Dossier

Nollywood in Ostafrika

Inspiriert von Nollywood und von dessen Problemen heimgesucht: Ostafrikas lokale Filmproduktionen zu Zeiten von Netflix und StarTimes.

Als ich im August 2004 das erste Mal in Kenias Hauptstadt Nairobi war, fiel mir schnell auf, dass nigerianische Videofilme vielerorts verkauft wurden und sehr beliebt waren. Sie wurden in der Regel als digitale Raubkopien auf Video Compact Discs (VCDs) angeboten, da dieses Format einfach und kostengünstig zu kopieren war. Diese VCDs hatten die VHS-Videokassetten abgelöst, auf denen die mit Digitalkameras gedrehten und digital geschnittenen Videofilme früher verkauft worden waren. Die digitale Produktionstechnik wiederum verbilligte und vereinfachte die Produktion von Videofilmen und hat den Boom von Nollywood überhaupt ermöglicht.

Erhältlich waren in Nairobi auch Filme aus Hollywood und dem indischen Bollywood, die bereits seit den 1930er-Jahren auf deutlich grössere Beliebtheit stiessen als die rassistisch-moralinsauren Erziehungsfilme, mit denen die Kolonialverwaltung und Missionare die afrikanische Bevölkerung dannzumal unterhalten wollte. Was Hollywood betrifft, so stiessen zu Beginn insbesondere Westernfilme auf grosse Beliebtheit. Das Interesse hat sich später verbreitert und deckt eine grosse Bandbreite von Genres ab. In den 1970er-Jahren kamen dann auch noch Actionfilme aus Hong Kong auf.

Diese Mischung von Nollywood, Hollywood, Bollywood und Actionfilmen aus Hong Kong fand ich später in städtischen Zentren quer durch Ostafrika, beispielsweise in Dar es Salaam (Tansania), Kampala (Uganda), Kigali und Huye (Ruanda), Bujumbura (Burundi), Lubumbashi (DR Kongo), Moroni (Komoren) sowie mit deutlich kleinerem Angebot in Juba (Südsudan) oder Pemba (Mosambik).

Filme erzählt und erklärt

Bei weiteren Aufenthalten in Nairobi in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre wurden mir dann Filme dieser und auch anderer Herkunft gezeigt, die mündlich in Lokalsprachen übersetzt wurden. Diese Form der Remediation fand man zuerst in den Videohallen, einer Art Bretterbuden, in denen Videofilme gezeigt werden. Um das auf Holzbrettern oder Plastikstühlen sitzende Publikum noch besser zu unterhalten, begannen die Betreibenden, jemanden dafür zu bezahlen, diese Filme live zu übersetzen und zu kommentieren. In Kenia wird für diese Person der etwas missverständliche Begriff DJ gebraucht. Diese DJs begannen dann, sich aufzunehmen und diese Tonspur zusammen mit den gezeigten Videofilmen zu verkaufen. Ausgewählt wurden dabei Blockbuster ebenso wie wenig bekannte Filme und auch Filme, deren Originalsprache nicht beherrscht wird.

Auch die Praxis der Remediation hat sich in Ostafrika ungleich verbreitet. In einigen Städten (Bujumbura, Lubum­­bashi, Pemba, Juba) fand ich keine auf VCD erhältlichen lokalen Filmübersetzungen in diesem Stil. In anderen gab es vereinzelte Versuche, so etwa in Huye und in Moroni. Viel stärker verbreitet waren lokale Filmübersetzungen in Dar es Salaam (unter Namen wie filamu zimezotafsiriwa, DJ version oder Swahili version) und Kampala (VJ movies).

Little Nollywood

Der Erfolg von Nollywood war eine wichtige Inspirationsquelle für den Aufbau einer lokalen Videofilmindustrie in Nairobi. Zudem gab es mit gefilmten Auftritten von Stand-up-Comedians und Theatergruppen bereits seit den späten 1990er-Jahren lokale Vorläufer einer Videofilmproduktion. Daraus entstanden dann kenianische Videofilme mit Komödien und Dramen in verschiedenen lokalen Sprachen, die ich beim ersten und zunehmend auch bei weiteren Besuchen in Nairobi antraf. Diese Produktionen werden als Riverwood bezeichnet, was sich auf die River Road im Geschäftszentrum von Nairobi bezieht. Hier konzentrierten sich damals Verkaufsstände mit audiovisuellen Produkten und verschiedene Produktionsbüros.

Die kenianische Videofilmindustrie war deutlich kleiner als jene in Nigeria, greift aber deren Grundidee des Geschäftsmodells auf: Mit kleinem Budget werden Filme produziert, die häufig auf einem wenig detaillierten Drehbuch basieren und innerhalb weniger Tage mit begrenzten technischen Mitteln (Anzahl der Kameras, Tontechnik) gedreht werden. Sie werden schnell geschnitten, vervielfältigt und in möglichst grosser Zahl verkauft, um die Kosten zu decken und einen kleinen Gewinn zu erzielen, bevor Raubkopien auf den Markt kommen. Es bilden sich Genres und mehrteilige Filme heraus, was hilft, die Produktionskosten zu senken und als Möglichkeit gesehen wird, das Publikumsinteresse zu steigern. Das Starsystem um bekannte Schauspieler_innen ist in Kenia allerdings viel weniger ausgeprägt als in Nigeria, wo zudem erfolgreiche Geschichten häufig mehrmals in Videofilmen erzählt werden.

