Fokus
Quo vadis, Forschungsplatz Schweiz?
Dieser Tage entscheidet das Parlament, wie die Schweiz künftig die Einwanderung und damit ihre Beziehungen zur Europäischen Union regelt. Dies wird auch für die Forschungslandschaft Schweiz weitreichende Folgen haben. Im Gespräch mit Rektorin Astrid Epiney.
Am 9. Februar 2014 verdunkelte sich der Himmel über der Schweizer Forschungslandschaft: Das Stimmvolk stimmte der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ebenso unerwartet wie knapp zu. In der Folge stoppte die Europäische Union die Verhandlungen mit der Schweiz über eine Aufnahme ins Forschungsförderprogramm Horizon 2020, das grösste seiner Art weltweit. Zwar erreichte der Bundesrat, dass die Schweiz vorübergehend wieder in Teile des Programms aufgenommen wird, doch damit haben sich die dunklen Wolken nicht verzogen. Aktuell debattiert das Parlament darüber, wie es die MEI umsetzen will. Der Entscheid hat auch Auswirkungen auf die mit der EU vereinbarte Personenfreizügigkeit. Dehnt die Schweiz diese nämlich nicht bis Ende 2016 auf EU-Neumitglied Kroatien aus (das sog. Kroatien-Protokoll), schwinden ihre Chancen auf eine Vollmitgliedschaft bei Horizon 2020. Im Gespräch äussert sich Rektorin Astrid Epiney zu den Folgen eines Worst Case für den Forschungsplatz Schweiz und zeigt auf, wie unabdingbar unsere guten Beziehungen zu Europa gerade im Bereich der Wissenschaft sind.
Astrid Epiney, wie drückt sich Internationalität an der Uni Freiburg aus?
Wir haben im schweizweiten Vergleich einen sehr hohen Anteil an ausländischen Studierenden, zirka 20 Prozent. Dank den aktuell rund 170 bilateralen Abkommen mit europäischen Hochschulen verfügen wir über ein breites Netzwerk für den Studierendenaustausch. Zudem pflegen wir einen intensiven Austausch im Forschungsbereich, sei es informell über persönliche Beziehungen zwischen Forschenden oder indem wir an europäischen Forschungsprojekten teilnehmen. Kurzum: Wir sind abhängig von guten Beziehungen zu Europa.
Wie hat sich die MEI bisher auf die Universität ausgewirkt?
Anfangs ist insbesondere die Studierendenmobilität eingebrochen, weil die Schweiz neben Horizon 2020 auch aus dem europäischen Studierendenaustauschprogramm Erasmus+ ausgeschlossen wurde. Die Situation hat sich zwar normalisiert, weil wir mit vielen europäischen Universitäten die vorhin erwähnten Abkommen schliessen konnten, aber der Aufwand dafür war beträchtlich.
Im Fokus des öffentlichen Interesses steht vorab das europäische Förderprogramm Horizon 2020. Wieso ist es so wichtig, hier mitzumachen?
Ein Beispiel: Wenn sich europäische Forschende bei uns bewerben, knüpfen sie ihre Zusage oft daran, dass wir künftig noch bei Horizon 2020 dabei sind. Das gilt übrigens auch für Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die im Ausland geforscht haben, und wieder in die Schweiz zurückkehren möchten. Horizon 2020 ist also von grosser Bedeutung, um wissenschaftliches Personal zu rekrutieren. Dann ist da natürlich der finanzielle Aspekt: Wir erhalten im Rahmen des Programms viel Geld für unsere Forschungsprojekte. Für uns wäre es besonders schwierig, diese ohne Horizon 2020 zu finanzieren, weil wir über weniger staatliche Mittel verfügen als etwa die ETHs. Schliesslich gibt es noch einen quasi sportlichen Aspekt: Die Teilnahme an Horizon 2020 ist mit viel internationalem Prestige verbunden. Um bei der Sport-Metapher zu bleiben: Bei einem lokalen Rennen mitzumachen ist schön und gut, aber Olympia ist doch etwas anderes.
Stichwort Rekrutierung: Dann sind Sie auch daran interessiert, dass die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz bestehen bleibt?
Definitiv. Sie erleichtert die Rekrutierung sehr. Ausländische Kolleginnen und Kollegen erhalten dank ihr eher eine Aufenthaltsbewilligung, gerade wenn es sich um Mittelbau-Angehörige und nicht um Professorinnen und Professoren handelt. Darüber hinaus erleichtert die Personenfreizügigkeit den Familiennachzug und die Regelung von Rentenansprüchen.
Wie setzt sich die Universität Freiburg dafür ein, dass die Teilnahme an Horizon 2020 gerettet wird?
Wir sind ja nur eine von vielen Schweizer Hochschulen. Daher arbeiten wir eng mit anderen Universitäten zusammen. Als Rektorin vertrete ich die Uni Freiburg an der Schweizerischen Rektorenkonferenz «swiss-universities», die sich in der Politik für einen offenen, attraktiven Forschungsplatz Schweiz einsetzt. Als Europarechtlerin äussere ich mich zudem öffentlich zu Europa-Fragen und der Umsetzung der MEI. Mir geht es vorab um den viel zitierten Volkswillen, den die MEI-Initianten ins Feld führen, wenn sie eine harte Umsetzung der Initiative fordern. Juristisch gesehen ist das Unsinn: Es gibt keinen einheitlichen Volkswillen. Zum einen haben nicht alle MEI-Befürworter aus den gleichen Gründen Ja gesagt, zum anderen schliesst man jene fast 50 Prozent, die Nein gesagt haben, praktisch aus dem Volk aus.
