Am 24. April 2017 besucht der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomäus auf Einladung des Instituts für Ökumenische Studien die Universität Freiburg. Sein Sitz als Oberhaupt der byzantinischen Ostkirchen ist Istanbul. Prof. Dr. Barbara Hallensleben stellt die faszinierende Persönlichkeit vor, erklärt die Bedeutung der Schweiz als Laboratorium für die Zukunft der Orthodoxie und zeigt, weshalb Figuren wie er wichtig sind, wenn just am Ostersonntag über die türkische Verfassungsreform gestimmt wird.
Frau Hallensleben, der Patriarch von Konstantinopel kommt nach Freiburg. Was wird er hier machen?Der Patriarch kennt und schätzt unsere Universität und möchte ihr persönlich einen Besuch abstatten. Um seine kirchliche Rolle zu würdigen, wird er um 17.00 Uhr in der Nikolaus-Kathedrale von Freiburg empfangen. Um 18.15 Uhr hält er dann einen öffentlichen Vortrag in der Aula Magna. Von Freiburg aus reist er zu einem Besuch nach Taizé weiter, einer ökumenischen Ordensgemeinschaft in Frankreich.
Weshalb besucht eine hochrangige kirchliche Persönlichkeit wie Patriarch Bartholomäus eine Universität?
Der Besuch in Freiburg ist in erster Linie ein akademischer Besuch: Der Patriarch ist der Grosskanzler des Institut d’études supérieures de théologie orthodoxe, das seit 20 Jahren am Orthodoxen Zentrum in Chambésy bei Genf arbeitet. Dieses Zentrum repräsentiert das Ökumenische Patriarchat in der Schweiz. Die dortigen Stipendiaten, inzwischen insgesamt über 200, absolvieren ein Masterprogramm mit Spezialisierung in interchristlichen und interreligiösen Studien. Ihr Diplom erhalten sie von der Universität Freiburg. Der Anlass des Besuches ist darüber hinaus auch ein kirchlicher: Das «Orthodoxe Zentrum» in Chambésy besteht seit 50 Jahren. Und zugleich ist Patriarch Bartholomäus selbst 25 Jahre im Amt.
Wie kommt es, dass eine kirchliche Autorität aus der heutigen Türkei Grosskanzler eines orthodoxen Instituts in der Schweiz ist?
Der Patriarch ist türkischer Staatsbürger. Das ist übrigens Bedingung, um Patriarch in Istanbul sein zu dürfen. Seine Ausbildung hat er damals in der panorthodoxen Theologischen Hochschule auf der Insel Chalki im Marmarameer vor Istanbul absolviert, die 1971 vom türkischen Staat geschlossen wurde. Patriarch Bartholomäus bemüht sich seither um eine Neueröffnung. Das Institut in Chambésy ist sozusagen ein kleines Chalki, das die Begegnung und gemeinsame Ausbildung von orthodoxen Studierenden aller orthodoxen Kirchen ermöglichen will.
Was sind die Ziele von Bartholomäus?
Das Anliegen akademischer Ausbildung für orthodoxe Theologen liegt dem Patriarchen sehr am Herzen. Die hohe Zahl seiner persönlichen Ehrendoktorate in aller Welt ist ein Zeichen dafür. Darüber hinaus engagiert sich der Patriarch sehr stark für den Religionsfrieden und hat dabei auch muslimische Berater in seinem Team. Bei dem Besuch auf der Insel Lesbos zusammen mit Papst Franziskus hat er ein starkes Zeichen für das soziale Engagement der Christen gesetzt. Und nicht zuletzt ist er als der «grüne Patriarch» bekannt, der sich für den Schutz der Umwelt als Schöpfung Gottes einsetzt. Sein Herzensanliegen ist aber wohl die innere Einheit der Orthodoxie…
Ist der Patriarch nicht gerade mit diesem Anliegen gescheitert? Das von ihm präsidierte panorthodoxe Konzil im Juni 2016 auf Kreta wurde doch nicht von allen Kirchen besucht…
…und doch war die Einberufung und Durchführung des Konzils ein moralischer Triumph des Ökumenischen Patriarchen. Trotz aller Widerstände kam das Konzil zustande und hat ein starkes Zeichen für die gemeinsame Aufgabe der Kirche in der Welt von heute gesetzt. Auch die orthodoxen Kirchen, die nicht dabei waren, arbeiten nun an einer Stellungnahme zur Rezeption der Schlussdokumente.
Zurück in die Schweiz: Welche Ausbildung erhalten die orthodoxen Studierenden?
Sie besuchen zum Teil Vorlesungen im Institut in Chambésy bei orthodoxen Professoren, zum Teil an der reformierten Fakultät in Genf und zum Teil an der Theologischen Fakultät in Freiburg. Auf diese Weise lernen sie das Leben und das Selbstverständnis der Kirchen westlicher Tradition kennen. Die «Diaspora»-Situation nötigt sie, ihre eigene theologische Tradition in einen Dialog mit heutigen Fragestellungen zu bringen.
Die orthodoxen Studierenden werden an unserer Theologischen Fakultät mit den katholischen Studierenden gemeinsam unterrichtet?
Ja, die übrigen Freiburger Studierenden – nicht nur Katholiken, sondern auch Studierende verschiedener protestantischer Richtungen – profitieren von der Präsenz orthodoxer Kolleginnen und Kollegen: Sie lernen eine andere Gestalt der theologischen Reflexion auf der gemeinsamen Grundlage von Bibel und Kirchenvätern kennen und können aus erster Hand Erfahrungen aus Griechenland, Rumänien, Serbien, Russland, Weissrussland, Georgien usw. bis hin nach Jerusalem hören. Ihre eigene Theologie wird in diesem ständigen Austausch «dialogischer». Das gilt auch für die Professoren, die auf die spezifischen Fragen dieser Studierenden eingehen.
Am 16. April, dem diesjährigen gemeinsamen Osterfest in Ost und West, findet in der Türkei die politische Abstimmung über ein neues Präsidialsystem statt. Wie reagiert der Patriarch auf die politischen Entwicklungen?
Patriarch Bartholomäus hat mit seiner versöhnenden Art nicht nur eine Duldung, sondern eine Anerkennung für die Präsenz der Christen in Istanbul und in der ganzen Türkei erreicht. In Istanbul können über 60 orthodoxe Kirchen für den Gottesdienst genutzt werden. Es beginnt der Rückkauf und der Neuaufbau ehemaliger griechischer Kirchen, die seit dem «Bevölkerungsaustausch» zwischen orthodoxen Griechen und muslimischen Türken nach dem Ersten Weltkrieg verfallen sind. In der Theologischen Hochschule in Chalki kann ein gewisses akademisches Leben mit staatlicher Zustimmung wieder beginnen: Mit Freiburger Doktorierenden haben wir bereits eine Tagung dort durchgeführt und sind aus diesem Anlass vom Patriarchen sehr herzlich empfangen worden.
Und was dürfen wir von seinem Vortrag erwarten?
Der Patriarch wird französisch sprechen, und eine deutsche Übersetzung wird vorliegen. Er gehört zu den charismatischen Gestalten unserer Zeit, und wir dürfen auf seinen Vortrag gespannt sein!
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- Link zum Programm des Besuches: www.unifr.ch/iso
- Vous y trouvez également la traduction française de l’interview