Dossier

Zum Zahnarzt ins Nachbarland?

Ein Blick auf die Unterschiede in den Gesundheitssystemen in Deutschland und der Schweiz.

Viele Indikatoren des Gesundheitszustandes der Bevölkerung in der Bundesrepublik haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert. So liegt die Lebenserwartung in Deutschland bei 80,8 Jahren. Ein allgemeiner Indikator zur Bewertung der Wirksamkeit des öffentlichen Gesundheitswesens bei der Verringerung der Todesfälle durch verschiedene Krankheiten und Verletzungen ist die sogenannte vermeidbare Mortalität. In Deutschland wurden 129 vermeidbare Todesfälle pro 100’000 Einwohner_innen gezählt, in den OECD-Ländern sind es durchschnittlich 158 Fälle.

12,4 Prozent der Bevölkerung schätzt ihre Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht ein. Zu den wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren gehören Rauchen und Alkoholkonsum. 14,6 Prozent der Bevölkerung rauchen. Der Alkoholkonsum liegt mit 10,6 Litern pro Person über dem OECD-Durchschnitt von 8,6 Litern. 16,8 Prozent sind adipös. Die hohe Prävalenz von Risikofaktoren zeigt, dass Präventionsbemühungen noch intensiviert werden können.

Zum Vergleich: In der Schweiz liegt die Lebenserwartung bei 83,9 Jahren, die vermeidbare Mortalität bei 94 Fällen pro 100’000 EinwohnerInnen. 3,9 Prozent der Bevölkerung schätzen ihre Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht ein. 19,1 Prozent rauchen, mehr als der OECD-Durschnitt von 16 Prozent. Der Alkoholkonsum liegt bei 8,5 Litern pro Person. 11,3 Prozent sind adipös.

Gemischte Qualität

Eine qualitativ hochwertige Versorgung setzt voraus, dass Gesundheitsdienste sicher, effektiv und auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abgestimmt sind. Die Effektivität der primären Gesundheitsversorgung wird häufig mit der Anzahl vermeidbarer Krankenhauseinweisungen gemessen. Die chronischen Erkrankungen Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Herzinsuffizienz und Diabetes sind weit verbreitet und können zum Grossteil in der Primärversorgung behandelt werden. Krankenhauseinweisungen für diese Erkrankungen sind weitgehend vermeidbar und werden daher als Indikator für Qualität und Zugang zur Primärversorgung herangezogen, mit der Einschränkung, dass sehr niedrige Einweisungsraten zum Teil auch den eingeschränkten Zugang zur Akutversorgung reflektieren. 2021 zählte Deutschland 728 vermeidbare Hospitalisierungen pro 100’000 Einwohner_innen, mehr als der OECD-Durchschnitt von 463 Fällen. Krankenhausentlassungsraten – die Anzahl der Patient_innen, die ein Krankenhaus nach einem Aufenthalt von mindestens einer Nacht verlassen – sind ein wichtiger Indikator der Krankenhausaktivität. Sowohl vorzeitige als auch verzögerte Entlassungen verschlechtern die Gesundheitsergebnisse und erhöhen die Kosten. Deutschland ist unter den OECD-Ländern mit den höchsten Krankenhausentlassungsraten: 218 pro 1000 EinwohnerInnen im Jahr 2021. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Krankenhaus war 8,8 Tage, also länger als der OECD-Durchschnitt von 7,7 Tagen.

In vergleichenden Studien der Versorgungsqualität schneidet die Schweiz besser ab. Hier gab es 2021 424 vermeidbare Hospitalisierungen pro 100’000 Einwohner_innen. Die Krankenhausentlassungsrate lag bei 165 pro 1000 Einwohner_innen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Krankenhaus war 8,1 Tage.

© raphael.ganz@bluewin.ch
Hohe Kosten

Deutschland gibt 8011 USD pro Kopf für Gesundheit aus, mehr als der OECD-Durchschnitt mit 4986 USD. Dies entspricht 12,7 Prozent des BIP, verglichen mit 9,2 Prozent des OECD-Durchschnitts. Die staatlichen und obligatorischen Versicherungen decken 85 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben ab, inklusive 67 Prozent von Zahnbehandlungen. 3,2 Prozent des durchschnittlichen Haushalts-Budgets wurden 2021 für Out-of-Pocket-Zahlungen für Gesundheit ausgeben, verglichen mit 3,3 Prozent im OECD-Durchschnitt. Der am häufigsten verwendete Indikator zur Messung der finanziellen Belastung durch Out-of Pocket-Zahlungen für Haushalte ist die Häufigkeit von sogenannten katastrophalen Gesundheitsausgaben, die das Haushaltsbudget überschreiten. In Deutschland lag der Anteil der Haushalte mit katastrophalen Gesundheitsausgaben bei 2,4 Prozent, verglichen mit 5,3 Prozent im OECD-Durchschnitt. Jedoch sind in allen Ländern die ärmsten Haushalte am ehesten von katastrophalen Gesundheitsausgaben betroffen.