Dürfen sich Hochschulen als öffentliche Institutionen ins politische Geschäft einmischen?
Eine der Daseinsberechtigungen von Universitäten ist es, dass sie unabhängig von politischen Vorgaben über gesellschaftliche Entwicklungen nachdenken. Wir haben eine Verantwortung, uns dazu zu äussern; insbesondere zu daraus entstehenden Nach-teilen. Wir tun das natürlich nicht als politische Entscheidungsträger, sondern aus wissenschaftlicher Sicht. Klar sind die Beziehungen Schweiz-EU ein Sonderfall, weil wir als Hochschulen in dieser Frage eigene Interessen haben. Aber der Ausgang des Konflikts hat ja auch gesamtschweizerische Folgen.
Welchen Ausgang halten Sie für wahrscheinlich?
Ich glaube es wird eine einvernehmliche Lösung geben. Beide Seiten haben Interesse daran. Aber wir sollten nicht glauben, dass sich die EU bei der Regelung der Personenfreizügigkeit auf irgendwelche Personen Kontingente einlassen wird, wie sie die MEI vorsieht. Den vom Nationalrat vorgeschlagenen «Inländervorrang light» (Anm. des Autors: eine Bevorzugung von Inländern auf dem Schweizer Arbeitsmarkt) halte ich für einen gangbaren Weg.
Und falls es wider Erwarten doch zu keiner Einigung kommt?
Dann haben wir ein Problem. Dann werden wir nicht als vollwertige Partner an Horizon 2020 teilnehmen und die Schwierigkeiten bei der Studierenden- und Forschendenmobilität werden zunehmen. Mittelfristig verlieren Freiburg und die anderen Schweizer Hochschulen an Attraktivität und damit auch der Forschungsplatz Schweiz. Das würde zu einer Abwärtsspirale führen, die das Land langfristig international weniger attraktiv macht – mit allen negativen wirtschaftlichen Folgen.
Astrid Epiney ist seit 1996 ordentliche Professorin für Völkerrecht, Europarecht und schweizerisches öffentliches Recht an der Universität Freiburg. 2014 wurde die gebürtige Mainzerin vom Senat der Universität zur Rektorin für die Amtsperiode 2015–2019 gewählt.
astrid.epiney@unifr.ch
Zahlen und Fakten sprechen Klartext
Die Universität Freiburg bemüht sich nicht nur darum, den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern; sie ist auch bestrebt, ein attraktiver Forschungsplatz für ausländische Forschende zu sein, insbesondere aus dem EU-Raum. Im Oktober 2016 stammten rund 36 Prozent der Professorinnen und Professoren sowie der wissenschaftlichen Mitarbeitenden aus EU-Staaten (91 von total 255, respektive 375 von 1041).
Auch finanziell ist die Verflechtung stark. Gemäss der Dienststelle Forschungsförderung hat der Europäische Forschungsrat ERC die Universität Freiburg im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020 (läuft seit 2014) und dessen Vorgänger FRP 7 (2007–2013) seit 2008 mit knapp 17,7 Millionen Euro unterstützt (Stand Ende August 2016). Das Geld ging an insgesamt 45 Forschungsprojekte. Drei davon:
Merespo: Prof. Christoph Weder, Direktor des Adolphe Merkle Instituts, hat 2012 einen ERC Advanced Grant in der Höhe von 2 Millionen Euro erhalten. Mit dem Grant unterstützt der ERC Weders Forschung an intelligenten Materialien, die ihre chemischen Eigenschaften aufgrund mechanischen Drucks gezielt verändern. Potenzielle Anwendungen von MERESPO sind etwa leuchtende Kunststoffe sowie Implantate, die sich selbst schmieren oder Medikamente direkt in den Körper absondern. Der Grant läuft 2017 aus.
Memo Sleep: Können positive Gedanken vor dem Einschlafen dafür sorgen, dass wir einen erholsameren Schlaf haben? Um diese Frage kreist das Projekt Memo Sleep von Prof. Björn Rasch vom Departement für Psychologie. Im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020 hat er 2016 dafür einen mit 1,5 Millionen Euro dotierten und auf fünf Jahre befristeten ERC Starting Grant erhalten. Längerfristig möchte Rasch erforschen, wie sich Schlafstörungen ohne den Einsatz von Medikamenten bekämpfen lassen.
GraphInt: Big Data stellt die Gesellschaft vor grosse Herausforderungen, gilt es doch, riesige Datenmengen zu verwalten und zu verknüpfen. Philippe Cudré-Mauroux’ Projekt soll helfen, die Datenflut zu bewältigen. Dazu entwickelt der Professor am Department für Informatik neuartige Algorithmen. Mit ihrer Hilfe könnten Behörden Internetkriminelle aufspüren oder die Entstehung von Staus präziser modellieren. Der ERC unterstützt GraphInt von 2016 bis 2021 mit einen Consolidator Grant in der Höhe von 2 Millionen Euro.
Weitere exzellente Forschungsprojekte an der UniFR:
www.unifr.ch/recherche/de/areas
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