Forschung & Lehre

Hoffnung aus der Tiefe

Mitten in einer erbarmungslos heissen Wüste, in der ausserordentlich giftige Tümpel zu finden sind, will ein internationales Forschungsteam ein mehrere Kilometer tiefes Loch bohren. Und damit einen bunten Strauss an Erwartungen erfüllen.

Es ist eine verwegene Idee: Mitten in der äthiopischen Wüste ein 2500 Meter tiefes Loch zu bohren. Am heissesten Fleck der Erde, wo die Temperaturen bei durchschnittlich 35 Grad liegen und oft auch mehr als 50 Grad erreichen. Und wo es so gut wie nie regnet. «Die Bevölkerung vor Ort hat sich an diese Bedingungen angepasst, doch die Wasserknappheit macht auch ihr zu schaffen», sagt Anneleen Foubert, Professorin am Departement für Geowissenschaften der Universität Freiburg und Leiterin des «Afar Dallol Drilling»-Projekts. Wie unerbittlich die klimatischen Konditionen sind, hat sie auch am eigenen Leib erfahren, als sie 2013 nach ihrer ersten Expedition im Afar-Dreieck im Spital rehydriert werden musste.

Korallenspuren in der Salzwüste

«Seither schaue ich, dass alle Expeditionsteilnehmenden jeden Tag mindestens sechs Liter Wasser und einen Liter isotonische Flüssigkeit zu sich nehmen», sagt Foubert. Die Expeditionen führen in die Danakil-Senke im nördlichen Teil des Afar-Dreiecks. Die Senke liegt rund 120 Meter unter dem Meeresspiegel und hat eine abwechslungsreiche Geschichte vorzuweisen. Denn im Laufe der letzten 500’000 Jahre hat das Rote Meer die Region mehrmals überflutet, wie Foubert und ihr Team aus den Spuren an den Bergflanken und in den Sedimenten des Beckens schliessen. Immer wenn es warm war auf der Erde und das schmelzende Eis dazu führte, dass die Meere anschwollen, breiteten sich Korallen aus, wo jetzt nur Sand und Salz zu sehen sind. Als auf die Wärmephasen Zeiten folgten, in denen der Meeresspiegel wieder sank, weil ein Teil des Wassers erneut zu Eis gefror, trennten die Danakil-Alpen das Meerwasser in der Senke wieder vom Roten Meer ab. Im Laufe von Abertausenden Jahren verdunstete das Wasser allmählich. Die Bedingungen im riesigen Becken wurden dadurch zusehends harscher, so dass die Korallen schliesslich weichen und den Platz mikrobiellen Überlebenskünstlern überlassen mussten. Und obwohl einzelne Bakterien so klein sind, dass sie nicht mit dem menschlichen Auge zu erkennen sind, haben auch die Mikroben deutliche Spuren im Gestein hinterlassen. Denn oft wachsen sie in Kolonien und bilden Mikrobenmatten, die versteinern können. «Solche eingekapselten Lebensformen haben wahrscheinlich auch bei der Entstehung des Lebens auf der Erde vor rund vier Milliarden Jahren eine grosse Rolle gespielt», sagt Anneleen Foubert.

Die vielen aufeinanderfolgenden Überflutungs- und Austrocknungszeitfenster haben zur Folge, dass im Untergrund der Danakil-Senke Salzschichten zu finden sind, die mehrere Hundert Meter dick sind. Schon seit geraumer Zeit werden die Kalisalze abgebaut und als Düngermittel verwendet. «Noch vor zehn Jahren transportierte die lokale Bevölkerung die Ware auf Kamelen durch die Salzwüste. Seither hat sich vieles verändert», sagt Foubert. Heute rollen Lastwagen auf einem neu gebauten Strassennetzwerk nach Djibouti, von wo das Salz hauptsächlich nach China verschifft wird. Das Hauptaugenmerk der Forschenden liegt jedoch nicht auf dem Salzhandel, sondern auf der erdgeschichtlichen Bedeutung dieses Gebiets, wo drei tektonische Platten auseinanderdriften – und sich im Laufe der nächsten Zehntausenden von Jahren wahrscheinlich eine neue ozeanische Platte bildet.

Dallol, Danakil-Senke im Nordosten Äthiopiens | © Valentin Rime

Giftige Erdsäfte in leuchtenden Farben

Wer diese Entstehung untersuchen will, muss an allen anderen Orten auf der Welt auf den Meeresgrund hinabtauchen. Nur im Afar-Dreieck spielt sich dieser Prozess auf dem Land ab. Zudem weist das Afar-Dreieck auch Vulkane und heisse Quellen auf, wie es sich für eine tektonisch aktive Gegend gehört. Einige dieser Tümpel und Teiche im sogenannten Dallol-Gebiet riechen nach Schwefel und wirken ausserirdisch, weil sie in allen möglichen und unmöglichen Farbtönen leuchten. In der Sprache der lokalen Bevölkerung bedeutet Dallol «Ort ohne Wiederkehr». Tatsächlich ist die Flüssigkeit in einigen dieser farblich aufregenden Tümpel so sauer, dass sie sogar Glas zersetzt, wie die Forschenden um Foubert in Erfahrung brachten, als sie die Tümpel beprobten.

