«1968 – das war ein Jahr, in dem ich mit vielem gebrochen habe»

«1968 – das war ein Jahr, in dem ich mit vielem gebrochen habe»

Regisseur Wim Wenders kommt nach Freiburg: Der 1995 zum Ehrendoktor unserer Universität ernannte Deutsche zeigt am Donnerstag, 13. Juni 2019 um 19.30 Uhr in der Aula Magna seinen 2018 erschienenen Film «Papst Franziskus – Ein Mann Seines Wortes». Der Weltstar spricht im Interview nicht nur über seinen Film und den kürzlich verstorbenen Schauspieler Bruno Ganz, sondern erstaunlich offen auch darüber, wie der Tod seines Vaters ihn zum Glauben zurückgebracht hat.

Herr Wenders, in Freiburg wird Ihr Dokumentarfilm über den Papst gezeigt. Worauf sollten wir uns besonders achten?
Eigentlich sollten Sie auf gar nichts achten, sondern sich nur einlassen. Was ja heute nicht selbstverständlich ist. Viele Menschen haben den Film einfach nicht gesehen, «weil der Papst drin vorkommt». Da ist ihnen wegen ihrs Vorurteils eine Überraschung entgangen. Dieser Mann ruft zu einer moralischen Revolution auf, nicht nur unter Christen, sondern allen Menschen guten Willens. Das ist in der Tat hochpolitisch, heute mehr denn je, wo viele unserer ‚World Leader’ keinerlei moralische Autorität mehr darstellen.


Was ist Ihnen aus künstlerischer Sicht speziell gut gelungen?
Ich wollte von Anfang an keinen Film über den Papst machen, sondern einen mit ihm. Auch meine ‚Meinung’ über den Papst fand ich unwichtig, Meinungen sieht man in jedem Fernsehfeuilleton, die sind ‚im Dutzend billiger’. Dieser Mann sollte so viel wie möglich selbst zu Worte kommen, mit all den Themen, für die er steht. Ich habe mich ja auch selbst bewusst aus dem Bild genommen und komme als Fragesteller nicht vor, nur ein paarmal als Erzähler. Ich dachte vielmehr: «Wenn ich schon mal das Privileg habe, Auge in Auge mit Papst Franziskus sein zu können, dann möchte ich genau das mit dem Publikum teilen: diesen direkten Blickkontakt, diese Nähe.» Also habe ich mir etwas ausgedacht, das es Franziskus erlauben würde, jedem Zuschauer ins Gesicht zu schauen, als ob sie alle auf meinem Platz säßen. Das ging aber nur, indem ich selbst auf diesen Platz verzichtet habe, zumindest physisch. Der Papst saß deswegen vor einem großen Teleprompter, nur dass darauf natürlich nicht sein Text zu sehen war, er sprach ja völlig spontan, aber eben mein Gesicht, als lebende Frage sozusagen. Und so schaut er jetzt jeden Zuschauer direkt an, indem wir beide zwar ‚Auge in Auge’ waren, aber eben durch diese Technik doch getrennt.

