Fokus

Im Museum auf Zeitreise

Mit der Gründung des BIBEL+ORIENT Museums vor 20 Jahren wurde Forschung zu altorientalischen Kulturen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und noch heute beschäftigt sich das Museum mit der Frage: Was hat die Bibel mit uns zu tun?

Wer Bibel hört, riecht Weihrauch und Myrrhe. Für viele ist das Heilige Buch des Christentums nicht von der Kirche zu trennen. Doch die Bibel ist mehr als das, sie ist Zeugin der Geschichte.

«In unserem Kulturkreis sind Bibel und Religion oft untrennbar miteinander verbunden», sagt Thomas Staubli, Delegierter des Departements für Biblische Studien im Stiftungsrat des BIBEL+ORIENT Museums und bis 2012 dessen Direktor. «In der Schule haben wir die Bibel nie ausserhalb des religiösen Kontextes gelesen – nicht als Teil des Weltkulturerbes. Das ist bedauerlich.» Viele der Vorstellungen, die wir heute von Recht und Gerechtigkeit haben, stammen aus der Bibel und den damit verbundenen alten Kulturen. «Die Bibel ist jung geblieben, auch wenn sie Jahrtausende alt ist», betont Staubli. Unsere Literatur sei zu einem grossen Teil biblische Rezeptionsliteratur, Anspielungen und Verweise auf biblische Erzählungen und Konzepte fänden sich in vielen grossen Werken der westlichen Tradition.

Back to the future

Das Museum betrachtet die Bibel nicht nur als religiöses Buch, sondern als ein Kulturgut. «Wir müssen uns bewusst machen, dass unsere Kultur starke Wurzeln in dem Kontext hat, in dem die Bibel entstanden ist», so Staubli. Die Exponate des Museums ermöglichen es, diese Verbindungen sichtbar zu machen. «Die ausgestellten Objekte helfen, Brücken zu schlagen und zu zeigen, dass die Bibel auch heute noch von grosser Bedeutung ist – sie ermöglicht uns, unsere eigene Geschichte besser zu verstehen.»

Die Verbindung zwischen den biblischen Texten und unserer Gegenwart ist viel tiefer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Und genau diese Zusammenhänge möchte das Museum wie eine Zeitmaschine erlebbar machen. Ein Beispiel ist unser Kalender, der eng mit der jüdischen und christlichen Zeitrechnung verbunden ist. Oder das Alphabet und das Vertragswesen, zwei Errungenschaften, die auf Erfindungen der Kanaanäer zurückgehen und unsere moderne Zivilisation immer noch prägen. Die Einzigartigkeit des Museums besteht darin, dass es Bibel und Orient verbindet. «Das Plus ist mir persönlich sehr wichtig», so Staubli. Die Bibel könne nicht gelesen werden, ohne den kulturellen Kontext zu verstehen.

Wissenschaft für alle

Eine wichtige Rolle im Bestehen des BIBEL+­ORIENT Museums spielt seit jeher die Universität Freiburg als Mitbegründerin. «Diese Partnerschaft ist eine Lebensquelle», erklärt Staubli. Für Studierende sei es besonders wichtig zu erkennen, dass hier nicht nur abstrakte Textwissenschaft, sondern Forschung mit und an Objekten betrieben wird. «Die Verbindung zur Wissenschaft macht das Museum interessant», ist Staubli überzeugt. Früher wurden die Objekte im Unterricht zur besseren Veranschaulichung eingesetzt. Heute ist dies aus versicherungstechnischen Gründen nicht mehr der Fall. Doch Ausstellungsmacher Staubli hatte auch hier eine Idee: Auf 81 Info­tafeln sind die wesentlichen Motive der neuen Ausstellung «700 Skarabäen: Die Sammlung Keel» mit Hintergrundinformationen zusammengetragen und so für den Unterricht aufbereitet. «Ausstellungen zu konzipieren, das inspiriert mich. Denn hier kann ich eine Verbindung zwischen der Wissenschaft und dem Museum herstellen – und so auch mit der Öffentlichkeit», so Thomas Staubli.

