Forschung & Lehre

Von Lerchen und Nachteulen

Schlaf beeinflusst unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit – und zwar stärker, als vielen bewusst ist. Im Gespräch spricht Schlafforscher Björn Rasch über unterschiedliche Bedürfnisse, Schlafmythen und den Einfluss psychologischer Faktoren auf die Schlafqualität. 

Björn Rasch, wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?

Gut, da ich in Freiburg übernachtet habe. Meine Kinder waren nicht da, um meinen Schlaf zu unterbrechen. Besonders meine 6-jährige Tochter kommt oft nachts zu uns ins Bett.

Haben Sie dann Schwierigkeiten, wieder einzuschlafen?

Ja, besonders wenn sie sich bewegt oder mit den Zähnen knirscht. Wir versuchen, ihr das abzugewöhnen.

Was bedeutet guter Schlaf eigentlich?

Die Definition ist nicht eindeutig. Ein guter Schlaf lässt sich am besten durch das Erholungsgefühl am Tag messen. Schlaf ist dabei sehr individuell – einige brauchen mehr, andere weniger. Ein weiteres Indiz für guten Schlaf ist die Leistungsfähigkeit, eine geringere Anfälligkeit für Infektionen und das Ausbleiben von Müdigkeit in unpassenden Situationen. Beim guten Schlaf wird oft auf die Fragmentierung geschaut: Wie oft und wie lange wacht man nachts auf? Kurze Wachphasen sind günstiger. Tatsächlich wacht jeder gesunde Mensch nachts 20 bis 25 Mal auf, ohne es zu merken. Unser Eindruck, durchgeschlafen zu haben, ist also oft eine Illusion.

Gibt es Unterschiede im Schlafverhalten zwischen Frauen und Männern?

Ja, Frauen schlafen durchschnittlich länger und haben einen höheren Anteil an Tiefschlaf, in dem wichtige Erholungsprozesse ablaufen. Vor der Pubertät sind die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gering. Mit der Menopause gibt es erneut Veränderungen, da Hormone den Schlaf beeinflussen. Insomnie tritt bei Frauen häufiger auf, während Schlafapnoe eher bei Männern vorkommt, besonders bei älteren.

Welche Mythen über Schlaf stören Sie am meisten?

Der 8-Stunden-Mythos. Der stimmt einfach nicht. Er führt oft dazu, dass Menschen glauben, jede Nacht acht Stunden schlafen zu müssen, obwohl die Schlafdauer nicht jede Nacht gleich sein muss und viele vielleicht weniger Schlaf brauchen. Man sollte sich hier keinen Druck machen. Der Schlaf vor Mitternacht als «erholsamster Schlaf» ist ebenfalls ein Mythos. Wichtiger ist die Regelmässigkeit. Die erste Hälfte des Schlafs ist erholsamer wegen des Tiefschlafs, unabhängig davon, wann man ins Bett geht.

Wie stehen Sie zu Powernaps?

Schlaf am Tag kann Konzentration, Gedächtnis und Exekutivfunktionen verbessern und die Müdigkeit reduzieren. Für Menschen mit Schlafstörungen ist ein Nickerchen jedoch oft nicht ratsam, da es den Schlafdruck am Abend reduziert.

Stimmt es, dass Powernaps nicht länger als 15-20 Minuten dauern sollten?

Diese Empfehlung soll verhindern, dass man in den Tiefschlaf fällt, aus dem das Aufwachen schwieriger ist. Tiefschlaf ist zwar erholsam, kann das erneute Wachwerden aber erschweren. Längere Nickerchen sind kein Problem, solange man sich danach erholt fühlt und abends gut einschlafen kann.

Worüber forschen Sie?

Ich untersuche, wie Gedanken, Vorstellungen und Emotionen – also psychische Prozesse – den Schlaf beeinflussen. Bei Insomnie spielen solche Faktoren eine grosse Rolle. Aktuell erforschen wir unter anderem, wie Entspannungsverfahren oder Musik den Schlaf fördern können.

Wie setzen Sie das praktisch um?

Wir spielen beispielsweise Musik im Schlaf ab, um zu beobachten, ob sie die Erholung fördert oder stört. Erste Hinweise zeigen, dass Musik förderlich sein kann, solange sie nicht zu laut ist.

Einige Menschen bemerken im Schlaf absolut nichts – selbst wenn sie ausgeraubt würden.