Sie haben ein ambivalentes Verhältnis zur katholischen Kirche, sind sogar aus ihr ausgetreten. Woher dennoch Ihr Interesse am Thema Religion?
Ich bin durchaus immer ein gläubiger Mensch gewesen, aber nicht unbedingt ‚religiös’. Das ist gewaltiger Unterschied, und dazu sagt schon Paulus jede Menge in seinen Briefen. Aber es stimmt, ich bin 1968 aus der Kirche ausgetreten, damals als sozialistischer Student. Das war ein Jahr, in dem ich mit vielem gebrochen habe. Da ging alles Mögliche ab, da waren die Demos, da haben wir gegen Vietnam protestiert, unter anderem die Filmhochschule besetzt und nicht zuletzt die bestehenden Zustände unterwandert und nachhaltig verändert. Danach ging das Filmemachen los, dann eine lange Psychoanalyse, was auch nicht gerade eine ‚religiöse’ Übung ist. Ich war damals auch viel in Japan und hab mich mit dem Buddhismus auseinandergesetzt. Aber bereits Ende der Achtziger bin ich in einem großen Bogen zum Glauben meiner Kindheit zurückgekehrt, ausgelöst durch den Tod erst meines Bruders und dann meines Vaters, die beide im selben Jahr starben, 1989. Meinen Vater habe ich in den letzten Monaten begleitet. Er wusste als Arzt auf den Tag genau, wann er sterben würde, war dabei völlig gelassen und angstfrei und ist dem Tod geradezu froh entgegengegangen, als der Verheißung, die für ihn damit verbunden war. Das hat mich auf eine ganz existentielle Weise zum Glauben zurückgebracht. Ein paar Jahre später bin ich auch wieder in die Kirche eingetreten, jedoch nach dem zwanzigjährigen Umweg nicht durch die katholische, sondern durch die evangelische Tür. Heute bin ich überzeugter ‚ökumenischer Christ’.

Der kürzlich verstorbene Schweizer Bruno Ganz war einer der Hauptakteure in Ihrem Film «Der Himmel über Berlin», in dem er den Engel Damiel spielte. Was zeichnete ihn als Schauspieler aus?
Seine große Herzlichkeit, Ehrlichkeit und geradezu fanatische Genauigkeit beim Erkunden eines jeden seiner Charaktere. Ich hatte das Privileg, dreimal mit Bruno arbeiten zu dürfen. Er war mit Sicherheit der größte deutschsprachige Schauspieler seiner Zeit, hat aber aus seiner phänomenalen Begabung nie ein großes Bohei gemacht, sondern war auch immer ungemein bescheiden und um das Wohl seiner Mitschauspieler besorgt, in der Weise, dass er sie auch immer zu Höchstleistungen mitgezogen hat.

An der Universität Freiburg gibt es mit Unicam das grösste Studierendenfernsehen der Schweiz. Wie erklären Sie der Generation Y oder Z die Faszination für eine Kamera?
Diese Faszination muß man denen, glaube ich, nicht erklären. Heute macht praktisch jeder Bilder und Filme und sendet sie sofort in die ganze Welt. Die Faszination der Kamera hat sich multipliziert, auch durchaus auf eine Weise, die man sich vor einem Vierteljahrhundert noch nicht vorgestellt hätte. Erinnern Sie sich an das erste Telefon, das nicht nur eine, sondern auch eine zweite Linse hatte, die ‚nach hinten’ losging? Ich glaube, das war ein Nokia. Damals wurde das vielleicht nur als ein Gimmick angesehen, aber die Selfie-Kultur, die das mit sich gebracht hat, hat auf jeden Fall unser Verständnis von Photographie verändert, letztendlich sogar unsere Gesellschaft. Heute hat ja jeder Mensch praktisch so eine Smartphone-Kamera bei sich, die eben in beide Richtungen Fotos schießt und filmt. Und ich denke mal, das ‚zweite Auge’ wird mindestens so oft genutzt wie das erste, ist dabei aber ungemein narzisstischer ausgestattet als das erste, das sich mehr für die Welt interessiert.

Womit kann man Sie eigentlich begeistern?
Mit Musik (fast) jeder Art. Mit Malerei (fast) jeder Art. Mit Architektur. Mit Romanen. Mit Gedichten.

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  • Wim Wenders’ Website
  • Wim Wenders im Gespräch mit Roger Schawinski
  • Wim Wenders auf Radio SRF im Rahmen des Zürich Film Festival

Author

Ist im Grüezi-Land einst aufgewachsen, doch das Schicksal zieht ihn jedoch immer wieder nach Freiburg: zuerst für die RS, dann fürs Studium, später fürs Wohnen und seit 2017 auch fürs Arbeiten. Als Leiter des Dienstes Unicom interessiert er sich für alles ein bisschen und ein bisschen für alles.

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