In ihrer interdisziplinären Studie untersucht Sandra Hotz, wie wir Kinder mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen optimal fördern können. Alma & Georges erzählte sie im Interview, dass Ritalin nicht die einzige Behandlungsmethode ist, und dass durchaus Hoffnung auf einen geregelten Alltag besteht für Eltern mit anspruchsvollen Kindern.
Warum wird die Diagnose AD(H)S öfter gestellt? Man hat bisweilen den Eindruck, in jeder Schulklasse sässe ein Kind mit AD(H)S. Hat die Anzahl an Kindern mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen tatsächlich zugenommen in den letzten Jahren?
Wir müssen unterscheiden zwischen der Diagnose von AD(H)S und der Verschreibung von Medikamenten. Zur Therapie von AD(H)S wird ein Methylphenidat (MPH) eingesetzt. Das bekannteste unter diesen heisst Ritalin. Es gibt meines Wissens leider keine schweizerische Statistik über die Anzahl der Diagnosen zu AD(H)S. Sie wird genau genommen „nur“ daraus geschlossen, dass mehr MPH verschrieben werden. Es existieren jedoch Studien zum Anstieg der Verschreibung von MPH über die letzten 10-15 Jahre aus der Schweiz. In den letzten fünf Jahren scheinen die Zahlen zu den Abgaben aber stagniert zu haben.
Weshalb zweifeln Sie am aktuellen Diagnoseverfahren?
Für die Gesundheit des Kindes ist es extrem wichtig, dass seriöse Diagnosen getroffen werden, damit Medikamente nicht unnötig zum Einsatz kommen. Fachärzte vermuten, dass Kinder möglicherweise zu schnell und ohne spezifische differenzialdiagnostische Verfahren mit AD(H)S diagnostiziert werden. Diese Verfahren sind tatsächlich kompliziert und sollten immer wieder überprüft werden. Zusätzlich erfüllt jeder Mensch ab und zu Kriterien wie impulsiv sein, ablenkbar sein, etc. Das heisst die Kriterien sind teilweise unscharf. Um eine AD(H)S Diagnose stellen zu können, müssen Kinder mindestens sechs Kriterien aus dem DSM 5-Katalog erfüllen und diese Kriterien in zwei Lebensbereichen aufweisen. Erst wenn sich diese Symptome mindestens während sechs Monaten zeigen und eine gewisse subjektive Schwere der Beeinträchtigung des Kindes sichtbar wird, ist von einer seriösen Diagnose zu reden.
Welche Alternativen stehen zur Verfügung?
Wir untersuchen, was die Eltern und die Schule in der Erziehung beitragen können. Sonderpädagogische oder pädagogisch-therapeutische Förderung sowie diätische Massnahmen stehen in der Regel zur Verfügung. Das Angebot zur Therapie von AD(H)S ist gross. Es ist entscheidend, dass jede Fördermassnahme unter Mitsprache des Kindes auf seine Bedürfnisse hin „massgeschneidert“ wird; dann beobachtet und laufend adjustiert wird.
Was wäre eine optimale Persönlichkeitsentfaltung eines AD(H)S-Kindes?
Wie jedes Kind, braucht eines mit AD(H)S Zuneigung und neben einer ausgewogenen Ernährung das Gefühl von Akzeptanz und Vertrauen. Jedes Kind soll ernst genommen werden, in seinen Stärken gefördert und in seinen Schwächen unterstützt werden. Dafür braucht es viel Information, Offenheit und entsprechende Schulung. Wir müssen Menschen in ihrer Andersartigkeit akzeptieren. Alle Kinder haben grundsätzlich Platz in der Grundschule, ob ein Kind unsere Sprache nicht spricht, kurzsichtig ist oder eines ist, das lieber aus dem Fenster schaut und vermeintlich nichts hört. Wir sollten auch dafür schauen, dass sie mit einem gewissen „Nachteilsausgleich“ (z.B. Prüfungszeitverlängerung, mehr Pausen) in der Schule rechnen können.
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Thematisch beschäftigt sich Sandra Hotz mit Fragen der ‚Selbstbestimmung’ – des Kindes, der alten Person, der Frau, des Patienten oder der Konsumentin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Personen- und Familienrecht sowie im Vertragsrecht und der Rechtsvergleichung. Ihre Forschungsinteressen betreffen Fragen am Schnittpunkt von Recht und Ethik sowie Recht und Kultur.
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