Dossier
Queere Nonnen mit einer Mission
Sex und Sexualität – und besonders queere Sexualität – werden in vielen religiösen Gemeinschaften tabuisiert oder stigmatisiert. Nicht so im Berliner Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz.
Das zweckmässig eingerichtete Café der Berliner Aids-Hilfe passt nicht richtig zur andächtigen Stille, in der die Novizin auf die Bühne geführt wird. Ihr grell-buntes Augenmake-up, welches üblicherweise einen starken Kontrast zum weiss geschminkten Gesicht bildet, ist nun von einer roten Augenbinde verdeckt. Unter dem weissen Schleier blitzt ein ausgestopfter Spitzen-BH hervor, den sie wie zwei Höcker auf dem Kopf trägt. Sie kniet sich vor die Noviziatsmeisterin, ihr schwarzes Paillettenkleid glitzert. Vor der versammelten Gemeinschaft beginnt das Initiationsritual zu dessen Abschluss sich die Mitschwestern um die Novizin versammeln, um sie gemeinsam emporzuheben. Sie ist nun eine voll ordinierte Schwester im Berliner Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz (OSPI). Sie ist Teil eines internationalen queeren Nonnenordens und hat sich der Verbreitung universeller Freude und der Tilgung stigmatisierender Schuld verschrieben.
Nonnen im Kampf gegen Aids
Entstanden ist der Orden in den 1970er Jahren in der schwulen Subkultur in San Francisco. Mehr oder weniger zufällig fiel die kreative Energie der Gründer_innen auf die Figur der Nonne. Der Orden ist nicht katholisch und hat keine einheitliche religiös-spirituelle Ausrichtung. Die Gründer_innen kombinierten Elemente aus der Drag-Szene mit der Figur der katholischen Nonne und generierten damit Aufmerksamkeit und Wiederkennungswert, welche sie bei ihrer politischen, gemeinnützigen und religiös-spirituellen Arbeit produktiv nutzten. Anfänglich nahmen die Schwestern vor allem an lokalen politischen Protesten teil und sammelten Spenden für die queere Gemeinschaft. Als Reaktion auf queerfeindliche religiöse Bewegungen inszenierten sie vermehrt öffentlichkeitswirksam parodierende Auftritte. Die Aids-Krise der 1980er Jahre veränderte den Fokus ihrer Arbeit jedoch langfristig. Die schwule Gemeinschaft, aus der auch die Ordensmitglieder mehrheitlich stammten, war besonders stark von der Epidemie betroffen. Die Mehrheitsgesellschaft schien gleichgültig gegenüber dem Leiden der Betroffenen und die Stigmatisierung von Homosexualität nahm stark zu. Deshalb verschrieben sich die Schwestern in San Francisco, aber auch an anderen Orten, dem Kampf gegen die Krankheit. Sie verbreiteten Informationen zu Safer-Sex und sammelten Spenden für HIV- und Aids-Bekämpfung. Im Rahmen dieses Aktivismus schufen sie den ersten sexpositiven Ratgeber von Schwulen für Schwule, genannt Play Fair! Dieser behandelt queere Sexualpraktiken umfassend und ohne Stigmatisierung. Er informiert humorvoll über Sexual-Hygiene, Präventivmassnahmen für riskante Sexualpraktiken, Informationen zu sexuell übertragbaren Krankheiten und queer-freundliche Anlaufstellen zu Fragen der sexuellen Gesundheit. Damit leisteten sie essenzielle Pionierarbeit in einer Zeit, in der die breite Gesellschaft sich einer solchen Verantwortung entzog.
Gegen Ende der 1980er Jahre kam das erste Medikament gegen Aids auf den Markt und die Epidemie wurde langsam eingedämmt. Das Trauma dieser Jahre ist in der Ordensgemeinschaft aber bis heute zu spüren. Auch im Berliner OSPI ist die Aufklärung über Safer-Sex ein Grundpfeiler der Ordensarbeit und für viele Mitglieder einer der Hauptgründe dem Orden beizutreten. Sie arbeiten eng mit der Deutschen Aidshilfe zusammen, führen Schulungen zu Safer-Sex durch und bringen ihre Aufklärungsarbeit auch in Randbereiche der queeren Berliner Subkultur. Im Habit und ausgerüstet mit Spendendose und Kondomen gehen sie in Sex-Klubs für schwule und bisexuelle Männer oder in Bars, in denen undokumentierte Sexarbeiter tätig sind. In der queeren Gemeinschaft Berlins sind die Schwestern gern gesehene Gäste und manches Barpersonal spendiert ihnen eine Runde.
