Dossier

Dosiert erweiterte Wahrnehmung

Der Psychiater Gregor Hasler arbeitet in der Therapie und in der Forschung mit Psychedelika. In beiden Bereichen offenbaren die Substanzen erstaunliche Eigenschaften, die sie zu einer wertvollen Ergänzung zu Psychopharmaka machen.

Bunte Vorhänge, Bilder, eine Buddhastatue, ein bequemer Sessel. Das Therapiezimmer in der psychiatrischen Klinik des Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit in Villars-sur-Glâne wirkt gemütlicher als ein normales Spitalzimmer, kann aber nicht verbergen, dass es mal eins war. Und soll das auch nicht. «Wir sind in einer Klinik und meine Klientel will die Sicherheit einer Klinik», sagt Gregor Hasler. Wenn das Zimmer trotzdem etwas wohnlicher daherkommt, hat dies damit zu tun, dass sich bei der Arbeit mit Psychedelika ein bestimmtes «Setting» durchgesetzt hat. «Wohnzimmerstil» nennt es Hasler. Neben der Einrichtung gehört dazu, dass während der Sitzung Musik abgespielt wird und die Patienten nie allein sind. Mindestens ein «Sitter» beobachtet sie und fragt sie gelegentlich, wie es ihnen geht.

Der einheitliche und sichere Rahmen, in dem Therapiesitzungen mit Psychedelika heute durchgeführt werden, war einer der Gründe, weshalb Hasler seine frühere Skepsis ablegte. Ein anderer ist, dass der Forschungsstand in den letzten Jahren viel besser geworden ist. Zuvor habe man vor allem auf Studien aus den 1960er und 1970er Jahren zurückgreifen müssen. Diese hätten zum Beispiel gezeigt, dass immer wieder Leute «bad trips» hatten. «Wenn man sich diese Daten anschaute, erschien der Einsatz von Psychedelika schon recht abenteuerlich.» Zu abenteuerlich für jemanden wie Hasler, der als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie grossen Wert auf das Wohlergehen der Patient_innen legt. Inzwischen habe die Forschung jedoch gezeigt, dass psychedelische Drogen bei Personen mit Depressionen, Angstzuständen und Suchterkrankungen sehr wirksam sein könnten. «Es ist klar, dass da ein Potenzial besteht.»

Hasler beschäftigt sich sowohl als Forscher, als auch als Therapeut mit Psychedelika. Als Forscher interessiert ihn primär die Prozessforschung, also die Frage, wie die Substanzen ihre Wirkung erzielen. Sein Labor untersucht zum Beispiel, ob eine Dosis LSD die Neuroplastizität erhöht, also die Fähigkeit des Gehirns, zu wachsen, sich zu verändern und sich neu zu organisieren. Dazu wird gemessen, wie sich die Hirnströme vor und nach der Einnahme verändern, wenn man das Gehirn elektrisch stimuliert. Aus der Tierforschung ist bekannt, dass Ketamin und LSD die Ausläufer von Nervenzellen spriessen lassen. «Am Menschen hat das noch niemand probiert.»

Aus der Fotoserie USA Opioid crisis © Jérôme Sessini | Magnum Photos

Dass Psychedelika die Neuroplastizität auch bei Menschen steigern, wurde hingegen schon mit anderen Methoden aufgedeckt. Folgen von Neuroplastizität sind geistige Flexibilität, Offenheit und die Fähigkeit, zu lernen und zu vergessen. Parameter, die sich mit Fragebogen erfassen lassen. Auf diese Art konnte der US-amerikanische Psychiater und Pharmakologe Ronald Duman zeigen, dass schwere Depressionen die Neuroplastizität einschränken. Hasler spricht von einem «Hirn-Shutdown». Duman gelang es auch nachzuweisen, dass das Gehirn mit Ketamin und anderen psychedelischen Substanzen wieder «hochgefahren» werden kann. Andere Forschungsgruppen bestätigten den Befund und stellten fest, dass LSD und Psilocybin, die Substanz in «Zauberpilzen», die Neuroplastizität besonders stark fördern. Auch Dimethyltryptamin (DMT), eine psychedelische Substanz, die im Pflanzensud Ayahuasca enthalten ist, wirkt im gleichen Sinn. Diese Erkenntnisse legten es nahe, zu untersuchen, wie Psychedelika bei Krankheiten wirken, bei denen eine höhere Neuroplastizität Besserung verspricht. Neben der Depression sind das unter anderem Zwangs- und Angststörungen, Traumastörungen, Suchtkrankheiten, aber auch neuro-degenerative Krankheiten wie Demenz.