Forscher und Entdecker

Das BIBEL+ORIENT Museum ist untrennbar mit dem Lebenswerk und der Forschung von Othmar Keel verknüpft. Einem Mann, der sich nicht nur als Forscher, sondern auch als passionierter Entdecker versteht. Er empfängt «universitas» zu Hause in seinem Büro, einem Raum wie eine Bibliothek. Regale voller Bücher, einige schon ein wenig abgegriffen, als ob sie Zeugen zahlloser gedanklicher Abenteuer wären. Von 1969 bis 2002 war Keel Professor für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Universität Freiburg. Besonders prägend für ihn ist eine seit seiner Jugend ungebrochene Neugierde, die Bibel im Kontext der altorientalischen Kulturen besser zu verstehen. Keels langjährige Verbindungen nach Palästina und Israel führten ihn zu seiner privaten Sammlung von Skarabäen, die mittlerweile als eine der weltweit bedeutendsten gilt. Der 87-Jährige hat rund 40 Bücher verfasst, im Gespräch und zur Veranschaulichung seiner Erzählungen greift er oft ins Regal.

Schon in der Gymnasialzeit entdeckte er seine Liebe zur Bibel und zur Theaterkunst, verwebte biblische Zitate in seine sieben Theaterstücke und las die Heilige Schrift zuerst auf Deutsch und später auch auf Hebräisch. 1960 begab sich der damals 22-Jährige erstmals nach Israel. Er durchstreifte das Land zu Fuss und mit dem Bus, begegnete Menschen, knüpfte Verbindungen, die sein Leben und seine Forschung massgeblich beeinflussen sollten. Doch das war erst der Anfang. Mit einer Vespa und einer unstillbaren Neugier auf die Welt des Alten Orients reiste Keel 1964 nach Ägypten. «Ägypten auf diese Weise zu entdecken und sogar den Bau des Assuan-Staudamms zu erleben – das blieb damals den meisten Touristen verborgen.»

 © Pierre-Yves Massot

In den Tempeln des Landes entdeckte er die symbolische Bedeutung der Bilder und Reliefs, die für viele seiner Zeitgenossen noch ein Geheimnis waren. Diese Erlebnisse führten zu seiner ersten Publikation «Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament am Beispiel der Psalmen» (1972). Das Werk erschien in fünf Auflagen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt, zuletzt, 38 Jahre nach der Originalpublikation, noch ins Japanische. Doch Keel wollte mehr – er wollte die Bilder verstehen, die von den alten Kulturen des Orients hinterlassen wurden. Mit der Gründung der «Freiburger Schule» verfolgte Keel seine Vision weiter: Das Kompetenzzentrum für altorientalische Ikonographie strahlte weit über Freiburg hinaus. Er kämpfte für das Recht der Bilder, gesehen zu werden – als gleichwertiges Medium neben dem Wort. Denn Bilder haben, wie er betont, «genauso viel zu sagen wie Texte».

1975 reiste Othmar Keel mit seiner Familie und seinem weissen Renault 4 nach Jerusalem. «Damals gab es noch keine Intifada, und mit dem Auto konnten wir uns frei bewegen», erinnert er sich. Zu dieser Zeit arbeitete er am Buch «Orte und Landschaften der Bibel», gleichzeitig führte ihn ein israelischer Ägyptologe in die Welt der Skarabäen ein – kleine Amulette oder Stempel aus Steatit, die Geschichten von Menschen und Kulturen der Antike erzählten. Diese kleinen Objekte wurden für Keel zu einem wichtigen Zeugnis der Vergangenheit, ähnlich wie Briefmarken, die Geschichten über die Welt und ihre Menschen vermitteln. Und er begann, selbst Skarabäen zu sammeln. «Sammeln ist eine urmenschliche Beschäftigung», sagt Keel. In seiner Skarabäen-Sammlung, die vor 50 Jahren in Jerusalem ihren Anfang nahm, fand er einen Weg, die Erinnerungen an diese alten Kulturen festzuhalten. Keels Leidenschaft und Neugier leben heute in den Exponaten des BIBEL+ORIENT Museums weiter. Mit dem Jubiläum und der neuen Ausstellungsfläche wird auch sein Lebenswerk gewürdigt. «Da bin ich schon stolz», sagt Othmar Keel etwas schüchtern, «und vor allem dankbar all jenen, die zum Entstehen und Fortbestehen der Sammlung und des Museums beigetragen haben und beitragen werden.»

