Von der Zirkusmanege in den Hörsaal: Die Filmemacherin und Lehrbeauftragte Anka Schmid porträtiert Frauen, die in der Manege Tiger küssen – und steckt Freiburger Studierende mit dem Filmvirus an.
Anka Schmid, mit Ihrem jüngsten Dokumentarfilm «Wild Women – Gentle Beasts» begaben Sie sich in den Raubtierkäfig – ein gefährliches Terrain. Wie ist dieses Filmprojekt entstanden?
In der Endphase eines Films geht es mir darum herauszufinden, welchem Thema ich mich als nächstes widmen werde. In meiner Denkschublade befinden sich immer verschiedene Filmideen, die miteinander wetteifern. Als ich vor vier Jahren an der Berlinale 2011 meinen Film «Mit dem Bauch durch die Wand» präsentierte, sagte ich zu meiner Produzentin Franziska Reck: Ich möchte einen Film über Raubtierdompteurinnen drehen. Sie war sofort einverstanden, denn sie ist ebenfalls vom Zirkus begeistert, war sogar als junge Frau eine Saison lang mit einem Zirkus als Lehrerin unterwegs. Bereits als Mädchen wollte ich Raubtierdompteurin werden. «Schuld» waren die faszinierenden Auftritte der Tigerdompteuse in der Fernsehserie «Salto Mortale». Meine Faszination für den Zirkus war ein früher Auslöser, der sich vor vier Jahren wieder aufgedrängt hat. Aber auch die Thematik der Artistinnen, ihre enorme Leidenschaft für ihre Tiere und den aussergewöhnlichen Beruf ist mir nicht fremd. Und bei einem Dokumentarfilm stellt sich immer auch die Frage, was sich hinter dem Bild verbirgt: Schöne Frauen und wunderbare «wilde» Tiere, was sind die Vorurteile und was ist die Realität?
Sie haben vier Jahre am Film gearbeitet und vier Raubtierdompteurinnen auf ihrer Reise mit dem Zirkus begleitet. Wie haben Sie die Frauen ausgewählt?
Von Anfang an hat mich die Situation von mehreren Frauen aus verschiedenen Ländern interessiert. Das Frauenbild und die Vorstellung vom Umgang mit dem Tier sind jeweils anders, diese Besonderheiten wollte ich zusammen über vier Situationen verdichten. Also begann ich mit der Recherche, schrieb Zirkusse weltweit an, besuchte verschiedene Dompteurinnen und fand so schliesslich meine Protagonistinnen und ihre Tiere: Carmen Zander aus Deutschland dressiert Tiger, Anosa Kouta aus Ägypten Löwen. Aliya Takshantova aus Russland arbeitet mit Bären und Namayca Bauer, Schweizerin aus Frankreich, mit Löwen und Tiger. Im zweiten Jahr erhielt ich die Finanzierung und konnte mit den Dreharbeiten beginnen. Die gemeinsame Reise mit den Zirkusfrauen war eine unvergessliche Erfahrung. Beim Filmen waren mein Team und ich augenblicklich fasziniert von der Sinnlichkeit des Themas.
«Wild Women – Gentle Beasts» wird an vielen internationalen Filmfestivals gezeigt. Wie reagiert das Publikum auf den Film?
Bis jetzt ist das Echo durchwegs positiv und in der Presse erhielt der Film hervorragende Kritiken. Genauso wichtig ist aber ein direktes Feedback, dass ich erhalte, wenn ich den Film begleite. Die Reaktionen auf den Film sind intensiv. Viele Zuschauer waren überrascht, dass es kein Zirkusfilm ist, sondern um viel mehr geht. Entgegen ihren Erwartungen werden die Menschen berührt durch die hautnahe Beziehung der Dompteurinnen zu ihren Tieren. Die Eigendynamik eines Films ist zum Glück nicht kalkulierbar!
Seit vier Jahren leiten Sie das «Praxisseminar Film und Fernsehen» an der Universität Freiburg. Wie findet eine preisgekrönte Filmemacherin ihren Weg nach Freiburg?
Im Verlauf meiner Karriere habe ich punktuell immer wieder an verschiedenen Filmschulen unterrichtet, weil mich junge Menschen interessieren. Die Universität Freiburg war ein verlockender Ort für mich, da ich die Vorgänger des Seminars kenne und schätze: Karl Saurer war mein Dozent in Berlin und Stephan Portmann kannte ich als Leiter der Solothurner Filmtage. Als Karl Sauerer aufgehört hat, durfte ich eine Probelektion halten. Das war vor vier Jahren. Nun unterrichte ich an sieben Montagen pro Semester und das lässt sich wunderbar mit meiner Leidenschaft, dem Filmemachen, verbinden. Ich arbeite mit einer kleinen Gruppe von 14 bis 20 Studierenden. Sie erhalten ein Thema (zwei Filmprojekte), das sie in einem kurzen Zeitraum realisieren können und produzieren dazu ein Interview und ein Kurzporträt. Die Studierenden können im Seminar konkret an der Materie arbeiten und dabei wichtige praktische Erfahrungen im Film- und Fernsehbereich sammeln. Diese wenden viele meiner Studentinnen und Studenten anschliessend bei Unicam an. Der Kontakt mit den Studierenden ist sehr spannend für mich und ich möchte sie natürlich alle mit dem Film-Virus «infizieren»!
Welche Botschaft geben Sie ihren Studierenden mit auf den Weg?
Da gibt es mehrere: Zum einen möchte ich ihnen zeigen, dass ein Film unvorhersehbare Eindrücke beinhalten kann und man diese neue Sichtweisen an sich heranlassen sollte. Zum anderen muss man in der Filmbranche immer mehr wollen als einfach die Pflicht erfüllen und man darf bei Widerstand nicht aufgeben, denn der bringt uns weiter. Und abschliessend das Wichtigste: es braucht grosse Leidenschaft!
Wohin führt Sie ihre Filmreise als nächstes?
Es sind zwar noch Gesuche hängig, aber ich hoffe sehr mein nächstes Projekt realisieren zu dürfen: einen Film über die symbolische Kraft der menschlichen Haare.
Anka Schmid ist 1961 in Zürich geboren. Seit 1981 produziert sie eigene Kurzfilme und Videos. 1984-90 Studium an der DFFB (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin). Seither freischaffende Filmemacherin und Videokünstlerin. Unterrichtet an der Universität Freiburg das «Praxisseminar Film und Fernsehen». «Wild Women – Gentle Beasts» wird Anfang 2016 in den Kinos der Romandie starten.
Link:
- «La mort: un sujet qui ne sortait plus de ma tête» - 26.04.2017
- Gleichstellung am Arbeitsplatz – eine Utopie? - 17.11.2016
- Sterben hinter Gittern - 12.07.2016