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Wie gewonnen, so zerronnen

Ähnliche lokale Videofilmindustrien entwickelten sich auch in Uganda (Ugawood) und noch viel ausgeprägter in Tansania (Bongowood). Es gab auch in Kigali, Bujumbura und Moroni vereinzelte lokal hergestellte Videofilme, aber so wenige, dass nicht von einer lokalen Videofilmindustrie basierend auf dem Geschäftsmodell von Nollywood gesprochen werden kann. Ähnliches gilt auch für Lubumbashi, wobei hier eine grössere Tradition von gefilmten Theatervorstellungen anzutreffen war. Sehr explizit an Nollywood orientiert hat sich die Produktion des einzigen südsudanesischen Videofilms, den ich in Juba gefunden habe. Aber auch hier entstand keine nennenswerte Videofilmindustrie, ebenso wenig in Pemba.

Vor allem in Nairobi, Dar es Salaam und Kampala führte die aufkommende lokale Videofilmproduktion in den späten 2000er-Jahren zu einem Rückgang der Popularität von Nollywood auf diesen Märkten. Allerdings gehört zum übernommenen Geschäftsmodell auch die Bedrohung durch Raubkopien und genau das hat dazu geführt, dass es nach einem Boom von einigen Jahren in Riverwood, Ugawood und Bongowood ebenfalls zunehmend schwierig wurde, neue Filme zu finanzieren.

Kurze Hoffnung

In der zweiten Hälfte der 2010er-Jahren haben die Produzent_innen in Kenia zwei Strategien verfolgt, um dennoch Filme finanzieren zu können. Die eine Strategie setzt auf aufwändigere Produktionen, die dann nach einem Premierenevent in teuren Multiplex-Kinos gezeigt werden. Es handelt sich dabei um eigenständige Filme mit internationaler Standardlänge. Dieses Modell ist riskant und nur wenige Filme erspielen einen Gewinn. Ein möglicher Kanal für die Weiterverbreitung dieser Produktionen und damit die Generierung zusätzlicher Einnahmen sind internetbasierte Download- oder Streamingdienste sowie digitale Fernsehplattformen. Diese Dienste und Plattformen begannen nicht nur verschiedene afrikanische Inhalte zu verbreiten, sondern zunehmend auch selbst zu produzieren. Solche Produktionsaufträge zu bekommen ist die zweite Strategie für kenianische Produzent_innen.

Neue globale Player

Diese Download- und Streamingdienste waren zu Beginn teilweise in afrikanischem Besitz (z.B. iROKOtv), teilweise im Besitz von europäisch dominierten transnationalen Unternehmen (z.B. Canal+ bei Nollywood.tv oder Multichoice bei showmax). Die afrikanischen Dienste wurden allerdings zunehmend verdrängt, nicht zuletzt durch neue Dienste wie Netflix oder Amazon Prime. Auch die Fernsehplattformen sind teilweise in afrikanischem Besitz (z.B. Zuku), teilweise aber auch nicht (z.B. DStv). 2024 kam es zu einem drastischen Konzentrationsprozess durch den Aufkauf von Multichoice – zu dem auch DStv gehört – durch Canal+, das wiederum dem französischen Konzern Vivendi gehört.

Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, dies einfach als Beispiel eines kapitalistischen Kulturimperialismus zu interpretieren. Über die chinesische Plattform StarTimes verbreiten verschiedene chinesische Sender ebenfalls afrikanische Inhalte und in afrikanische Sprachen übersetzte chinesische Dramen. Es ist aber der ebenfalls gezeigte europäische Klubfussball, der das Publikum am stärksten anzieht und das Hauptinteresse dieser Plattform überdeckt: Soft Power und die Verbreitung von genehmen Nachrichteninhalten. Weitere Forschung wird zeigen, ob dieses multipolare System Bestand hat. StarTimes ist jedenfalls im Stadtzentrum von Nairobi gut sichtbar, unweit der River Road. Auch wenn dort inzwischen wenig daran erinnert, weshalb es zum Begriff Riverwood gekommen ist, zeugt die Strasse doch davon, dass es auch immer wieder lokale Prozesse gibt, die den Videofilmmärkten mehr Heterogenität verleihen.

Unser Experte Daniel Künzler ist Lektor am Departement Sozialarbeit, Sozialpolitik und Globale Entwicklung. Er forscht zu sozialpolitischen und populärkulturellen Themen in Zentral- und Ostafrika. Im Frühjahrssemester 2025 unterrichtet er einen MA-Kurs zu «Digitalization and the Global South».
daniel.kuenzler@unifr.ch