebezirks sprechen – und der für alle andern Deutschschweizer_innen nicht leicht zu verstehen ist. «Es ist eine Inselsprache, am ehesten vergleichbar mit Dialekten aus anderen Tälern, die lange wenig Kontakt mit anderen Sprachen hatten, etwa im Wallis oder im Berner Oberland.» Mit den Französischsprachigen auf der einen und den Reformierten auf der anderen Seite, blieben die katholisch geprägten Sensler_innen lange unter sich – und behielten so eine gewisse Purität in ihrer Sprache. «Viele Wörter, die heute als typisch Senslerdeutsch gelten, gab es bereits im Mittelhochdeutschen. Während sie bei uns als Archaismen erhalten geblieben sind, verschwanden sie aber an den meisten anderen Orten.» Als Beispiel nennt er das Wort Lylache, eine Abwandlung des Wortes Leinlaken, heute meist Leintuch genannt.

© STEMUTZ.COM

Christian Schmutz ist Ansprechperson Nummer eins, was den Sensler Dialekt angeht. Wer sonst hat drei Romane auf Senslerdeutsch geschrieben? «As git ging ùmmi Lüt, wo mier fraage, ob ii iines Mama chan as Gebùrtstaags-Chäärtli i jùschtùm Seislertütsch schryybe.»

Der Dialektologe ist in der Region derart bekannt, dass er seine Einzelfirma für Kommunikation und Kultur einfach «De Schmutz» nennen konnte. Nicht im adeligen Sinn, versteht sich. Obwohl er mittlerweile gar nicht mehr im Sensebezirk wohnt, identifiziert sich der gebürtige Tafersner voll mit der Region. «Die Sensler_innen liegen mir am Herzen. Sie sind unprätentiös, es gehört zur Sensler Art, nicht besonders stark für sich einzustehen, weil man sich nicht in den Vordergrund drängen will.» Wenn er mit seinen Projekten die Sensler_innen vereinen und ihnen eine Stimme geben könne, sei er deshalb glücklich.

«Schmùtz ù Tokter, das passt ifach nit zäme»

Sein Bewerbungsschreiben, um später Berufssensler zu werden, begann er bereits als Student der Universität Freiburg. Im dritten Semester des Germanistikstudiums fragte ihn sein damaliger Professor Walter Haas, ob er interessiert sei, ein Senslerdeutsches Wörterbuch zu erstellen. Schmutz sagte sofort zu. Als Unterassistent, bei seiner Liz-Arbeit, als vom Nationalfonds finanzierter Assistent und am Ende noch mit privaten Sponsoren arbeitete er ein über 700 Seiten dickes Monsterwerk heraus, das 2000 veröffentlicht wurde – acht Jahre, nachdem Schmutz damit begonnen hatte. Es ist ein Standardwerk, das in kaum einem Haushalt Deutschfreiburgs fehlt. Als Ende 2022 eine erweiterte vierte Auflage gedruckt wurde, war sie innerhalb von fünf Wochen vergriffen, sofort wurde eine fünfte Auflage hinterhergedruckt.

Mit diesem Wörterbuch, das auch die Etymologie miteinbezieht, hat sich Schmutz in der Region früh verewigt. Für einen Doktortitel hat es aber nicht gereicht. Ein typischer Sensler eben: Das Handwerk wichtiger als der Titel. De Schmutz, nicht Dr. Schmutz.

Christian Schmutz wurde 1970 in Tafers geboren. Mit dem Lizentiat der Universität Freiburg in der Tasche arbeitet er als Journalist, Schriftsteller, Dialektologe und Bühnenkünstler. Die Arbeit am Wörterbuch hat ihn mit Senslerdeutsch ge-impft: Er reisst Projekte rund um die Sensler Sprache, Kultur und Bevölkerung sowie zur Sprachgrenze an.

www.christianschmutz.ch