«Der Gelbe See blubbert und stösst giftige Gase aus. Das bezeugen die zahlreichen toten Vögel in seiner Umgebung», hielten andere Forschende in einem wissenschaftlichen Beitrag fest, in dem sie nach den Grenzen mikrobiellen Lebens auf der Erde suchten – und sie in den giftigen, salzig-sauren Erdsäften fanden, die im Dallol-Gebiet an die Oberfläche stossen. Für ihr Vorhaben, an diesem doch eher unwirtlichen Ort ein mehrere Kilometer tiefes Loch zu bohren, hat Foubert ein weitreichendes Netz geknüpft, das sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung vor Ort, Beamte in den äthiopischen Ministerien für Minen und für Ausbildung wie auch Forschungspartner an der Universität von Addis Abeba und weiteren Hochschulen in Äthiopien, in Europa, in Asien und in den USA umfasst.

Foubert und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben mehrere Workshops organisiert, an denen «gut die Hälfte der Teilnehmenden aus Äthiopien kam», sagt die Geologin. An diesen Treffen haben sich die Beteiligten darüber ausgetauscht, wo genau und mit welchen Zielsetzungen die Bohrung erfolgen sollte. So ist ein bunter Strauss an Erwartungen zusammengekommen, die an das Bohrloch geknüpft sind. Während sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa neue Einsichten in die Dynamik der Erdkruste und in die Wechselwirkungen zwischen Mikroben und Mineralien erhoffen, ist die Bevölkerung vor Ort an der Erschliessung von Trinkwasserquellen, an der Nutzung von geothermischer Energie sowie an einem Frühwarnsystem für Erdbeben und Vulkanausbrüche interessiert.

Egalitärer Ansatz

«Wir wollen das Bohrloch deshalb offenlassen und mit Sensoren ausstatten», sagt Foubert. «So holen wir aus der Bohrung mehr heraus.» Denn dadurch wären die Forschenden nach der Bohrung nicht nur mit der Auswertung des Bohrkerns beschäftigt, sondern auch mit der Einrichtung einer Erdbeobachtungsstation in der Tiefe. Vor einem Jahr haben die Forschenden die an den Workshops gesammelten Anliegen im «Afar Dallol Drilling»-Projektantrag schriftlich zusammengefasst. Und den Antrag anfangs 2024 dem «International Continental Scientific Drilling Program» (kurz ICDP) unterbreitet, das seither das Vorhaben geprüft und als «wissenschaftlich herausragend» eingestuft hat. Jetzt geht es darum, die für die Bohrung benötigten 18 Millionen Franken zusammenzutreiben.

«Das ist trotz der hohen gesellschaftlichen Relevanz des Projekts nicht einfach – und erfordert internationale Anstrengungen», sagt Foubert. Für sie steht fest, dass «alle Kolleginnen und Kollegen gleichwertig sind, auch wenn nicht alle über die gleichen finanziellen Mittel verfügen». Diesen egalitären Ansatz verfolgt sie schon lange. So hat sich Foubert etwa für ein Austauschabkommen zwischen der Universität Freiburg und der Universität von Addis Abeba eingesetzt, das 2017 in Kraft getreten ist. Und zwei Jahre später hat sie mit ihrer Familie ein Sabbatical in Äthiopien verbracht, während dem auch ihre beiden Töchter in einem neuen Umfeld «wichtige Lebenserfahrungen sammeln konnten».

Lösungen statt Machtspiele

Foubert selbst hat während ihrem Sabbatical an der Universität von Addis Abeba unterrichtet – und so talentierte Studentinnen und Studenten kennengelernt. Einige davon sind danach in die Schweiz gekommen, um in Fouberts Gruppe zu forschen. «Soeben haben zwei Personen aus Äthiopien ihr Doktorat abgeschlossen», sagt Foubert. «Das sind hoch­motivierte Nachwuchs­wissenschaftlerinnen und -wissen­schaft­ler. Beide haben eine Assistenzprofessur an der Universität von Addis Abeba erhalten – und können jetzt die Vorbereitungsarbeiten für das Bohrloch koordinieren.» Überhaupt will sie mit dem bisher oft beobachteten «kolonialistischen Verhalten in der Forschung» endlich brechen. «Ich glaube fest an Teamarbeit», meint Foubert und fügt hinzu: «In der Wissenschaft sollte es nicht um Machtspiele gehen, sondern darum, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und drängende Fragen zu beantworten.»

Unsere Expertin Anneleen Foubert ist Professorin am Departement für Geowissenschaften der Unifr. Sie interessiert sich für die Spuren, die frühere Lebe­wesen im Gestein hinterlassen haben.
anneleen.foubert@unifr.ch