Interview

«Trump ist nicht berechenbar»

Die internationale Konsternation ob Donald Trumps Wahlsieg war gross. Und die Bilanz nach den traditionellen 100 Tagen im Amt hat gezeigt: Sie war es zurecht. Stellt sich die Frage: Wie ist es möglich, dass der Milliardär noch immer eine solch treue Anhängerschaft hinter sich hat? Ein Gespräch mit Thomas Austenfeld, Professor für amerikanische Literatur und Manuel Puppis, Professor für Kommunikationswissenschaften.

Auf Präsident Donald Trump ist Verlass. Nur Stunden vor unserem Interview hat er völlig überraschend den FBI-Chef James Comey gefeuert.

Manuel Puppis: Das ist typisch für Trump. Er ist nicht berechenbar. Er handelt nicht staatsmännisch oder rational.

Thomas Austenfeld: Er regiert wie ein Reality-TV-Star; es geht immer um ihn. Und er ist permanent präsent. Zwar nicht mit Politik, dafür mit der neuesten Ungeheuerlichkeit.

 

Bei den vielen Skandalen fragt man sich: Ist das echt? Oder inszeniert er bewusst kleinere Skandale, um von schlimmeren Machenschaften abzulenken?

Manuel Puppis: Das traue ich ihm nicht zu. Trump ist eine «loose gun», er ist weder kontrollier- noch vorhersehbar. Das mag für ihn persönlich gut funktionieren, aber es torpediert seine Politik. Es ist nicht förderlich, um Projekte durchzukriegen.

Thomas Austenfeld: Absolut. Das zeigte sich etwa bei der Gesundheitsreform. Die Republikaner waren enorm nervös, weil nie klar war, was er als nächstes sagt. Ein Präsident kann mit unbedachten Worten jederzeit ein Projekt zum Entgleisen bringen. Und Trump schiesst sich ja mit solchen Aktionen permanent selber ins Knie. Ist das authentisch? Absolut! Trump handelt nicht macchiavellistisch, sondern aus dem Bauchgefühl heraus. Manuel Puppis: Das wirft auch die Frage auf: Wer macht überhaupt die Politik im Weissen Haus? Und was ist überhaupt die Politik? Thomas Austenfeld: Richtig: Wie funktioniert die Meinungsbildung im Weissen Haus? Wer trifft die Entscheide? Welche Projekte will man vorantreiben? Mit welchen Koalitionspartnern? Das ist derzeit völlig unklar.

 

Gehen wir einen Schritt zurück, zu den Wahlen im November 2016. Warum wurde der Mann gewählt?

Thomas Austenfeld: Sicher ist, dass Hillary Clinton eine schwache Kampagne geführt hat. Und es gab eine gewisse Müdigkeit, was die Demokraten anging. Viele Leute wollten einfach etwas anderes und sagten sich: Probieren wir’s aus! Die Amerikaner sind ja allgemein risikobereiter als wir. Seis im Finanzwesen, im Konsumverhalten und auch im Sozialen. Politik ist in dem Sinn ein Teil des Konsums: Wenn das eine nicht mehr schmeckt, probiert man eben mal etwas anderes.

Manuel Puppis: Wobei Trump die Volkswahl ja verloren hat. Er hat nur dank dem Elektorensystem gewonnen. Und in diesem System gibt es ja auch diverse Methoden, um Leute am Wählen zu hindern. In Wisconsin wurden rund 200’000 Leute am Wählen gehindert – und Trump gewann den Staat mit 23’000 Stimmen Vorsprung. Es sind auch solche Faktoren, die eine Rolle spielen.

 

Wie wichtig waren denn Social Media und Fake News?

Manuel Puppis: Die Social Media alleine waren sicher nicht entscheidend. Trumps typische Wähler sind da gar nicht präsent. Sie schauen Fox News, wo allerdings auch Falschmeldungen verbreitet werden. Es gibt eine gefährliche Polarisierung bei der Mediennutzung: Die einen lesen die «New York Times» und die «Washington Post», die andern schauen Fox und besuchen rechte Seiten im Internet. Beide Lager nehmen sich gegenseitig nicht mehr wahr. Und wenn doch, dann glauben sie einander nicht mehr.