In üblicher Ordensmanier war die zu Beginn beschriebene Schwesternweihe mit parodierenden Elementen geschmückt. Zum Beispiel erhielt die Novizin mit einer Fliegenklatsche einen Klaps auf den Hintern, um «demütig» zu bleiben. Dies sollte jedoch nicht über die Ernsthaftigkeit der Ordensarbeit hinwegtäuschen. Die Schwestern sehen sich als Nonnen und werden auch von ihrem Umfeld als solche anerkannt, dazu gehören auch einige in Berlin tätige katholische Nonnen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Schwester während ihrer Arbeit das eine oder andere seelsorgerische Gespräch führt. Die als «asexuell» wahrgenommene Nonnenfigur trägt dazu bei, in stark sexualisierten Kontexten das Vertrauensverhältnis zu den Gesprächspartner_innen aufrecht zu erhalten. In vulnerablen Situationen müssen diese darauf vertrauen können, dass keine Grenzüberschreitungen stattfinden, insbesondere weil Sex und Sexualität oft Thema in solchen Gesprächen sind. Die Schwestern leben deshalb «teilzeitzölibatär», während ihrer Arbeit ist es strengstens verboten, sexuelle Kontakte anzubahnen.
Melissa Wilcox, eine der führenden Forschenden zu den Schwestern, nennt diese Mischung aus Parodie und Ernst auch serious parody. Ein für die Schwesternweihe aufgestellter Altar illustriert diese ernsthafte Parodie: Neben Kerzen und Klangschale steht die gerahmte Todesanzeige eines Berliner Aids-Aktivisten, ein ironisch gemeintes Medikament gegen Homophobie der Schwulenberatung und ein Kondom. Darauf ist eine Marienfigur abgebildet, die ein als Kondom stilisiertes Jesuskind im Arm hält, darüber stehen die Worte «Condom Savior». Zentral auf diesem Altar, schützend flankiert von zwei Abbildungen von Derek Jarman (ein schwuler Regisseur, der von den Londoner Schwestern der Perpetuellen Indulgenz heiliggesprochen wurde) thront ein grosses phallisches Sexspielzeug aus schwarzem Kunststoff. Auf Aussenstehende wirkt ein solcher Altar vielleicht befremdlich oder sogar anstössig, für die Schwestern ist er jedoch ernsthafter Ausdruck ihrer religiös-spirituellen Praktik. Diese typische Vermischung von sakralen und profanen Objekten sowie von Referenzen zu religiös-spirituellen Traditionen der Mehrheitsgesellschaft und des internationalen Ordens, verquert gängige Vorstellungen von Sakralität. Die Erlöserrolle, welche dem Kondom durch die Worte «Condom Savior» zugeschrieben wird, kann im Kontext der lebensbedrohlichen Aids-Krise auch wörtlich genommen werden. Durch die verschiedenen Referenzen zu HIV/Aids, Homosexualität und durch die Zentralität des Phallus auf dem Altar werden gesellschaftlich stigmatisierte Sexualitäten und Lebensentwürfe sakralisiert und damit entstigmatisiert.
Gesellschaftliches Stigma transformieren
Von solchen transformativen Prozessen berichteten auch die Schwestern selbst. Eine Schwester erzählte, dass sie durch ihre Arbeit als queere Nonne ihre Geschlechtsidentität mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen besser vereinbaren konnte. Eine andere kann queerfeindliche und sogar gewalttätige Erfahrungen durch ihre Schwesternarbeit in positive Interaktionen umwandeln und eine weitere hat durch die Ordensgemeinschaft einen Ersatz zu den religiösen Gemeinschaften gefunden, die sie aufgrund ihrer Queerness ausgeschlossen hatten. Es hat sich gezeigt, dass Ordensmitglieder durch die queer-religiöse oder queer-spirituelle Praxis des Ordens internalisiertes und gesellschaftliches Stigma über Sexualität, Geschlechtsidentität und Queerness akzeptieren und produktiv für die Ordensarbeit nutzen können. Gerade deshalb ist es wichtig, gängige Vorstellungen über das Verhältnis von Sex, Sexualität, Queerness und Religion oder Spiritualität zu hinterfragen und queer-religiöse und spirituelle Gemeinschaften und ihre Praxis ernst zu nehmen.
Unsere Expertin Nadia Seiler beschäftigt sich mit Perspektiven der Queer und Gender Studies sowie der Ungleichheitsforschung auf religiös-spirituelle Phänomene. Derzeit beabsichtigt sie, ein Promotionsprojekt zur Praxis queer-religiöser und spiritueller Gemeinschaften zu realisieren. Sie ist Juniorforscherin am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft SZIG der Universität Freiburg. Der vorliegende Artikel basiert auf den Ergebnissen ihrer ethnografischen Masterarbeit, die von der Unifr mit dem Genderpreis 2024 ausgezeichnet wurde.
nadia.seiler@unifr.ch