Dossier

Das Ende einer Kultur

Weil wir immer mehr Arten verschleppen, droht der Mittelmeerraum seine Symbolpflanzen zu verlieren: Olivenbaum, Zypresse, Palme.

Herr Bacher, schwärmen wir etwas vom Olivenbaum – so lange es ihn noch gibt.

Sven Bacher: Ein wunderschöner Baum, gerade die älteren Exemplare. Einzelne Olivenbäume werden ja über tausend Jahre alt. Das ist sehr erstaunlich, da sie ja in eher lebensfeindlichen Landschaften gedeihen: sehr heiss, sehr trocken.

Wo kommt der Baum denn her?

Seine Herkunft wird in Kleinasien vermutet, jedenfalls in seiner ursprünglichen Form. Im Mittelmeerraum, damals eines der wichtigsten Zentren der menschlichen Entwicklung, erhielt er dank seinen Früchten eine enorme Bedeutung.

Nun hat der Olivenbaum aber ein Problem. Wahrscheinlich im Jahr 2013 wurde eine Ladung Zierpflanzen aus Mittelamerika nach Apulien gebracht, wo an die zehn Millionen Olivenbäume stehen. In diesen Zierpflanzen reiste ein blinder Passagier mit: Xylella fastidiosa, zu Deutsch Feuerbakterium, einer der weltweit gefährlichsten Pflanzenschädlinge.

Das war ein unschönes Erwachen. Die Bauern in Apulien mussten plötzlich feststellen, dass ihre Bäume welkten, wussten aber nicht, weshalb. Das Krankheitsbild passte nicht zu den bekannten Schädlingen. Auch die Wissenschaft stand anfänglich vor einem Rätsel.

Was tut ein Wissenschaftler, wenn er einen kranken Baum sieht, aber die Ursache nicht erkennt?

Er nimmt sein Vorwissen und überlegt sich, wonach die Symptome am ehesten ausschauen. Davon ausgehend beginnt die Suche. In Apulien kam man ziemlich bald auf die Idee, es könnte sich um einen Befall mit dem Feuerbakterium handeln. Xylella fastidiosa ist ja ein bekannter Erreger – bis anhin aber nicht in Europa.

Damit war auch klar, dass die Verbreitung des Bakteriums eine Folge der Globalisierung ist?

Ja. Mit dem weltweiten Handel verbreiten wir nicht nur, was wir wollen, sondern auch, was wir nicht wollen.

Eine Ihrer Studien weist nach, dass alle 16 Stunden eine Art gefunden wird, die an diesem Standort bislang nicht heimisch war und dort nun Probleme verursacht. Dazu gehört auch die Zypressenblattlaus, als Schädling fast so gefürchtet wie das Feuerbakterium. Ursprünglich aus dem Mittleren Osten stammend, ist das Tier nun ebenfalls im Mittelmeerraum heimisch.

Die Zahl der verschleppten Arten nimmt seit Beginn der Globalisierung rasant zu. Sämtliche Bemühungen, diese unkontrollierte Verbreitung einzudämmen, sind bislang gescheitert.

Weshalb?

Unter anderem, weil die Grenzkontrollen mit den immer schneller steigenden Warenmengen völlig überfordert sind. Deshalb ist auch keine Trendwende in Sicht.

In Apulien ist inzwischen rund eine Million Olivenbäume infiziert. Streckenweise sieht das Land wie ein Baumfriedhof aus. In Mittelamerika, dem Ursprung des Feuerbakteriums, ruft Xylella fastidiosa aber nicht so grosse Schäden hervor. Ihre Erklärung?

In ihrer Heimat sind Schädlinge wie Xylella zwar bekannt, bleiben aber oft relativ harmlos. Erst in den neuen Gebieten verursachen sie grosse Schäden. Das ist ein Phänomen, für das es bis heute keine allgemein gültige Erklärung gibt. Wir haben aber einige Ideen. Eine mögliches Szenario ist, dass die Schädlinge in ihrer Heimat gleichzeitig mit ihren Wirtspflanzen entstanden, was den Wirten Gelegenheit gab, sich immer wieder anzupassen. Sie gewöhnten sich sozusagen an den Befall und entwickelten Mechanismen, um zu überleben. Werden sie aber verschleppt und geraten in ein Umfeld, das noch keine Abwehrmechanismen entwickelt hat, kann es zur Epidemie kommen.

Was ist Ihr Rezept gegen invasive Arten?

