Am 15.März entscheidet die Kardinalsversammlung des Vatikans über das Datum zur Heiligsprechung von Mutter Teresa. Die heute Selige wird voraussichtlich am 4. September 2016 zur Heiligen erklärt werden. Prof. Barbara Hallensleben erzählt im Interview, dass Mutter Teresa verrückt war, wie das Heiligsprechungsverfahren vor sich geht und dass Heilige uns helfen, Menschen von Glaube, Hoffnung und Liebe zu sein.
Barbara Hallensleben, ist die Rede von „Heiligen“ heute überhaupt noch zeitgemäss?
Ja, davon bin ich überzeugt! Das Freiburger Institut für Ökumenische Studien beherbergt die Privatbibliothek von Walter Nigg, der mit seinem Buch «Die grossen Heiligen» 1946 eine Wende im Zugang zu den Heiligen einleitete. Der reformierte Pfarrer und Theologe war geprägt durch seine Lektüre von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, die christliches Leben als Heuchelei betrachteten und den Einsatz für die Schwachen als abgelöst durch den Willen zur Macht. Persönlich bewegte ihn die tragische Erfahrung des Suizids seiner ersten Ehefrau. Wie sollte er als Pfarrer glaubwürdig das Evangelium predigen? In den «Heiligen» suchte er glaubwürdige Zeugnisse, wie man mitten in der Gebrochenheit der Welt und des eigenen Lebens ein Mensch von Glaube, Hoffnung und Liebe sein kann.
Weshalb schreibt die Kirche uns vor, welche Menschen als «Heilige» zu gelten haben?
Wenn ein Mensch heilig gesprochen wird, fällt die Kirche ein Urteil, das eigentlich nur Gott zusteht. Doch letztlich unterwirft sie sich damit dem Urteil Gottes, indem sie die Spuren des heiligen Gottes im Leben dieses Menschen anerkennt. Für jede Heiligsprechung ist eine ausführliche Dokumentation der Lebensgeschichte nötig, die der Erinnerung der Menschheit anvertraut wird. Vor allem aber braucht es die Verehrung im Volk Gottes und ein „Wunder“, das nur auf das Wirken des oder der Heiligen zurückzuführen ist. In ihrer Zeit sind Heilige oft kritisch gegenüber dem Leben der Kirche und entwickeln alternative Lebensformen, die auch der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Der heilige Franziskus etwa reagierte auf die beginnende Geldwirtschaft und zeigt deren Versuchungen auf. Heilige sind immer ein wenig „verrückt“, Narren in Christus. Das darf in der späteren Verehrung nicht vergessen werden.
War Mutter Teresa ebenfalls «verrückt»?
Ja, natürlich. Ein amerikanischer Journalist soll zu ihr gesagt haben:«Was Sie da tun, würde ich nicht für eine Million Dollar machen.» Ihre Antwort: «Ich auch nicht.» An den Heiligen zeigt sich der Unterschied zwischen der Ethik und einer christlichen Lebenskunst. Was Mutter Teresa für die Ärmsten der Armen getan hat und was ihre Schwestern weiterhin tun, kann man nicht nach dem kategorischen Imperativ von Kant zur Norm erklären. Und doch ist es höchst einleuchtend, dass unsere Welt auf diese Weise menschenwürdiger wird. Mutter Teresa hat nicht nur ein allseits wahrgenommenes Problem aufgegriffen, sie hat in ihrem kulturellen Umfeld das Problembewusstsein geschaffen, dass leidende und sterbende Menschen unsere Ehrfurcht und Sorge verdienen.
Die Heiligsprechung findet relativ kurz nach dem Tod von Mutter Teresa statt – wieso so schnell?
Papst Franziskus möchte, dass die «Option für die Armen», die in der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils nicht zuletzt von der lateinamerikanischen Kirche formuliert worden ist, das christliche Handeln stärker leitet. Die Armut nimmt ja in vielfältiger Gestalt in unserer Welt eher zu als ab. Das „Jahr der Barmherzigkeit», das der Papst ausgerufen hat, weist in dieselbe Richtung. Hier ist Mutter Teresa ein «lebendiges“ Vorbild. Die vatikanischen Behörden sind in ihren Prozeduren so langwierig wie weltliche Behörden. Papst Franziskus ist eher von einer heiligen Ungeduld geleitet. Vielleicht haben die heutigen Heiligen einfach darauf zu achten, dass der Mensch wichtiger bleibt als die Verwaltung.
Barbara Hallensleben ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene und Mitglied im Direktorium des Instituts für Ökumenische Studien.
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