Thomas Austenfeld: Dem stimme ich zu. Was sich allerdings nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass die Mehrheit überhaupt nicht wählt. Selbst, wenn drei Millionen Menschen mehr für Clinton gestimmt haben, als für Trump: 80 bis 90 Millionen Wahlberechtigte haben überhaupt nicht gestimmt. Und die tragen die Hauptverantwortung für den Wahlausgang.

 

Wie erklären Sie sich, dass Trumps permanente Lügen ihm nicht geschadet haben?

Manuel Puppis: Die «New York Times» hat nach der Wahl geschrieben «Unser Fehler war, dass wir Trump wörtlich genommen haben, aber nicht ernst. Seine Wähler machen das Gegenteil.» Trump hat oft einfach etwas behauptet, um aufzufallen. Und die Leute haben sich gesagt: «Wir brauchen jemanden, der anders ist. Was er genau sagt, ist gar nicht so wichtig.»

Thomas Austenfeld: Man darf nicht vergessen, dass auch Hillary Clinton als sehr unglaubwürdig angesehen wurde. Auch sie pflegte schon oft einen, sagen wir, flexiblen Umgang mit der Wahrheit. Da gab es diese Akten, die im Weissen Haus «verloren» gingen, es gab den Whitewater Real Estate-Skandal… Beide Kandidaten wurden als sehr unglaubwürdig wahrgenommen.

Manuel Puppis: Wie wichtig denkst du war es, dass sie eine Frau war?

Thomas Austenfeld: Sehr wichtig. Es gibt einen eingebauten Sexismus in der Bevölkerung. Die Leute vertrauen einer Frau weniger, als einem Mann. Und sie haben keine Erfahrung mit Frauen an der Spitze des Landes – im Gegensatz beispielsweise zu den Briten.

 

Kann Trump für die Leute, die ihn gewählt haben, denn überhaupt etwas tun? Will er es? Und wird er es?

Thomas Austenfeld: Können? Ja. Wollen? Wenns ihm nützt. Werden? Wer weiss? Der Gedanke, dass das Präsidentenamt ein Dienen am Volk ist, ist Trump komplett fremd.

Manuel Puppis: Er kann da und dort etwas machen, aber die Jobs im Rustbelt kann auch er nicht zurückbringen. Das industrielle Zeitalter dort ist vorbei. Ein anderes Versprechen, das er nicht halten kann, ist die Gesundheitsreform: Er versprach ein System mit dem alle gedeckt sind. Und jetzt kommt etwas, das das Gegenteil bewirkt. Millionen von Leuten würden mit Trumpcare ihre Versicherung verlieren.

 

Werden sich die Wähler dann irgendwann von ihm abwenden?

Thomas Austenfeld: Es gibt etwa dreissig Prozent, die kann er gar nicht verlieren. Die gibts auf der andern Seite aber auch. Entscheidend sind die Leute dazwischen.

 

Thomas Austenfeld  © STEMUTZ.COM

Wenden wir uns einer ganz grundsätzlichen Frage zu. Uns Europäern geht es mit Amerika ja ähnlich, wie den Deutschen mit der Schweiz. Wir sehen Parallelen, glauben die Amerikaner zu kennen. Was sind die wichtigsten Unterschiede, die wir dabei vergessen?

Thomas Austenfeld: Haben Sie Zeit für eine Ganzjahresvorlesung?

Manuel Puppis: Erstens: die Rolle der Religion, die sehr viel präsenter ist, als hier bei uns. Zweitens: die Rolle des Individuums und damit verbunden die Rolle, welche dem Staat zugewiesen wird. Drittens: der enorme Einfluss des Geldes auf Medien und Politik.

Thomas Austenfeld: Chapeau! Das kann man nicht besser zusammenfassen! Ich kann den zweiten Punkt vielleicht noch etwas verdeutlichen. Die Amerikaner haben einen Stolz, den wir uns kaum vorstellen können. Selbst die Ärmsten der Armen sagen: «We do it ourselves. We don’t need outside help». Wenn da einer kommt und sagt «Ich bin vom Staat, ich möchte Ihnen helfen», erntet er ungläubiges Gelächter. Ein Amerikaner hilft sich selbst.