Am wichtigsten ist die Prävention – also einen Schädling zu verhindern. Bei Pflanzen müssen die Exporteure dafür sorgen, dass ihre Sendungen keine fremden Organismen enthalten. Das wird auch stichprobenartig geprüft. Die Kontrollen genügen aber oft nicht oder gestalten sich sehr schwierig, was der Fall des Palmrüsslers zeigt, ein rostbrauner Käfer aus dem tropischen Asien. Heute kommt er in fast allen Mittelmeerländern vor und bringt tausende von Palmen zum Absterben. Ein Befall bleibt jedoch über lange Zeit symptomlos. Zeigen sich Krankheitszeichen, haben die Larven den Wachstumskegel der Palmen bereits unrettbar zerstört. Also müssen wir versuchen, Schädlinge möglichst schnell wieder loszuwerden.

Gelingt das?

Häufiger als man denkt. Wir haben im Rahmen einer weltweit angelegten Studie beweisen können, dass die Hälfte aller Ausrottungskampagnen tatsächlich Erfolg hat. Ein Beispiel zeigte sich quasi vor unserer Haustür, in der Nähe von Freiburg. Vor einigen Jahren hatten wir einen Befall von Asiatischen Laubholzbockkäfern, die in Verpackungsmaterial gekommen waren. Nach dem Fällen von 700 Bäumen fanden sich keine weiteren Käfer mehr.

In Apulien hat sich gezeigt, dass radikale Massnahmen wie Fällaktionen fast unmöglich sind. Die Bevölkerung wehrt sich mit Händen und Füssen für ihre kranken Olivenbäume und behauptet, das Bakterium habe nichts mit der Globalisierung zu tun, sondern sei eine Strafe Gottes, weil Apulien einen Homosexuellen zum Präsidenten der Region gewählt habe.

Tja. Solche Begründungen mögen für uns haarsträubend sein, doch ohne die Bevölkerung hinter sich zu haben, lassen sich von Amtes wegen Massnahmen kaum durchsetzen. Da braucht es viel Aufklärungsarbeit. Zudem sind ja nicht alle Olivenbauern betroffen, was die Situation zusätzlich kompliziert. Lassen sich die Baumbesitzer zu Fällaktionen überreden, so tragen sie zwar dazu bei, dass alle anderen weiter wirtschaften können, verlieren aber selbst ihr Einkommen. Natürlich regt sich da Widerstand. Einige wenige müssen sich für das Wohl vieler opfern. Das ist eine Situation, die wir immer wieder finden, nicht nur in Italien. Entsprechend schwierig ist es, das Problem in den Griff zu bekommen.

Mal ganz grundsätzlich: Was ist denn überhaupt ein Schädling?

Das definiert die Gesellschaft; von Natur aus ist ja kein Lebewesen ein Schädling. In der Ethik kursieren mehrere Ansätze. Aus anthropozentrischer Sicht etwa gilt nur als Schädling, was dem Menschen schadet. Das ist die verbreitetste Definition. Ein etwas umfassenderer Ansatz bezeichnet als Schädling, was allen leidensfähigen Lebewesen Schaden zufügt – eine Eigenschaft, die häufig auf Wirbeltiere beschränkt wird. Eine dritte Definition geht noch weiter und bezieht sämtliche Lebewesen ein, unabhängig von ihrer Leidensfähigkeit.

 

 Camel Beach, Bodrum, Türkei  © KEYSTONE SDA

Ihre persönliche Ansicht?

Etwas von allem. Ich bin jedoch klar der Meinung, dass sich nicht alle Lebewesen ungehindert in der Natur verbreiten dürfen. Auf totale Freiheit zu plädieren, tönt zwar gut, ist aber ebenso naiv wie gefährlich. Aktuelles Beispiel dafür ist die Kirschessigfliege. Sie fand vermutlich 2008 mit befallenen Früchten aus Asien in den Mittelmeerraum, bedeutet für viele Obstarten ein hohes Risiko und richtet inzwischen auch bei uns immer grössere Schäden an. Da kann man nicht einfach zuschauen.

Letztlich ist es eine Diskussion um Geld, oder nicht?

Das stimmt, greift aber zu kurz. Wir haben letztes Jahr in einer Studie gezeigt, dass die rein monetäre Bewertung von Schäden nicht taugt. Bei unserem Ansatz geht es darum, wie stark Menschen von eingeschleppten Arten in allen Bereichen ihres täglichen Lebens betroffen werden. Nehmen wir das Beispiel des Kartoffelkäfers, ursprünglich in Amerika heimisch. Hier in Europa leidet niemand mehr wirklich darunter; das Tier lässt sich mit Pestiziden sehr gut kontrollieren. Anders beim Feuerbakterium. Die Olivenbauern in Apulien verlieren nicht nur ihren bisherigen Lebensinhalt, sondern auch ihre Traditionen, das Symbol ihrer Region und somit einen Teil ihrer Identität. In unserem Schema ist das die höchste Schadensstufe.

