Dossier
Weshalb brechen Knochen? Noah, 9 Jahre
Knochen sind ein Meisterwerk der Natur. Das zeigt sich unter anderem an ihrer Stabilität. So bricht ein Stück Holz bei 224 Kilogramm Druck, ein Stahlrohr bei 255 Kilogramm, ein Knochen in vergleichbarer Dicke jedoch erst bei 624 Kilogramm! Er hält also mehr als die doppelte Belastung aus.
Die Frage ist also nicht zuerst: Weshalb brechen Knochen? Sondern: Weshalb brechen sie so selten?
Die Natur hat den Aufbau der Knochen über Jahrmillionen ständig verbessert. So sind unsere Knochen heute als Röhren konstruiert, deren Inneres von einem schwammartigen, aber festen Gewebe ausgefüllt wird. Dieser Aufbau macht sie stabiler als massive Konstruktionen und hilft gleichzeitig Gewicht zu sparen. Zudem sind Knochen, ähnlich wie Beton, aus zwei Komponenten zusammengesetzt, deren Eigenschaften sich gegenseitig ergänzen. Sind es beim Beton Armierungseisen und Zement, so machen bei den Knochen organische Fasern und mineralische Plättchen die Kombination perfekt. Die organischen Fasern bestehen aus langen dehnbaren Eiweissmolekülen und garantieren damit die Elastizität der Knochen – so wie Armierungseisen ein Hochhaus im Sturm schwanken lassen, ohne dass es zusammenbricht. Für die Festigkeit der Knochen sorgen die Plättchen. Aus Calcium und Phosphat bestehend, füllen sie den Raum zwischen den Eiweissfasern und machen die Knochen damit stabil. Knochen nur aus den Plättchen würden nichts taugen: Die Plättchen splittern wie Keramik.
Um unsere 206 Knochen gesund und stark zu erhalten, baut sie der menschliche Körper beständig um und passt sie gleichzeitig den aktuellen Anforderungen an. Werden Knochen regelmässig stark belastet, etwa beim Sport, macht sie der Körper entsprechend dicker; Raumfahrer – sie leben in der Schwerelosigkeit – leiden dagegen unter Knochenschwund. Diese Anpassungen erledigen die Knochenzellen; sie leiten die entsprechenden Prozesse ein. Umbau und Erneuerung der Knochen sind dabei so intensiv, dass unser Skelett im Verlaufe des Lebens mehrmals vollständig neu aufgebaut wird.
Manchmal brechen Knochen trotz grosser Stabilität. Sie brechen, wenn sie zu hohem Druck ausgesetzt, verdreht oder ständig überbelastet werden. Je nach Art des Bruchs reissen entweder die Eiweissfasern, oder die Struktur der mineralischen Plättchen wird zerstört. Am häufigsten betroffen sind dabei Schienbein, Unterarm, Handgelenk und Oberschenkel. Schmerzen verursacht dabei nicht der gebrochene Knochen, sondern die verletzte Haut rund um den Knochen.
Kommt es zu einem Bruch, beginnt der Körper unmittelbar danach mit dem Heilungsprozess. Ohne Verschiebung der beiden Knochenenden und bei kleinen Lücken wächst der Knochen von beiden Seiten wieder zusammen: Eiweissfasern und mineralische Plättchen werden angelagert, die Lücke schliesst sich. Grössere Abstände erfordern jedoch, dass neue Knochenzellen zur Bruchstelle wandern. Diese beginnen von Grund auf mit dem Aufbau neuen Knochenmaterials. Zuerst entsteht eine Narbe aus Bindegewebe; diese wird in Knorpel umgewandelt, anschliessend in festen Knochen. Ist ein Bruch vollständig verheilt, kann der Knochen wieder genau gleich belastet werden wie zuvor. Er ist weder schwächer noch stärker.
Unser Experte Luis Filgueira, Professor für Anatomie am Departement für Medizin, hat selbst noch nie einen Knochen gebrochen, jedoch sein Sohn. Im Alter von drei Jahren blieb dieser beim Sprung über ein Brett hängen und brach sich dabei den Oberschenkel. Der Bruch ist vollständig ausgeheilt.