Alte Welt trifft neue Welt

Es brauchte viel Begeisterung und Engagement, bis das Museum schliesslich gegründet und später eröffnet werden konnte. Sage und schreibe zehn Jahre vor der formellen Gründung ist bereits eine erste Sitzung mit Protokoll dokumentiert. In der Zwischenzeit fanden zahlreiche Ausstellungen statt, in Vitrinen und Schaufenstern, aber auch in Kommunikationsmuseen im In- und Ausland, in naturhistorischen und in Diözesan­museen. «Wir sprechen und sprachen unterschiedliche Zielgruppen an», erklärt Staubli. Das Museum, ein echtes Start-up, erhielt in den Anfängen Unterstützung von der Gebert-Rüf Stiftung – eine Anschubfinanzierung, die eng mit einer Innovation verbunden war: der Digitalisierung jedes Objekts. «Der globale Zugang zu diesem Kulturerbe war mir von Anfang an ein Anliegen. Damals war das Internet noch jung, zusammen mit dem Zentrum Paul Klee waren wir Pioniere», so Staubli. Die daraus entstandene Datenbank legte schon früh den Grundstein für die enge Verbindung zwischen Museum, Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Wünsche für die Zukunft

Das Museum ist 20 Jahre alt und damit erwachsen. Thomas Staubli: «Es ist auch dank der guten Beziehung zur Uni voll im Saft und wird als ausgewachsene Persönlichkeit, als etablierte Institution wahrgenommen. Das Museum ist aus der Freiburger Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken.» Sein Wunsch: Auch in 100 Jahren soll das Museum modern und relevant sein. Und die Brücke schlagen zu den Ursprüngen der Bibel, diesem Buch der Bücher, in dem Geschichte und Gegenwart miteinander verbunden werden.

700 Skarabäen

Die Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen des Museums starten mit der neuen Ausstellung «700 Skarabäen: Die Sammlung Keel». Dank der Universität erhält das Museum dauerhaft zusätzlichen Ausstellungsraum, wodurch sich die Fläche nahezu verdoppelt. Gezeigt wird die Bildwelt von 700 Siegelabdrücken, die ein Fenster in die kulturelle und religiöse Welt Kanaans öffnet.

Wie alles begann

Am 23. Februar 2005 gründeten der Kanton Freiburg, die Universität Freiburg und der Verein «Projekt BIBEL+ORIENT» die Stiftung BIBEL+ORIENT zum Zweck der Aufwertung und Entwicklung der Sammlungen und dem Ziel der Schaffung eines Museums. 2014 wurde das Museum in den heutigen Räumlichkeiten der Universität Freiburg offiziell eingeweiht. Die Sammlung umfasst heute rund 15'000 Objekte. Sie wurde durch Schenkungen und Ankäufe stetig erweitert und besteht u.a. aus Amuletten, Rollsiegeln aus dem Vorderen Orient und ägyptischen Stempelsiegeln in Form von Skarabäen. Es ist nach dem Ägyptischen Museum in Kairo und dem Britischen Museum in London die drittgrösste Skarabäen-Sammlung der Welt. Die Sammlung umfasst aber auch zahlreiche grössere Objekte, wie z. B. bemalte Gefässe, Reliefs, Terrakotta- und Bronzefiguren, Handschriften sowie Repliken bedeutender Werke aus anderen Museen und Sarkophag-Fragmente.
bible-orient-museum.ch

Unser Experte Thomas Staubli ist Ober­as­si­s­tent an der theologischen Fakultät. Von 2005 bis 2012 war er Leiter des BIBEL+ORIENT Museums. Heute ist er Stiftungsrat und damit Bindeglied zwischen dem Departement für biblische Studien und dem Museum.
thomas.staubli@unifr.ch

 

 

Unser Experte Othmar Keel ist emeritierter Professor für Altes Testament und Biblische Umwelt. Er lehrte von 1969 bis 2002 an der Uni Freiburg. Keel war massgeblich an der Gründung des Museeums beteiligt.
othmar.keel@unifr.ch