«Sie können den Leuten nicht einfach sagen: ‹Gehen Sie schwimmen›»
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«Sie können den Leuten nicht einfach sagen: ‹Gehen Sie schwimmen›»

Gregor Hasler ist unser neuer Professor für Psychiatrie und Psychotherapie. Derzeit beschäftigt er sich primär mit dem Aufbau des neuen Masterstudiengangs in Humanmedizin. Dieser startet im Herbst.

Herr Hasler, was sind die Ideen des neuen Masterstudiengangs in Humanmedizin?
Zuerst muss ich sagen, dass ich hier auf einen fahrenden Zug aufspringe, den Professor Bonvin und Professor Rodondi aufgegleist haben. Ihnen gebührt die Anerkennung für den neuen Master. Aber ich kann einige Akzente einbringen, das macht die Aufgabe in Freiburg für mich besonders reizvoll. So wollen wir, dass die Studierenden schon früh mit der Hausarztmedizin in Kontakt kommen.

Also mehr Hausarzt- und weniger Spitzenmedizin?
Es geht nicht darum, die Bereiche gegeneinander auszuspielen, sondern darum, wie die Studierenden ihr Wissen aufbauen. In der Spitzenmedizin sehen sie täglich Patienten mit seltenen Krankheiten und natürlich ist das hoch interessant. Aber in der Grundversorgung haben sie es mit den häufigsten medizinischen Problemen zu tun und lernen, wie sie diese angehen. Wer die Realität des Hausarztberufs kennt, kann sein Wissen ganz anders vernetzen. Uns ist es wichtig, den Studierenden diesen Erfahrungshorizont mitzugeben. Außerdem müssen sie in der Grundversorgung mehr im Team agieren.

Die Ärztinnen und Ärzte von morgen sollen also lernen, vernetzt zu denken.
Und vernetzt zu arbeiten! Ich habe beispielsweise viel zu Essstörungen geforscht: Das hat mit Endokrinologie zu tun, mit dem Metabolismus, mit Psychiatrie. Oder nehmen wir Intoxikationen: Da geht es um Psychopharmakologie, um innere Medizin, aber auch um Psychiatrie. Heute werden diese Patienten oft zwischen den verschiedenen Abteilungen hin und her geschoben. Wenn man nicht eng zusammenarbeitet, kommt man aber oft nicht weiter. Deshalb ist es wichtig, dass sich die involvierten Ärzte kennen lernen, dass sie nicht bloss Berichte schreiben, sondern auch mal telefonieren und sich zusammensetzen. Dafür haben wir gerade hier in Freiburg durch die relative Kleinheit gute Voraussetzungen.

Was ist Ihnen pädagogisch wichtig?
Wir wollen Formate wie den Unterricht in der Klinik fördern, den Kleingruppen-Unterricht oder die Vernetzung zwischen den medizinischen Fächern. Zudem wollen wir die Selbständigkeit der Studierenden stärken. Früher wurden diese in Vorlesungen stundenlang berieselt, heute müssen wir sie mehr aktivieren. Hinzu kommt die individuelle Begleitung: Jeder Studierende bekommt einen Betreuer, der mit ihm/ihr schaut, wo er/sie hin will und was es braucht, um voranzukommen.

Das Medizinstudium und auch der Beruf gelten nach wie vor als Verschleissjob.
Leider. Ich habe ein Buch über Resilienz geschrieben und diese Arbeit wird sicher in meine Unterrichtsphilosophie einfliessen.

Resilienz? Da haben Sie ein sehr trendiges Thema gewählt!
Ich weiss. Beziehungsweise: Als ich mit der Forschung dazu anfing, wusste ich noch nicht, dass es einmal so populär werden würde. Aber offenbar bin ich auf Trendthemen abonniert:  Mein letztes Buch beschäftigt sich mit der Darm-Hirn-Achse. Beides sind aber auch wissenschaftliche «hot topics». Ginge es nur um das populäre Interesse, wäre es nicht meins.

