Unwissenheit verunsichert; was wir nicht kennen, macht uns Angst. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit anderen Religionen und Kulturen. Mit Weiterbildungen zu Themen rund um den Islam will das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) Hürden abbauen und Vertrauen schaffen. Ein Gespräch mit dem Leiter des SZIG, Hansjörg Schmid.
Hansjörg Schmid, das SZIG hat viel Zeit darauf verwendet, den Bereich der bestehenden islambezogenen Weiterbildungen in der Schweiz zu analysieren. Weshalb diese lange Vorlaufzeit?
Der Auftrag des Zentrums für Islam und Gesellschaft besteht ja auch darin, im Bereich der Weiterbildung aktiv zu sein. Aber wir wollten diese nicht auf dem Reissbrett entwerfen, sondern erst mal genau hinschauen, wie die aktuelle Situation im Bereich der Weiterbildung aussieht. Hinzu kommt, dass die Zielgruppen aus den muslimischen Vereinen nicht einfach zu erreichen sind; da galt es zuerst, die dafür nötigen Kontakte zu knüpfen, um auch deren Angebote und Bedürfnisse in Erfahrung bringen zu können.
Welche Personengruppen wurden befragt?
Es wurden einerseits in verschiedenen Teilen der Schweiz Personen befragt, die in muslimischen Vereinen tätig sind, wie etwa Vorsitzende, Imame oder auch Jugendleiter oder Frauengruppenleiterinnen. Und dann wurden auch Personen befragt auf Seiten des Staates, die beispielsweise in Verwaltungen tätig sind oder auch in sonstigen Funktionen, die mit dem Thema Islam in Berührung kommen.
An wen sollen sich denn die geplanten Weiterbildungen in erster Linie richten?
Sie richten sich sowohl an Muslime und Musliminnen wie auch Personen, die eben ein berufliches oder anderes Interesse am Islam haben. Idealerweise bietet eine Weiterbildung ja auch die Möglichkeit zum Austausch und zum Networking. Sie soll bestehende Kompetenzen verstärken. Dabei macht es einen Unterschied, ob nur abstrakt über den Islam referiert wird oder ob ich mit Muslimen über ihre Anliegen und Aktivitäten spreche. Aber natürlich gibt es unterschiedliche Bedürfnisse zwischen einem Sozialarbeiter beispielsweise, der sich für die Familienstrukturen in muslimischen Familien interessiert, oder den Personen in den muslimischen Vereinen, die vielleicht eher ein Interesse daran haben, das System der Sozialarbeit in der Schweiz zu verstehen. Es gibt sowohl breite Schnittmengen wie auch spezifische Interessen einer bestimmten Zielgruppe.
Sie sprechen von Schnittmengen: Gibt es denn gemeinsame Themen?
Wir bieten die Weiterbildungsseminare an der Weiterbildungsstelle der Uni an, wo sich sowohl Muslime wie auch Nicht-Muslime einschreiben, je nach Interesse. Was die spezifischen Angebote für die Zielgruppen in den muslimischen Vereinen angeht, so werden wir diese in einem Folgeprojekt noch genauer berücksichtigen. Ein Beispiel ist etwa die Seelsorge in Gefängnissen. Eine diesbezügliche Weiterbildung richtet sich sowohl an die Muslime, welche die Seelsorge betreiben wie auch an das Gefängnispersonal, das sich mit dem Islam etwas intensiver befassen möchte. Das Gefängnispersonal interessiert sich dabei spezifisch für Themen wie etwa das Fasten oder das Beten im Islam, das ja auch den Alltag im Gefängnis beeinflusst, während die muslimischen Seelsorger sich eher mit den Dynamiken und Regeln des Gefängnisses als Institution vertraut machen möchten. Die Schnittmenge hierbei ist der Erfahrungsaustausch der beiden Gruppen, der nicht zuletzt dazu dient, bestehendes Misstrauen abzubauen.
Erleben Sie von beiden Seiten Interesse und Bereitschaft, zu einem solchen Erfahrungsaustausch, einer direkten Begegnung?
Grundsätzlich ja. Aber man darf sich das auch nicht zu idealistisch vorstellen. Vielfach geht es einfach darum, etwa von Seiten des Gefängnispersonals, den Alltag durch besseres Verständnis zu erleichtern. Ein anderes Beispiel ist die Jugendarbeit. Muslimische Jugendliche interessieren sich dafür, wie diese in der Schweiz funktioniert, wie man sich austauschen kann, von welchen Seiten es welche Unterstützung gibt.
Aus der Bedarfsanalyse ging auch hervor, dass viele Weiterbildungsangebote die muslimischen Zielgruppen nicht erreichen?
Wir haben verschiedene Hindernisse festgestellt: Das Geld, denn Weiterbildung ist auch ein kommerzieller Markt und oftmals teuer; die Zeit, es geht ja oft um ehrenamtliche Arbeit in den muslimischen Vereinen; die Themen, die oftmals nicht spezifisch genug auf die Anliegen der Zielgruppen eingehen, und schliesslich das Vertrauen, das manchmal noch fehlt. Es ist sehr wichtig, dass wir auch die bestehenden Angebote zur Weiterbildung in den muslimischen Vereinen würdigen.