Manuel Puppis: Besonders wichtig scheint mir der dritte Punkt: das Geld in Medien und Politik. Unternehmen werden in den USA im Wahlkampf wie Individuen behandelt und Geldspenden an politische Parteien fallen deshalb unter die Redefreiheit. Das ist eine Pervertierung des Prinzips «one man, one vote»! Das zweite Problem ist der Zustand des Mediensystems. Gerade kürzlich kam eine Karte heraus, die zeigt, wo überall es kein Medium mehr gibt, das vor Ort produziert wird. Da hat es auch kleinere Städte dabei. Die Möglichkeiten des Journalismus haben enorm abgenommen. Er kann heute seine Kontrollfunktion gegenüber Machtmissbrauch und Korruption vielerorts nicht mehr erfüllen. Der Journalist und Produzent der TV-Serie «The Wire», David Simon, hat gesagt: «In dem Moment, wo von BuzzFeed jemand zum local zoning board geht und eine fünfstündige Sitzung mitmacht und mal schaut, was die da genau machen, in dem Moment fange ich an zu glauben, dass BuzzFeed den Journalismus retten kann. Und solange das nicht passiert, haben wir ein Riesenproblem. Es ist heute die beste Zeit um ein korrupter Politiker in Amerika zu sein.»

 

Vielleicht können Sie auch zum ersten Punkt noch etwas sagen: zur Rolle der Religion.

Thomas Austenfeld: Viele von Trumps Wählern sind Evangelikale. Die sind mit dem Finger auf der Nase zur Wahlurne gegangen und haben gesagt: «Trump ist zwar kein Christ und ein Lügner noch dazu, aber er hat versprochen, konservative Richter zu berufen. Und wir brauchen eine konservative Mehrheit im Supreme Court, damit wir Roe-versus-Wade rückgängig machen können». Das ist die Abtreibungsfrage und wie sehr diese die religiösen Wähler beschäftigt, können wir uns gar nicht vorstellen. Mit der Berufung von Neil Gorsuch ist das Oberste Gericht schon konservativer geworden. Die entscheidende Schlacht kommt aber dann, wenn der nächste der sogenannten liberal judges in den Ruhestand geht. Und die sind alle schon ziemlich alt…

Manuel Puppis: Der Skandal ist ja, dass Gorsuchs’ Sitz nicht schon unter Obama besetzt wurde, weil die republikanische Mehrheit im Kongress das verhindert hat. Das hat es zuvor noch nie gegeben.

 

Sie lenken den Scheinwerfer auf die republikanische Partei. Wie geht diese mit Trump um?

Thomas Austenfeld: Die Republikaner sind bis auf ganz wenige umgefallen. Das ist das Enttäuschendste an der Sache: dass sich die Granden der GOP so im Wind wiegen. Die einzigen, die noch aufrecht stehen, sind John McCain und Lindsey Graham. Die anderen haben sich nicht erholt. Kann sein, dass das noch kommt, wenn sie selber wieder zur Wahl antreten müssen. Wenn sie sagen müssen, «da stehe ich, und da stehe ich nicht.» Manuel Puppis: Dabei gibt es durchaus Themen, wie beispielsweise die Gesundheitsreform, wo gerade auch die republikanischen Wähler etwas zu verlieren haben. Und ob Trump aus der Geschichte mit der Entlassung von James Comey herauskommt, wird wesentlich vom Verhalten seiner Partei abhängen. Nixon war genau dann am Ende, als ihn seine Partei fallen liess.

Thomas Austenfeld: Der Unterschied ist: Nixon war damals schon seit 20 Jahren in der Politik. Das «Saturday Night Massacre» geschah am bitteren Ende seiner Karriere. Bei Trump sind wir gerade mal in den ersten sechs Monaten seiner Präsidentschaft. Dass es jetzt schon solche Krisen gibt, das ist schon ungeheuerlich.

 

Ist denn der Bogen mit all den Lügen und Skandalen nicht irgendwann überspannt?