Wie sind Sie überhaupt bei der Psychiatrie gelandet?
Ich habe in Zürich, Paris und London studiert und begann danach als Assistenzarzt auf der Inneren Medizin. Dann arbeitete ich an der Medizinischen und Psychiatrischen Polikliniken des Universitätsspitals Zürich und es ging immer mehr in Richtung Psychiatrie. Nach einigen Jahren hat es mich doch mehr in Richtung Forschung gezogen und Prof. Jules Angst schickte mich in die USA. Dort verstand ich mich aber mit meinem Vorgesetzten schlecht. Schliesslich ging ich zu seinem Vorgesetzten und sagte ihm, ich gehe jetzt langsam heim. Was ich nicht wusste: gerade eben hatte Präsident Bush das Forschungsbudget verdoppelt. Also bot er mir eine Stelle an. Plötzlich forschte ich mit einem der meistzitierten Psychiater der Welt und erhielt einige Stunden pro Woche Privatunterricht. Heute sind Depressionen und Essstörungen meine wichtigsten Forschungsfelder.

Eine besondere Form der Depression, das Burn-Out, ist auch unter Medizinern verbreitet.
Und da müssen wir unsere Leute besser vorbereiten. Beispielsweise müssen wir unseren Studierenden realistischere Erwartungen an sich selbst und an ihren Beruf mitgeben. In der Theorie gibt es für die meisten Probleme eine Lösung, in der Praxis sieht es ganz anders aus. Da gibt es viele chronische Geschichten, Patienten mit unklaren Symptomen, verwirrendem Krankheitsverlauf oder solche, wo man bloss noch die Symptome lindern kann.

Das erfordert eine gewisse Bescheidenheit.
Wenn drei Patienten ein Spital betreten, bleiben bei zweien die Ursachen der Symptome unklar. Warum genau einer Bauchschmerzen hat und sich beim andern der Sehnenansatz entzündet, können wir oft nicht sagen. Meist ist schon viel erreicht, wenn wir schlimmere Ursachen ausschliessen können.

Wenn Sie den Anspruch haben, sagen zu können: «Das ist das Symptom, folglich ist das die Krankheit, folglich kann ich sie mit diesem Mittel heilen», dann kommen Sie zuverlässig zum Burnout. Vieles in ihrer Arbeit wird unklar bleiben. Sie werden mit Unwissen umgehen müssen und auch mit Ohnmacht. Und darauf müssen wir die Studierenden vorbereiten.

Sie plädieren also für mehr Realismus.
Ja. Ich sehe das auch in meiner Arbeit mit Leuten mit Gewichtsproblemen wegen Essstörungen. Sie können den Leuten nicht einfach sagen «Gehen Sie schwimmen» oder «Essen Sie weniger». Das kommt alles nicht an. Man muss viel mehr schauen, wo stehen die Leute? Welche Bewegung könnte ihnen Spass machen? Vielleicht ist Schwimmen das grosse Trauma ihrer Kindheit?

Manche essen sehr ungesund, andere können nicht kochen, dritte haben keinen geordneten Rhythmus: da können Sie nicht sagen «Ab morgen essen Sie bitte mediterran». Da müssen Sie erst schauen: Kann der kochen? Will der kochen? Wie könnte er sein Nahrungsspektrum erweitern? Was könnte ihn motivieren und wo sind die Widerstände gegen eine Veränderung?

Sie wollen Verhaltensänderungen nicht befehlen, sondern begleiten.
Medizin ist ja immer eine Verhaltensänderung: Machen Sie mehr Bewegung, halten Sie diese Diät, nehmen Sie diese Tabletten. Nur sind wir Menschen leider furchtbar undiszipliniert. 50% der Leute nehmen die Tabletten nicht, die man ihnen verschreibt. Obwohl das auf den ersten Blick ja sehr einfach wäre. Auch das ist eine Realität. Wichtig scheint mir, dass jeder Arzt die Grundprinzipien der Verhaltenstherapie kennt, das heisst von den wissenschaftlich fundierten Methoden, Verhalten nachhaltig zu ändern.

Sie wollen also Pragmatikerinnen und Pragmatiker ausbilden, keine Halbgötter in Weiss.
Interessanterweise haben die Patienten diesen Anspruch ja gar nicht. Die wollen primär einen Arzt oder eine Ärztin, die sie ernst nimmt.

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Author

War schon Wünscheerfüller, Weinbauhelfer, Unidozent, Redaktionsleiter, Veloweltreisender und kleinkünstlerischer Dada-Experte. Ist dank dem Science Slam an der Universität Freiburg gelandet.

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