Dossier

Warum muss eine Volkswirtschaft immer wachsen?

Volkswirtschaften müssen nicht wachsen. Aber oft tun sie es einfach. Zum Glück. Denn richtig verstanden heisst Wachstum schlicht mehr Lebensqualität. Und zwar aus drei Gründen.

Erstens Gesamtwachstum kann zwei Ursachen haben: steigender Einsatz von Produktionsfaktoren wie Arbeitskraft, Kapital, Energie, etc. und steigende Effizienz. Haupttreiber der Effizienz ist technischer Fortschritt. Dieser entsteht nicht in einem einzelnen Land, sondern durch unzählige Innovationen weltweit. Deshalb haben Länder nur dann längerfristig kein Wachstum, wenn ihre Wirtschaft den weltweiten technischen Fortschritt nicht nutzen kann und der Einsatz von Produktionsfaktoren abnimmt, sei es wegen falscher Anreize oder weil ihre Bevölkerung schrumpft.

 

Zweitens Wachstum wird heute zumeist anhand der Veränderung des Bruttoinlandproduktes gemessen. Vereinfacht gesagt misst das nominelle Bruttoinlandprodukt den gesamten Wert der hergestellten Güter- und Dienstleistungen, also Preise mal Mengen. Nominelles Wachstum entsteht somit, weil sich Mengen und Preis verändern. Doch dank technischem Fortschritt verändert sich auch die Qualität der Produkte. Wer am realen Bruttoinlandprodukt und Wachstum interessiert ist, muss deshalb die reinen Preissteigerungen aus dem nominellen Bruttoinlandprodukt heraus- und die Qualitätssteigerungen hineinrechnen. Genau das tun die statistischen Ämter. So wird aus nomineller Schrumpfung durch billigere und bessere Güter dank technischem Fortschritt reales Wachstum.

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Drittens Schliesslich muss noch das Gesamt- und das Pro-Kopf-Wachstum der Wirtschaft unterschieden werden. Während das Gesamtwachstum infolge Bevölkerungswachstum natürlich zu mehr Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung führt, ist Pro-Kopf-Wachstum sehr wohl mit konstantem oder sinkendem Ressourcenverbrauch vereinbar. Relevant für das Wohl der Einwohner ist fast ausschliesslich die Wirtschaftsleistung pro Kopf. Wenn die gesamte Wirtschaftsleistung für die Einwohner wichtig wäre, müssten die Einwohner in grossen Ländern systematisch glücklicher sein als in kleinen. Dafür aber gibt es keinerlei Evidenz. Wenn schon trifft das Gegenteil zu. Anders sieht die Sache aber für manche Politiker aus. Sie profitieren vom Bevölkerungs- und Gesamtwachstum. Mehr Einwohner heisst mehr Steuereinnahmen, mehr Staatsausgaben und mehr Einfluss und Bedeutung von Politikern. Ähnliches gilt für die Manager von Dachverbänden und von vor neuen Konkurrenten geschützten Firmen. Für sie heisst mehr Einwohner mehr Mitglieder, Kunden, Umsatz, Gewinn und Bonus. In ungeschützten Branchen hingegen wächst mit der Bevölkerung auch die Zahl der Anbieter, so dass die Umsätze etc. pro Anbieter konstant bleiben.

 

Somit gilt Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens ist nicht böse, sondern gut und natürlich. Aber leider gibt es viele Länder, wo die Regierungen aus Eigennutz oder Unfähigkeit das gute, Ressourcen schonende Pro-Kopf-Wachstum behindern und auf schlechtes, Ressourcen intensives Gesamtwachstum setzen.

 

Frage Helmut Zander, Professor für vergleichende Religionsgeschichte und interreligiösen Dialog
helmut.zander@unifr.ch

Experte Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik. In seinen Studien analysiert Reiner Eichenberger politische Institutionen und verknüpft ökonomische mit psychologischen Ansätzen.
reiner.eichenberger@unifr.ch