«Ich habe keine Lust auf Grenzerfahrungen»

«Ich habe keine Lust auf Grenzerfahrungen»

Dr. Andreas Dorn kommt mit schwarzen Hosen und weissem Hemd zum Interview. Er geht nicht besonders schnell, stramm oder federnd. Nichts an seiner Erscheinung ist auffällig. Nichts weist darauf hin, dass er, wenn die Kinder im Bett sind, mal noch rasch zehn oder zwanzig Kilometer laufen geht. Oder in einem Tag 206 Kilometer rennt.

Andreas Dorn, was machen Sie an der Universität Freiburg?
Ich bin Leiter des Bibel- und Orient-Museums. Das ist ein kleines Museum, welches einen archäologischen Zugang zur biblischen Welt schafft. Bei uns sieht man also, was ein Scheffel ist, oder wir können anhand von Figuren zeigen, wie sich die nahöstliche Götterwelt in der Antike entwickelt hat. Mein Pensum beträgt offiziell 50 Prozent, wobei ich im Sommer deutlich mehr arbeite, damit ich im Winter dann in Ägypten meinen Forschungen nachgehen kann. Ja, und dann habe ich nebenbei noch so ein Hobby …

Genau. Wie hat das mit dem Laufen denn überhaupt angefangen?
Angefangen hat es vor zwölf Jahren. Ich war am Einkaufen mit meiner Frau und sah ein Plakat: Erster Basel City Marathon. «Da könnte ich eigentlich mal mitmachen«», sagte ich mir und meldete mich an. Ich war nicht unsportlich, ich fuhr immer mit dem Velo zur Arbeit und spielte einmal die Woche etwas Fussball. Bei der Anmeldung am Vorabend des Laufs erhielt ich dann eine Broschüre: Wie komme ich in einem Jahr zum Marathon?. Da musste ich schon kurz leer schlucken, ich hatte mich gerade mal drei Monate vorbereitet. Trotzdem habe ich es geschafft und von da an hat es mich reingezogen.

Und irgendwann waren die Marathons zu einfach?
Nach sechs Jahren habe ich mir gesagt «jetzt möchte ich mal ein bisschen länger laufen». Also habe ich mich für den 100-Kilometer-Lauf von Biel angemeldet. Bei der Vorbereitung habe ich dann zum ersten Mal in ein Buch geschaut und mich informiert, wie man sich richtig auf so etwas vorbereitet. Die ersten 90 Kilometer liefen dann tatsächlich wie am Schnürchen. Erst dann hatte ich so einen Klumpen im Magen, der die letzten 10 Kilometer deutlich schwieriger gemacht hat.

Wie wichtig ist denn die Ernährung?
Ach, das ist ein Riesenthema. Die einen schwören auf dieses, die andern auf jenes. Ich selbst habe am Anfang zum Beispiel keine Orangen gegessen – viel zu viel Säure! Aber irgendwann hatte ich einfach Lust auf diese Orange und wissen Sie was? Sie hat grossartig geschmeckt und mir nicht die geringsten Probleme bereitet. Inzwischen weiss ich, dass ich dieser Lust vertrauen kann. Salat, Vollkornbrot: ich esse alles. Und ob ich mich eine Woche vor dem Rennen vegetarisch ernähre oder viel Fleisch esse, spielt auch keine Rolle. Aber ich habe auch das Glück, einen Rossmagen zu haben, der mir während dem Rennen alles verdaut, was ich ihm zuführe. Um den war ich auch am letzten Wochenende wieder froh.

Da waren Sie wieder an einem Ultramarathon.
Genau. Ein Bergrennen von St. Moritz nach Davos. 130 Kilometer mit 7‘000 Metern Auf- und Abstieg. Der erste Teil lief sehr gut. Dann wurde es immer heisser und irgendwann habe ich mir auch noch eine Blase eingefangen. Das ist unangenehm, das ist ein Schmerz, den man nicht haben will. Aber: man gewöhnt sich irgendwann daran.

