Dossier

«Politisches Vertrauen muss verdient werden»

Von Vertrauen ist in der Regel dann die Rede, wenn es nicht mehr da ist. So gesehen scheint die Tatsache, dass hierzulande Vertrauen und insbesondere politisches Vertrauen wenig thematisiert werden, darauf hinzuweisen, dass die Schweiz damit wenig Probleme hat – gerade auch im Vergleich mit dem Ausland. 

Die Schweiz gehört, zusammen mit den skandinavischen Ländern, zu den «high trust-Ländern», in denen sowohl das soziale Vertrauen unter den Menschen, wie das politische Vertrauen in die politischen Institutionen und in die Regierung hoch sind. Die direkte Demokratie erlaubt darüber hinaus die Kanalisierung von Misstrauen. Gesundes Misstrauen des skeptischen Bürgertums gegenüber der politischen Macht ist das, was den liberalen Staat ausmacht.

Vertrauen und Skepsis

Politische Institutionen sollen verhindern, dass skrupellose Politiker ihre Macht missbrauchen. Sie sollen vertrauensfördernd und vertrauenswürdig sein. Das Wissen darum, dass Rechte geschützt werden, ermöglicht dieses Vertrauen. Es muss davon ausgegangen werden können, dass die Kontrollmechanismen im liberalen Rechtsstaat funktionieren, aber es muss auch dafür gesorgt werden, dass Regierungen rechenschaftspflichtig sind und das einhalten, was sie versprochen haben an Leistungen. Dazu braucht es Bürger_innen, die das Handeln der Regierung kritisch begleiten. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Politisches Vertrauen beruht immer auf einer Mischung von Vertrauen und Misstrauen im Sinne von Skepsis. Was geschieht aber, wenn Misstrauen sich nicht mehr nur auf einzelne Aspekte in der Politik z.B. gegenüber dem Parlament oder der Regierung äussert, sondern generalisiert wird? Mark E. Warren macht hierzu eine wichtige Unterscheidung: In Demokratien sind die sogenannten politischen Institutionen wie Parlamente und Regierungen zu trennen von den staatlichen unparteiischen Institutionen der öffentlichen Verwaltung, deren Behörden (Vollzugsbeamte, Polizei, Gerichte usw) im öffentlichen Interesse handeln (sollen) und von daher gesehen schon als solche höheres Vertrauen geniessen als Parlamente und politische Parteien. Wenn Mis­strauen nicht mehr nur in den politischen Institutionen, also in den Parlamenten, wo es um Konfliktaustragung geht, kanalisiert und ausgedrückt wird, sondern auch auf diejenigen Institutionen ausgedehnt wird, die mit der Bereitstellung und Sicherung öffentlicher Güter betraut sind, dann riskiert die Demokratie Schaden zu nehmen.

Der Fall Trump

Man stelle sich vor, dass in Wahlen nicht mehr vorausgesetzt werden kann, dass die Stimmen richtig gezählt werden. Wahlfälschungen findet man normalerweise nur in autoritären Regimes. Aber was, wenn die Wählerinnen und Wähler das Resultat der Wahlen in einer Demokratie nicht akzeptieren, weil es ihnen nicht passt, dass der von ihnen präferierte Kandidat nicht gewählt worden ist? In den USA ist genau dies geschehen: Ein Teil der Wählerschaft hat die Niederlage von Trump in den Präsidentschaftswahlen von 2021 nicht akzeptiert und misstraut dem Wahlverfahren. Wenn sogar den Verfahren nicht getraut wird, die dafür sorgen sollen, dass demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheide entstehen, dann wird dem ganzen System misstraut. Umfragen stellen für die USA eine alarmierende Erosion des politischen Vertrauens in zentrale politische Institutionen fest: An ehrliche Wahlen sollen mittlerweile nur noch 44 Prozent der Amerikaner_innen glauben, dies im Unterschied beispielsweise zu den Briten mit 70 Prozent. Das politische Vertrauen in den USA ist schon seit längerem am Sinken, aber es ist vor allem der populistische «Brandbeschleuniger» Trump, der mit seinen Anschuldigungen zu den «gestohlenen Wahlen» dazu beigetragen hat, dass das Misstrauen in zentrale politische Institutionen wie Wahlverfahren und Justiz stark zugenommen hat. Überhaupt scheint die Polarisierung in den USA auch zur Polarisierung von Vertrauen geführt zu haben. Vertraut bzw. misstraut wird immer mehr entlang Parteilinien.

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Blick auf Europa

Von solchen Verhältnissen sind wir hierzulande weit entfernt. Aber ein Blick über die Schweizer Grenze weist auch auf beunruhigende Entwicklungen in mehreren europäischen Ländern hin. Hier müsste zuerst von der verbreiteten Unzufriedenheit mit den Leistungen von Regierungen die Rede sein, die zur Schwächung von Regierungsparteien und zur Stärkung von populistischen rechtsnationalen bzw. rechtsextremen Parteien geführt hat, was die Europa­wahl soeben gezeigt hat. Hinter dieser Unzufriedenheit zeigt sich ein Misstrauen, das von den Regierenden nicht mehr erwartet, dass sie die Probleme zu lösen vermögen. Frankreich ist ein Beispiel dafür, wie die Frustration über die ungelösten ökonomischen, sozialen und politischen Probleme von weiten Teilen der Bevölkerung vom Rassemblement National (RN) ausgenützt werden konnte und diesem zu seinem Wahlsieg verholfen hatte. Das RN kapitalisiert gewissermassen das verbreitete politische Misstrauen gegenüber den politischen Eliten, das sich in den vergangenen Jahren immer wieder in unterschiedlichen Protestformen geäussert hat.