Die Schweiz gibt 8049 USD pro Kopf für Gesundheit aus. Dies entspricht 11,3 Prozent des BIP. Die staatlichen und obligatorischen Versicherungen decken 68 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben ab, aber nur 6 Prozent der Zahnbehandlungen. 5,5 Prozent des durchschnittlichen Haushalts-Budgets wurden 2021 für Out-of-Pocket-Zahlungen für Gesundheit ausgeben. In der Schweiz lag der Anteil der Haushalte mit katastrophalen Gesundheitsausgaben bei 2,7 Prozent. Damit schneidet die Schweiz im Systemzugang schlechter ab.

Solidarische Krankenversicherungen

In Deutschland gilt gemäss Versicherungsvertragsgesetzes eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Die Krankenversicherung wird von zwei verschiedenen Säulen getragen: der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV). Rund 90 Prozent der Einwohner_innen sind gesetzlich versichert. Deren Beiträge folgen dem Solidaritätsprinzip und richten sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, die Gesundheitsleistungen sind für alle gleich. Die Anfang 2024 knapp 100 existierenden Krankenkassen gewähren sowohl ihren beitragszahlenden Mitgliedern als auch den rund 16 Millionen beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen medizinisch notwendige Leistungen. Die Krankenkassenbeiträge werden zu 50 Prozent von Arbeitgeber_innen und zu 50 Prozent von Arbeitnehmer_innen bezahlt. Nationale Studien zeigen Unterschiede zwischen GKV und PKV auf, unter anderem, dass insbesondere bei Facharztbehandlungen GKV-Versicherte tendenziell länger auf einen Termin warten müssen als PKV-Versicherte.

In der Schweiz ist man gemäss Krankenversicherungsgesetz verpflichtet eine gesetzliche Grundversicherung abzuschliessen. Diese obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) wurde im Jahr 2023 von 44 privaten Krankenversicherungen angeboten. Die Versicherungsprämie ist abhängig von Alter und Region. Rabatte sind durch alternative Versicherungsmodelle möglich, beispielsweise durch eine Erhöhung der Franchise von 300 CHF auf 2500 CHF oder eine Einschränkung der Leistungserbringer. Wenn die Franchise aufgebraucht ist, ist noch ein Selbstbehalt von zehn Prozent an den Gesundheitskosten bis zu einem Maximum von 700 CHF zu bezahlen. Zusätzliche Leistungen können mit Zusatzversicherungen abgedeckt werden. Die Krankenkassenbeiträge werden vollständig von den Versicherten getragen.

Arbeiten im Gesundheitswesen

In Deutschland arbeiten 13,9 Prozent aller Angestellten im Gesundheitswesen und sozialen Berufen, davon sind 77 Prozent Frauen. Pflegefachpersonen sind die grösste Gruppe von Beschäftigten im Gesundheitswesen. In Deutschland arbeiten 12 Pflegefachpersonen pro 1000 Einwohner_innen, verglichen mit 9,2 im OECD-Durchschnitt. Dabei liegt das Verhältnis von Pflegefachpersonen zu Ärzt_innen bei 2,7. Pro 1000 Einwohner_innen praktizieren 4,5 Ärzt_innen, verglichen mit 3,7 im OECD Durchschnitt. Allerdings gibt es regionale Versorgungsunterschiede. 44 Prozent der Ärzt_innen sind 55 Jahre alt oder älter. In Deutschland gibt es relativ gesehen weniger Allgemeinmediziner (16 Prozent) als im OECD-Durchschnitt (23 Prozent) und mehr Spezialist_innen. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 12,4 medizinische Abschlüsse pro 100’000 Einwohner_innen verliehen (Schweiz 12,5, OECD 14,2). Der Anteil an im Ausland ausgebildeten Ärzt_innen liegt in Deutschland bei 13,8 Prozent, in der Schweiz bei 38,4 Prozent (OECD 18,9 Prozent). Häufigste Herkunftsländer von Ärzt_innen ohne deutschen Pass sind Syrien, Rumänien, Österreich, Griechenland und Russland. Der Grossteil der ausländischen Ärzt_innen in der Schweiz stammen aus Deutschland, gefolgt von Italien, Frankreich und Österreich.

Fazit?

Deutschland investiert sehr viele Ressourcen in das Gesundheitssystem. Dafür erhalten die Einwohner_innen einen guten Systemzugang, besser als die Bevölkerung in der Schweiz. Indikatoren der Versorgungsqualität liegen jedoch nur im OECD Mittelfeld, hinter der Schweiz. Zukunftsorientierte Strategien liegen in der Stärkung von Primärversorgung und Prävention.

Unsere Expertin Viktoria Gastens ist Postdoktorandin am Population Health Laboratory (#PopHealthLab) der Universität Freiburg und praktizierende Apothekerin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in Epidemiologie und Öffentlicher Gesundheit, insbesondere der Versorgung von chronischen Krankheiten.
viktoria.gastens@unifr.ch

Referenzen
    OECD (2023), Health at a Glance 2023: OECD Indicators, OECD Publishing, Paris