Sie sprechen im Bericht von einem hohen Mass an Übereinstimmung zwischen staatlichen Akteuren und den Muslimen selbst?
Wir haben diese beiden Gruppen interviewt und beide gefragt, was sie sich wünschen für die Muslime in der Schweiz. Da besteht eine grosse Übereinstimmung. Die muslimischen Organisationen wollen Bestandteil sein von unserer vielfältigen Zivilgesellschaft. Sie möchten auch Ansprechpartner sein, wenn Fragen auftauchen im Zusammenhang mit dem Islam. Und die staatlichen Akteure sind sehr daran interessiert, die muslimischen Organisation in diesem Wunsch zu bestärken und zu unterstützen.
Was ist das Hauptziel der islambezogenen Weiterbildung?
Das Hauptziel ist ein friedliches und konstruktives Zusammenleben in einer Gesellschaft, die sehr vielfältig ist. Neue Akteure einer Zivilgesellschaft müssen auch lernen, wie diese funktioniert, sie müssen Kompetenzen erwerben können, um mitmachen zu können. Und die Gesellschaft muss lernen, mit neuen Akteuren und neuen Fragen umzugehen. Das braucht es ein hohes Mass an interkultureller Sensibilität. Dabei ist es wichtig, dass der Islam nicht als monolithischer Block betrachtet wird.
Kann Weiterbildung auch Prävention leisten im Bereich von Extremismus?
Sicherlich. Das ist eines der zentralen Themen, die sehr nachgefragt sind. Im Mai findet an der Weiterbildungsstelle der Uni ein erstes Seminar statt unter dem Titel «Comprendre la radicalisation pour la prévenir», durchgeführt von meiner Kollegin Dr. Mallory Schneuwly Purdie. Das Seminar war so schnell ausgebucht, dass wir es im Herbst wiederholen werden. Was uns wichtig ist dabei, ist die Zusammenarbeit mit muslimischen Experten und Multiplikatoren. Die überwältigende Mehrheit der Muslime – in der Schweiz und anderswo – sind ja Partner, nicht Gegner. Es ist wichtig, dass hier auch Netzwerke aufgebaut werden, dass beispielsweise auch Schulen Ansprechpartner haben oder auch Moscheen oder Jugendzentren für den Fall, dass mal ein Verdacht von Radikalismus auftaucht.
An wen richtet sich konkret diese erste zweitägige Weiterbildung zum Thema der Radikalisierung im Islam?
Sie richtet sich an Personen – Muslime wie auch Nicht-Muslime – aus den Bereichen Schule, soziale Arbeit, Sicherheitsbehörden, muslimische Gemeinden etc. Es geht auch darum, auf die vielfältigen Faktoren und Phänomene in Zusammenhang mit Radikalisierung Bezug zu nehmen. Es geht ja nicht um ein rein religiöses Problem. Weshalb radikalisiert sich jemand? Es geht um das Gefühl des Ausschlusses, der Gewalterfahrungen, der Sinnsuche… Welche Massnahmen sind möglich und sinnvoll? Welche Signale braucht es, auch gegenüber der muslimischen Jugend in der Schweiz? Sehr wichtig ist auch der Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden, das Analysieren von Fallgeschichten.
Das Zentrum für Islam und Gesellschaft gliedert das aufzubauende Weiterbildungsangebot in zwei Bereiche. Weshalb diese Unterteilung?
Das eine sind eben diese offen ausgeschriebenen Weiterbildungsseminare an der Weiterbildungsstelle, aus welchen wir auch später ein CAS entwickeln wollen. Andererseits gibt es das Projekt «Muslimische Organisationen als gesellschaftliche Akteure», mit welchem wir den bisher nicht abgedeckten Bedarf an Weiterbildung aufbauen und entwickeln möchten. Dafür arbeiten wir eng mit den muslimischen Organisationen zusammen, die einen Teil dieser Weiterbildungen dann auch selber durchführen werden. Es ist ein sehr partnerschaftliches Projekt.
Welche Themen stehen im Vordergrund im Bereich der Weiterbildung dieses Projekts?
Wir haben fünf Themenfelder identifiziert für das neue Projekt. Es sind dies die Stellung der muslimischen Gemeinde in der Gesellschaft und damit zusammenhängend das Thema der Kommunikation, Jugendarbeit, Seelsorge in Gefängnissen und Spitälern, Gender und Körper, d.h. Fragen der Familie und auch der Gesundheit, und schliesslich Radikalisierung und Prävention.
Wie ist die Finanzierung geregelt?
Wir haben zwei Förderer: Einerseits das Staatssekretariat für Migration aus den Mitteln des Integrationskredits des Bundes und andererseits die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Eidgenössischen Departements des Innern.
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Kontakt: Dr. Hansjörg Schmid, Leiter des SZIG, hansjoerg.schmid@unifr.ch, +41 26 300 90 40
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