Es gibt starke individuelle Unterschiede in der Geräuschwahrnehmung im Schlaf.
Unser Gehirn reagiert unterschiedlich auf Geräusche, je nach Bedeutung, die wir ihnen beimessen. In Studien konnten wir zeigen, dass Menschen unterschiedlich auf denselben Ton reagieren, abhängig davon, ob sie angewiesen wurden, darauf zu achten oder nicht.

Psychologische Faktoren wie «Wie wichtig sind mir die Geräusche?» oder «Wie stark empfinde ich ein Geräusch als störend?» beeinflussen den Schlaf erheblich. Lärm stört den Schlaf grundsätzlich, das ist klar. Entscheidend ist jedoch, wie wir die Geräusche bewerten. Zum Beispiel kann das Summen des Kühlschranks sehr störend wirken, wenn es uns grundsätzlich ärgert – dann wird es uns auch nachts wachhalten. Das gleiche Geräusch wird jedoch weniger störend empfunden, wenn wir es ignorieren oder als unbedeutend einstufen.

Beeinflusst Ihre Forschung Ihr eigenes Schlafverhalten? Haben Sie Routinen?

Ja, ich nutze Einschlafhilfen und Entspannungstechniken aus meiner Forschung, wie zum Beispiel Selbsthypnose, auch für mich selbst. Wache ich nachts auf, machte ich Achtsamkeits- oder Atemübungen, damit ich schneller wieder einschlafen kann. Frühe Karrierejahre in der Schlafforschung sind übrigens schlecht für den eigenen Schlaf, da man oft nachts wach ist, um andere beim Schlafen zu beobachten.

Ich muss gerade an den Wecker denken ...

Genau! Manche können weiterschlafen, andere sind noch vor dem Wecker wach, weil sie wissen, dass er klingeln wird.

Melatonin wird oft als Schlafmittel eingesetzt. Was halten Sie davon? Im Gegensatz zu anderen Ländern ist Melatonin in der Schweiz verschreibungspflichtig.

Melatonin ist ein körpereigenes Hormon und zeigt unserem Körper den optimalen Zeitpunkt für den Schlaf. Es kann bei Schlafstörungen hilfreich sein, besonders bei Jetlag. Die Wirkung ist jedoch eher mild, und Licht am Morgen kann manchmal ebenfalls helfen. Wahnsinnig viel muss man sich bei schweren Schlafstörungen von Melatonin nicht versprechen.

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Ist die Zeitumstellung schädlich?

Die Zeitumstellung hat schlafmedizinisch wenig Sinn, da sie den zirkadianen Rhythmus stört. Besonders der «Verlust» einer Stunde im Frühjahr belastet viele. Ältere Menschen und Kinder spüren dies oft stärker, und auch Tiere auf dem Bauernhof könnten betroffen sein. Der ökonomische Nutzen der Zeitumstellung ist gering, weshalb viele die Abschaffung befürworten. Die Entscheidung, welche Zeit beibehalten werden soll, ist jedoch nicht leicht zu treffen. Da wir oft früh starten müssen, wäre die Winterzeit vorteilhafter, da es morgens früher hell wird und der Tag besser beginnen kann. Allerdings zeigen Studien, dass die Anzahl der Verkehrsunfälle steigt, wenn es abends früher dunkel wird.

Was passiert im Körper bei Schlafmangel?

Kurzfristiger Schlafmangel macht uns am nächsten Tag unkonzentriert und gereizt, aber der Körper kann sich erholen. Chronischer Schlafmangel hat jedoch gravierende Folgen für das Immunsystem, den Metabolismus, das Herz-Kreislauf-System und das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes oder Demenz.

Was halten Sie denn von Schlaf-Apps und Wearables?

Einerseits bieten sie eine grosse Chance, da sie viele Informationen liefern, die bisher nur im Schlaflabor verfügbar waren. Allerdings erzeugen sie manchmal auch Druck, da Nutzer_innen ihren «Schlaf­score» überprüfen und sich schlecht fühlen könnten, wenn die Werte nicht ideal sind. Die Hersteller solcher Geräte sollten darauf achten, dass die Rückmeldungen der Uhren keinen übermässigen Druck erzeugen. Zudem betone ich immer wieder, dass sich der Schlaf im Laufe des Lebens verändert. Mit zunehmendem Alter nimmt die Schlafqualität oft ab, was völlig normal ist. Man sollte also nicht erwarten, im Alter genauso gut zu schlafen wie in jüngeren Jahren.