Früher war es mir ja wichtig, schnell zu sein. Schneller als letztes Mal, schneller als der da vorne. Inzwischen ist das Soziale wichtiger geworden. Man fragt jeden, wie’s ihm geht, man läuft in der Gruppe. Und mit der Zeit sieht man: Jeder hat da oder dort ein Problem. Ich selbst wollte mit meinem lädierten Fuss den Schluss des Rennens eigentlich langsam angehen. Aber dann kamen zwei an mir vorbei und ich sagte mir «eigentlich will ich ja auch nicht mehr so lange unterwegs sein». Also habe ich mich denen angehängt und wir sind die letzten 20 Kilometer (gefühlt) in einem Affenzahn gelaufen.

Was passiert mit einem, wenn man da stundenlang unterwegs ist? Studieren Sie an aktuellen Forschungsfragen herum?
Nein, das geht höchstens in einem langsamen Training. Ich laufe einfach und geniesse. Ab und zu sehe ich ein Tier, ich entdecke neue Landschaften und wenn dann noch die Sonne aufgeht … das ist wunderbar. Ich komme auch nicht in dieses «Runners High», diesen Endorphin-Flash, von dem andere berichten – und ich denke, das ist ein Vorteil. Ich spüre mich sehr gut und setze mein Tempo nach meinem Gefühl und nicht nach dem Pulsmesser oder nach irgendeinem rigiden Ziel, das ich mir gesetzt habe.

Ich merke, was geht und was nicht und das wichtigste ist: Ich kann meine Grenzen auch akzeptieren. Wenn man das nicht kann, fängt man an, Dummheiten zu machen. Ich habe Leute gesehen, die konnten kaum noch laufen. Leute, die Bandscheibenvorfälle hatten, Leute, die vor lauter Schmerzen nicht mehr aufs Siegertreppchen kamen. Ich will wissen, ob ich es ins Ziel schaffe und manchmal gelingt es mir und manchmal gelingt es mir nicht. Aber ich habe keine Lust auf Grenzerfahrungen. Da höre ich lieber früher auf.

Gibt es zwischen der Forschung und dem Laufen Parallelen? Können Sie etwas von den Rennen mitnehmen in Ihren Beruf?
Die gibt es absolut. Auch auf eine neue Fragestellung muss ich mich gut vorbereiten, auch in der Forschung muss ich Krisen durchstehen, muss einen langen Atem haben. Auch dabei war ich früher kompetitiver unterwegs, heute arbeite ich viel lieber mit anderen zusammen. Und ich habe durchs Laufen auch etwas Gelassenheit gelernt. Wenn eine Krise kommt, sage ich mir „das habe ich damals auch für unmöglich gehalten und habe es schliesslich doch geschafft“.

Aber es gibt noch einen viel direkteren Zusammenhang: In den Zeiten, in denen ich viel gelaufen bin, war ich auch in der Forschung sehr produktiv. Es ist also nicht so, dass ich vor lauter Laufen nicht mehr zum Arbeiten komme. Und für mich ist auch klar: Das Laufen ist ein Hobby, das neben Beruf und Familie Platz haben muss.

Und wie sehen Sie nun Ihre Zukunft? Immer höher, schneller, weiter?
Das hängt von meinem Körper ab. Früher habe ich viele Stadtmarathons gemacht, inzwischen laufe ich viel lieber in der Natur. Da ist jeder Schritt ein bisschen anders, das ist definitiv besser. Trotzdem ist es natürlich alles andere als gesund, 7000 Meter den Berg hinunterzuspringen und darum habe ich die diesjährige Saison mit dem Rennen vom letzten Wochenende eigentlich auch beendet. Ich bin jetzt 49 und ich möchte schon gerne bis 60 weiterlaufen. Und dafür muss ich meinem Körper auch ein wenig Sorge tragen.

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Author

War schon Wünscheerfüller, Weinbauhelfer, Unidozent, Redaktionsleiter, Veloweltreisender und kleinkünstlerischer Dada-Experte. Ist dank dem Science Slam an der Universität Freiburg gelandet.

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