Aber auch populistische Parteien werden daran gemessen werden müssen, ob sie imstande sein werden eine kompetentere Politik zu machen als die Regierungsparteien, denen Versagen vorgeworfen wird. Ob sie imstande sein werden mehrheitsfähige Lösungen anzubieten, daran bestehen berechtigte Zweifel, denn zu sehr beziehen solche Parteien ihren Brennstoff aus der Polarisierung und der Kultivierung von Feindbildern. Sie müssten genau dies unsichtbar machen, um zu einer «normalen» Partei zu werden.

Was aber wenn es nicht nur um die Überwindung von Inkompetenz geht, sondern um die Realisierung einer illiberalen Politik, wie das einige osteuropäische Länder, z.B. Ungarn und Polen vorgemacht haben, in denen populistische Parteien an die Macht gekommen sind. Hier wurde nicht einfach eine kompetentere Politik angestrebt, sondern eine Instrumentalisierung der politischen Institutionen, v.a. der Justiz zwecks Machtmaximierung und Kontrolle der Gesellschaft. Aber auch populistische Regierungen können sich durch Inkompetenz und überrissene Machtansprüche diskreditieren, wie das Beispiel Polen im vergangenen Herbst gezeigt hat, wo die konservativ-reaktionäre PIS die Wahlen verloren hat. Hier kann sehr gut gesehen werden, wie die durch die Populisten geschürte Polarisierung der Gesellschaft das Misstrauen verstärkt hatte, das diese mit ihrem nationalistischen Diskurs zu überwinden meinte.

Politisches Vertrauen kann verloren gehen, es kann aber auch wieder steigen – überhaupt oder in einzelnen Politikbereichen, wenn die Leistungen der Regierenden wieder überzeugender werden. Das kann lange dauern. Politisches Vertrauen muss verdient werden! Durch Wahlen werden Misstrauen bzw. Vertrauen ausgedrückt, wird über das Schicksal von Parteien und Regierungen entschieden. Unzufriedenheit mit der Politik kann sowohl über Proteste wie über das Abwandern von Wählern zu populistischen Parteien ausgedrückt werden. Neben diesem «Voice»-Aspekt der Enttäuschten gibt es aber auch den «Exit», der sich z.B. dadurch äussern kann, dass an den Wahlen nicht mehr teilgenommen wird oder gar, dass das Land verlassen wird. In Frankreich, so liest man, nimmt einer von zwei Wählern nicht mehr an Wahlen teil. Das kann bis zur völligen Entfremdung vom politischen System führen, die v.a. untere Schichten der Bevölkerung betrifft. Wenn die Spaltung zwischen den Regierenden mit ihren Eliten und breiten Bevölkerungsschichten zu gross wird, dann kann es so weit kommen, dass nicht mehr nur eine einzelne Politik oder eine Regierung in Frage gestellt wird, sondern auch das Regierungssystem und mit diesem die Demokratie im Lande. Die Autokratisierung in diversen osteuropäischen Ländern zeigt, dass Demokratie nicht unbedingt «the only game in town» ist. Reformunwillige und korrupte Regierungen diskreditieren zusammen mit ineffizienten Institutionen die Demokratie und zerstören das politische Vertrauen der Bürger. Die Slowakei wäre hier z.B. zu nennen, wo mittlerweile eine Mehrheit der jüngeren Generation das Land verlassen will.

Von Bürgern zu Untertanen

Die Alternative zur Demokratie ist die Autokratie. Diktatoren wie Putin, mit dem rechtsextreme Parteien in Europa sympathisieren, erhalten wie die erwähnten Demokratien hohes politisches Vertrauen. Allerdings handelt es sich hier um ein auf eine Person fixiertes personalisiertes Vertrauen, auf das sich auch viele populistische Leader abstützen. In Putins «schöner neuer Welt» lässt sich gut zeigen, wohin man gelangt, wenn der kritische Bürger der Demokratie ersetzt wird durch den gehorsamen Untertanen. Ganz anders die Ukraine, die trotz dem Krieg mit dem Aggressor Russland keinem Diktator huldigt und den kritischen Bürger hochhält, der den politischen Institutionen und deren Vertretern nur solange Vertrauen schenkt, wie sie es verdienen.

Unser Experte Nicolas Hayoz ist Professor am Departement für Europastudien und Slavistik.
nicolas.hayoz@unifr.ch

Referenzen

  • Mark E. Warren, 2018, Trust and Democracy, In: Uslaner, Eric (Hrsg.), The Oxford Handbook of Social and Political Trust. Oxford: Oxford University Press, 75–94.
  • Economist vom 17.4.2024 «America’s trust in its institutions has collapsed»