Thomas Austenfeld: Das ist schwer zu sagen. Trump kann sich durchaus jahrelang durchhangeln. Die Schwelle für ein Impeachment ist sehr hoch. Und dass es bei Bill Clinton nicht geklappt hat, wird die Leute lange davon abhalten, es überhaupt zu versuchen. Die Voraussetzungen für high crimes and misdemeanors sind sehr schwammig. Und die Vergehen sind zudem schwer nachzuweisen. Wenn zudem der Supreme Court von ihm besetzt wird… Nein, da hilft nichts.

 

Wie sieht denn heute das gesellschaftliche Leben in den USA aus? Was hat sich da mit Trumps Präsidentschaft verändert?

Thomas Austenfeld: Was in den Medien passiert, passiert auch im Alltag: Das Land ist gespalten. Und die Brüche verlaufen quer durch die Familien. Man tauscht sich nur noch mit Leuten aus, bei denen man weiss, dass man gleicher Meinung ist. Früher konnte man auch über Politik oder Religion kontrovers diskutieren. Heute ist das nicht mehr möglich. Es bleibt nur das Schweigen oder das Ausweichen auf banale Themen. Die Leute sprechen nicht mehr über das, was sie verbindet und «Kompromiss» ist ein verruchtes Wort geworden. Dasselbe spielt sich übrigens auch im Grossen ab. Man besinnt sich neuerdings auf die einzelnen Staaten. Wenn sie ein Job-Angebot kriegen, überlegen sich die Leute seit Neuestem: Will ich wirklich nach Massachusetts? Will ich nach Alabama? Das führt zu einer noch grösseren Segregation.

Manuel Puppis: Auch an den Universitäten hat Trumps Präsidentschaft sehr viel ausgelöst. Viele Leute haben beinahe einen Zweitjob: Proteste organisieren. Und in gewissen Kreisen ist es eindeutig salonfähiger geworden, rassistische Kommentare zu machen.

 

Manuel Puppis  © STEMUTZ.COM

Zusätzlich zur räumlichen Segregation geht auch die soziale Schere immer weiter auf.

Thomas Austenfeld: Da ist viel sozialer Sprengstoff drin und in den nächsten 20 Jahren wird das noch schlimmer werden. Es gibt Leute, die ihre Krankenversicherung verlieren. Leute, die ein Leben lang arbeiten und dann keine Altersvorsorge haben. Man sieht es an der Zahl der Selbstmorde oder am Drogenkonsum: Da gehen ganze Landstriche dran kaputt. Was da an menschlichem Potential vernichtet wird, das ist furchtbar!

 

Was halten Sie denn von der Opposition? Entsteht da gerade eine linke Tea Party? Und können die Proteste etwas erreichen?

Manuel Puppis: Die Tea Party war für die Republikaner fast schon ein Fluch. Eine linke Version davon ist für die demokratische Partei gar nicht wünschenswert. Sonst haben wir am Ende zwei handlungsunfähige Parteien.

Thomas Austenfeld: Ich würde den Begriff Tea Party ebenfalls nicht verwenden. Aber dass Massenproteste in den USA etwas bewirken können, sah man schon bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Und die Proteste gegen Trumps «Travel Ban» haben ja auch etwas gebracht.

Manuel Puppis: Ja, die Proteste können etwas bewegen. Aber nur wenn sie nicht nur aus dem College-Milieu heraus stattfinden, sondern auch die politische Mitte erreichen.

 

Thomas Austenfeld ist seit 2006 Professor für amerikanische Literatur an der Universität Freiburg. Er lehrte zuvor 20 Jahre an Colleges und Universitäten in Virginia, Missouri, Utah und Georgia. Seine literarischen und kultu­rellen Interessen beziehen sich beson­ders auf den amerikanischen Süden, den Westen, die amerikanische Lyrik und die Frauen des Modernismus. Im vergangenen Jahr leitete er eine Studienreise für 27 Studierende unserer Uni nach New York City.

thomas.austenfeld@unifr.ch

 

Manuel Puppis ist ordentlicher Professor am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM und Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission EMEK. Seine Forschungsschwerpunkte sind Mediensysteme im Vergleich, Medienpolitik und Medien­regulierung sowie Journalismus und politische Kommunikation.

manuel.puppis@unifr.ch