Ist Blaulicht schädlich?

Blaulicht beeinflusst unseren zirkadianen Rhythmus, was zu einer verzögerten Melatoninausschüttung führen kann. Blaulicht­filter können diesen Effekt reduzieren, aller­dings ist der Einfluss nicht sehr gross. Es ist zwar eine gute Empfehlung, abends auf Blaulichtquellen zu verzichten, jedoch ist es eine Illusion, dadurch allein Schlafstörungen beheben zu können. Schlafprobleme haben meist mehrere Ursachen, wie beispielsweise Stress, Belastungen im Alltag, existenzielle Ängste oder eine unregelmässige Tagesstruktur. Auch Tipps wie das Abkühlen des Schlafzimmers auf 18 Grad sind nicht zwingend eine Lösung für Schlafprobleme.

Gibt es Personengruppen, die besonders gefährdet sind, schlecht zu schlafen?

Ja, beispielsweise Eltern, Frauen in den Wechseljahren und Jugendliche, die oft unter Überlastung und Ängsten leiden. Auch Burnout und Stress im Erwachsenenalter können Schlafprobleme verursachen.

Was passiert im Gehirn, wenn wir schlafen?

Früher ging man davon aus, dass das Gehirn im Schlaf quasi «abgeschaltet» ist oder primär der Energieeinsparung dient. Zum Teil stimmt das, doch heute wissen wir, dass das Gehirn auch im Schlaf aktiv bleibt, jedoch in anderen Wellenmustern arbeitet, vor allem im Tiefschlaf. Unsere Nervenzellen wechseln dabei im Rhythmus von etwa einer halben Sekunde zwischen hoher und geringer Aktivität. Ein solcher Wechsel wäre im Wachzustand unvereinbar mit klaren Gedanken. Diese besondere Aktivitätsform ist mit «Ausmistungsprozessen» verbunden und könnte auch das Immunsystem stärken. Die REM-Phase hingegen ähnelt in der Hirnaktivität eher dem Wachzustand. In dieser Phase sind Herzschlag und Atmung beschleunigt, während die Muskulatur vollständig gelähmt ist.

Ist «Schlaf erst einmal darüber» ein guter Ratschlag?

Ja, das kann ich nur empfehlen. Studien zeigen, dass Gedächtnisfunktionen nach einer Nacht Schlaf besser funktionieren und Entscheidungen oft leichter fallen.

Wie hat sich unser Verhältnis zum Schlaf gewandelt?

Unser Bewusstsein für die Wichtigkeit von Schlaf ist gestiegen. Früher, in Zeiten der Industrialisierung, galt Schlaf als hinderlich und war ein Zeichen von Faulheit. Es galt deshalb als schick, diese Zeit möglichst zu verkürzen. Diese Vorstellung gibt es teilweise immer noch, lustigerweise
gerade in der Medizin, obwohl bekannt ist, dass Schlafmangel zu risikoreicheren Entscheidungen führt. Heute wissen wir, dass Schlaf entscheidend für Gesundheit und Leistungsfähigkeit ist.

Sind mehr Menschen Lerchen oder Nacht­eulen?

Die meisten sind eher abends aktiv und haben Schwierigkeiten mit frühem Aufstehen. Trotzdem richtet sich die Gesellschaft nach den Frühaufsteher_innen, was man auch an unserem Schulsystem sehen kann. Das ist aus schlafmedizinischer Sicht wenig sinnvoll ist. Einige Länder sind hier teilweise schon viel weiter als die Schweiz.

Sollten Unternehmen Rücksicht auf Nacht­eulen nehmen?

Unbedingt. Weil wir alle so unterschiedlich sind, wären flexible Arbeitszeiten ideal. Auch Schulprojekte mit späterem Unterrichtsstart und Entscheidungsmöglichkeiten für Schüler_innen zeigen positive Effekte.

Ein letzter Tipp?

Schlaf ist individuell. Statt uns Druck zu machen, sollten wir erst ins Bett gehen, wenn wir wirklich müde sind. Und Schlafprobleme sind ernst zu nehmen: Bei chronischen Schlafstörungen darf man sich professionelle Hilfe holen. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss!

Unser Experte Björn Rasch ist Professor für Kognitive Biopsychologie und Methoden und Schlaf­forscher am De­par­­tement für Psychologie.
bjoern.rasch@unifr.ch