In der Schweiz können Ärztinnen und Ärzte beim Bundesamt für Gesundheit seit 2014 eine Ausnahmebewilligung beantragen, wenn sie die eigentlich verbotenen Substanzen LSD, Psilocybin und MDMA in einer Therapie einsetzen wollen. Vorausgesetzt wird, dass der Patient oder die Patientin in der Schweiz wohnt und dass er oder sie therapieresistent ist. Das heisst, dass herkömmliche Psychopharmaka ohne Erfolg geblieben sind. Wenn ein solcher Patient bei Gregor Hasler landet, greift dieser nicht automatisch zu psychedelischen Substanzen. «Viele sind gar nicht therapieresistent, sondern nicht richtig behandelt worden», sagt er. «Bei den meisten setze ich dann bessere Psychopharmaka ein.» Erst bei echter Therapieresistenz kommt ein Psychedelikum in Frage. Nur welches? Diese Frage ist schwerer zu beantworten als bei Psychopharmaka, weil die Wirkungsweise grundsätzlich anders ist. Antidepressiva, Tranquilizer und Antipsychotika dämpfen die Wahrnehmung negativer emotionaler Reize (was in psychischen Krisen ein Vorteil sein kann). Psychedelika bewirken das Gegenteil: Gefühle, der eigene Körper, aber auch die Umgebung werden unmittelbarer, intensiver und positiver erlebt. Festgefahrene Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster verlieren an Kraft. «Das ist vor allem für Leute gut, die immer die gleichen negativen Gedanken und Ideen wälzen», sagt Hasler.

Für psychisch Kranke ist ein Trip nicht ohne

Die intensivere Wahrnehmung führt dazu, dass die Wirkung von Psychedelika stark von Umwelteinflüssen (Setting) und von der Stimmung und den Erwartungen des Patienten selbst (Mindset, kurz Set) abhängt. MDMA fährt an einer Party ganz anders ein als im «Wohnzimmer» von Gregor Hasler. Mit dem Gespräch vor der Einnahme nimmt der Therapeut auf das «Set» Einfluss. Hasler senkt zum Beispiel die Erwartungen der Patienten, wenn ihm diese übertrieben scheinen. Die Spannbreite an Wirkungen bleibt auch so noch breiter als bei Psychopharmaka. Aber es haben sich doch Faustregeln herauskristallisiert, bei welcher Diagnose welche Substanz in welcher Dosis angezeigt ist. Sei man unsicher, empfehle es sich mit MDMA anzufangen. «Es hat weniger Nebenwirkungen, die Erfahrungen sind weniger herausfordernd.»

Für psychisch Kranke ist ein Trip nicht ohne. Eine Sitzung mit Psilocybin oder MDMA zieht sich über ungefähr 6 Stunden, bei LSD ist mit 8 Stunden zu rechnen, ohne die Vorbereitungssitzung und die Nachbereitung nota bene. «Das kann belastend sein», sagt Hasler. Bisher hätten jedoch nur zwei seiner Patient_innen die Erfahrung als zu stark erlebt. Das passt zu den Befunden der Psychotherapieforschung der letzten Jahre: Psychedelika-gestützte Psychotherapie führt fast nie zu einer Retraumatisierung, nicht einmal bei schweren Fällen. Dieses Phänomen nennt Hasler in seinem populärwissenschaftlichen Buch «Higher Self» den Helioskop-Effekt. Ein Helioskop ist ein Fernrohr, mit dem man direkt in die Sonne schauen kann, um etwa Sonnenflecken zu beobachten. Nur ein Bruchteil des gleissenden Lichts gelangt bis zum Auge. Ähnlich verhält es sich mit Psychedelika. Sie öffnen die Fenster der Wahrnehmung, aber nur so weit, dass die Patient_innen von Emotionen oder Erinnerungen an traumatische Erlebnisse nicht verbrannt werden. Und sollte der Trip für jemanden doch einmal zu viel werden, könne der Therapeut jederzeit einschreiten, sagt Hasler. «Mit einem beruhigenden und angstlösenden Arzneimittel lässt sich der Prozess jederzeit stoppen.»

Während «bad trips» selten sind, erleben viele Patient_innen während der Sitzungen ein tiefes Gefühl der Verbundenheit. Nicht nur mit sich selbst, sondern mit der ganzen Welt. Die Grenzen zwischen dem Ich und der Welt werden durchlässig. Nicht selten wird gar von religiösen oder mystischen Erfahrungen berichtet. Wie Hasler betont, geht dabei aber der Bezug zur Alltagsrealität nicht verloren. Im Zusammenhang mit Psychedelika von Halluzinationen zu sprechen, sei deshalb nicht korrekt. «Wenn jemand Stimmen hört und überzeugt ist, dass sie real sind, ist das eine Halluzination.» Das geschehe mit Psychedelika nicht. Es würden nur andere Ebenen erschlossen. Aus therapeutischer Sicht ist das mehr als ein interessanter Nebeneffekt. «Wir sehen, dass jene Patienten mit vielen mystischen Symptomen oder Erfahrungen, einen besseren Therapieerfolg haben.»

Unser Experte Gregor Hasler ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg und Chefarzt des Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit, einem Kompetenzzentrum für psychische Gesundheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind neurowissenschaftliche Psychiatrie, Stress, Depression und Essstörungen.
gregor.hasler@unifr.ch 
Gregor Hasler: Higher Self. Psychedelika in der Psychotherapie. Stuttgart, Klett-Cotta, 2022.