Spannen wir den Rahmen etwas weiter: Bleiben Ihrer Meinung nach importierte Arten für immer Exoten oder sind sie nun Teil der Mittelmeer-Biodiversität?

Mit dieser Frage werde ich häufig konfrontiert. Die simple Antwort lautet: Die Arten können nichts dafür, dass sie verschleppt wurden. Schauen Sie sich die Grünalge Caulerpa an, bekannt unter dem Namen «Killeralge». Aus dem Indopazifik als Zierpflanze importiert, ist sie mit den Abwässern des Meeresaquariums von Monaco ins Mittelmeer gelangt und verdrängt nun dank ihrem schnelleren Wachstum das im Mittelmeer verbreitete Seegras. Da Caulerpa giftig ist und in der neuen Heimat keine natürlichen Feinde hat, kann sie sich ungehindert verbreiten. Was sollen wir jetzt machen? Die Alge einfach akzeptieren, obwohl sie ohne jede Not eingeführt wurde? Müssten wir nicht davon ausgehen, dass die einheimischen Arten ein übergeordnetes Existenzrecht haben? Aber das sind ethische Fragen.

Ökosysteme verändern sich aber sowieso. Das sind keine statischen Gebilde.

Sie verändern sich andauernd. Beobachten Sie die Vögel in Ihrem Lieblingswald, und Sie werden feststellen, dass plötzlich neue Arten auftauchen, dafür fehlen andere. Über einen grösseren Zeitraum betrachtet, sind das jedoch immer die gleichen Mitspieler. Sie kommen und gehen. Das sind natürliche Prozesse, die sich – geographisch gesehen – in einem beschränkten Raum abspielen. Mit eingeschleppten Arten verhält es sich anders. Die Biodiversität nimmt dadurch zwar quantitativ zu, nicht aber unbedingt auch qualitativ. Gebietsfremde Arten können sich unter Umständen nicht in das bestehende System einfügen, zum Beispiel, weil sie ein anderes Netzwerk von Bestäubern haben als die einheimischen. Oder sie haben keine natürlichen Feinde am neuen Ort, weshalb sie ihren neuen Lebensraum zu dominieren beginnen. Dazu kommt, dass oft die gleichen Arten verschleppt werden. Als Effekt wird die globale Artengemeinschaft monotoner; die einzelnen Regionen verlieren ihre Eigenheit. Ein simples Beispiel: Wenn Sie in Sydney aus dem Flugzeug steigen, hören Sie Hausspatzen zwitschern. Auch im Central Park in New York ebenso in Südafrika und einigen Ländern Südamerikas. Obwohl der Spatz aus Europa stammt.

Wo führt das hin?

Indem wir alles Mögliche mischen, spielen wir ein bisschen russisches Roulette. Weil wir nicht wirklich wissen, wie sich diese neuen Lebensgemeinschaften verhalten werden. Das ist ein Risiko. Warum machen wir das also, zum Teufel?! Lasst uns damit aufhören!

Noch ein Blick in die Zukunft des Mittelmeerraums. Zur Zeit sieht es nicht so aus, als liessen sich die invasiven Arten in den Griff kriegen. Im Gegenteil; laut Ihrer Studie nehmen sie ja rasant zu und verbreiten sich immer weiter. Beispiel Feuerbakterium. Inzwischen ist es in Spanien und Frankreich aufgetaucht, vor einigen Jahren gab es einen einzelnen Fund in der Schweiz. Wie geht es weiter?

Das Feuerbakterium ist bei weitem nicht das grösste Problem des Mittelmeerraums. Die Zukunft dieser Region hängt von Themen wie dem Bevölkerungswachstum ab, von der Ausdehnung der Siedlungen, von der Art der Landnutzung. Die Prognose bezüglich Xylella fastidiosa ist schwierig. Die Artengemeinschaften im Mittelmeerraum werden sich vielleicht verändern, aber sie werden in irgendeiner Form damit zurechtkommen. Dies wird allerdings vielleicht erst nach sehr langer Zeit so sein. Ob der Olivenbaum in einigen Generationen noch Teil dieser Flora ist, wird sich zeigen. Wir stellen jetzt die Weichen für unsere Enkel.

 

Unser Experte Sven Bacher ist Ökologe. Er hat in Kiel studiert und in Zürich promoviert. Nach einer Oberassistenz in Bern leitet er seit 2007 am Departement für Biologie der Universität Freiburg eine Forschungsgruppe zu Themen der angewandten Ökologie. Sven Bacher berät unter anderem die Europäische Kommission, das Bundesamt für Umwelt BAFU (CH) und das Bundesamt für Naturschutz (D) zu Fragen über gebietsfremde Arten. Seine Spezialgebiete sind biologische Invasionen, Agrarökologie und Naturschutz.

sven.bacher@unifr.ch