Am 28. Oktober wird im Rahmen des Zyklus «Recht im Film» der Rechtswissenschaftlichen Fakultät die Dokumentation «ARADA» im Cinémotion REX Freiburg vorgeführt: Drei Männer erzählen von ihrem Heimweh nach der Schweiz. Hier aufgewachsen, wurden sie wegen Straftaten in die Türkei, das Land ihrer Eltern, ausgewiesen … Wir haben im Vorfeld mit Regisseur Jonas Schaffter über seinen hochaktuellen und nachdenklich machenden Film gesprochen.
Wie haben Sie den Weg zum Sujet Ihres Films gefunden?
Das ist eine längere Geschichte. Ich habe vor etwa acht Jahren bereits in Istanbul gelebt, habe dort meinen ersten Dokumentarfilm «Offside Istanbul» realisiert und bin seither vernarrt in diese Stadt. Ende 2015 bekam ich dann die Chance, für ein Reisestipendium einer Schweizer Stiftung wieder in die Türkei zu reisen. Ich wollte diese Zeit zu Recherchezwecken eines neuen Filmprojektes nutzen. Bei der Themensuche hat mich die Schnittstelle zwischen der schweizerischen und türkischen Kulturen interessiert. Eine meiner Ideen war, Menschen zu begleiten, die in der Schweiz aufgewachsen und unfreiwillig in der Türkei gelandet sind. Ich hatte aber keine Ahnung, ob ich solche Menschen überhaupt finden werde. Zwei Tage vor meiner ersten Recherecheise hat mir ein türkischer Bekannter aus dem Kleinbasel eine Liste mit Namen und Adressen von ausgewiesenen Schweiztürken überreicht. Ich habe daraufhin die ganze Türkei bereist und diese Leute aufgesucht.
Das Schlüsselerlebnis hatte ich dann bereits am zweiten Tag dieser Reise – als ich zuhause bei Vedat (einer der Hauptprotagonisten von «Arada») und seinen zwei Mitbewohnern irgendwo auf der asiatischen Seite Istanbuls sass. Die drei Männer sind alle in der Schweiz aufgewachsen und wurden nach Verbüssen ihrer Gefängnisstrafen in die Türkei ausgewiesen. Sie haben sich danach in einem der unzähligen deutschsprachigen Callcenter Istanbuls kennengelernt und zusammen ihre Schweizer WG gegründet. Sie sprechen ausschliesslich Schweizerdeutsch miteinander. Gemeinsam versuchen sie im Exil an ihrer Schweizer Identität und Lebensweise festzuhalten. Man ist unter Schicksalsgenossen und jeder weiss wie sich der andere fühlt. In der Türkei fühlen sie sich fremd. Ich habe also mitten in Istanbul eine Seite der Schweiz kennengelernt, von der ich vorher noch nichts geahnt habe. Als ich mich in jener Nacht um drei Uhr morgens dann endlich auf den Heimweg machte, war für mich zu hundert Prozent klar: Darüber muss ich einen Film machen.
«Arada» bedeutet «dazwischen» auf Türkisch. Was ist Heimat? Kann Heimat nicht auch das «Dazwischen» sein?
Auch ich kann keine abschliessende Antwort darauf geben was Heimat ist. Die Antwort variiert von Mensch zu Mensch. Heimat können Orte, Gerüche oder ganz einfach ein Gefühl sein – meistens positiv konnotiert. Für mich persönlich ist Heimat stark ortsgebunden – also das Dorf im solothurnischen Jura, wo ich aufgewachsen bin und meine Familie habe. Denke ich an Heimat, schätze ich mich glücklich, diese örtlich festmachen zu können. Und ich bin sehr froh darüber, dass ich mich jederzeit dorthin zurückziehen kann. Meine Protagonisten können dies nicht. Für sie wurde entschieden, wo ihre Heimat zu sein hat. Die Idee zum Titel «Arada», also «Dazwischen», entstand erst im Laufe der langen Montagearbeit. Das Thema Heimat war natürlicherweise stets direkt oder indirekt Teil der Gespräche mit den Protagonisten. Dabei wurde deutlich wie nahe Heimat und Identität beieinander liegen. Dieses «dazwischen-» oder «in der Schwebe sein» ist Teil der eigenen Identität. Ich sehe das auch als eine Stärke und Bereicherung, auch wenn oft der Wunsch einer klareren Zugehörigkeit da ist. Ob das «Dazwischen» auch Heimat sein kann? Ich weiss es nicht. Doch denke ich, dass es lohnenswert ist, die eigene Heimat in diesem Dazwischen zu finden.
War die Ausschaffung der Protagonisten die Verbannung aus dem Paradies oder wird die Schweiz idealisiert?
In den Köpfen der Protagonisten ist die Schweiz tatsächlich ein Paradies. Die Schweiz wird idealisiert. Kaum sind sie in der Türkei, der Heimat ihrer Eltern, träumen sie nur von ihrer Heimat in der Schweiz – vom Ort, wo sie aufgewachsen sind, wo man sie versteht, wo sie ihr Umfeld haben und wo sie sich selbst sein konnten. Lange sah es so aus, als könnte ich zumindest einen der Protagonisten während der Dreharbeiten zurück ins «Paradies Schweiz» begleiten. Das wäre sehr spannend gewesen, da ich mir ziemlich sicher bin, dass ihn im vermeintlichen Paradies schnell wieder die Realität einholt. Dieses Bild der Schweiz als Paradies gibt den Protagonisten Kraft. Doch insgeheim wissen sie, dass zurück in der Schweiz auch viele Probleme auf sie zukommen würden. Die Realität in der Schweiz – als Vorbestrafter wieder Fuss zu fassen, Schulden abzuzahlen, die Bürokratie etc. – hat bald nichts mehr mit der idealisierten Schweiz zu tun. Dieses paradiesische Bild der Schweiz fern der Heimat hat mich bei der Arbeit zu «Arada» sehr interessiert. Spannend zu sehen war, wie selbst negative Erlebnisse in der Schweiz ins Positive umgewandelt werden. Bei der Recherche meinte ein Ausgewiesener mal, dass er sogar die Rassistin vermisse, die ihn im Tram immer als «Scheisstürke» bezeichnet habe.
Inwiefern ist die Strafe für die begangenen Straftaten in diesem Fall verhältnismässig?
In meinem Film wollte ich nicht der Frage nachgehen, ob eine Verbannung aus der Schweizer Heimat nach der bereits abgesessenen Haftstrafe gerecht ist oder nicht. Mich interessierte, was mit Menschen und ihrer Identität passiert, die unfreiwillig aus ihrer eigentlichen in ihre angebliche Heimat ausgewiesen werden. Für mich war es schockierend zu sehen, wie Menschen, die in der Schweiz aufgewachsen sind und eine solch starke Bindung zur Schweiz haben, auf praktisch lebenslange Zeit aus der Schweiz verbannt werden können und dabei zu beobachten was mit ihnen und ihrem Umfeld passiert. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine der härtesten Einbürgerungspraxen hat und zudem eine äusserst rigide Ausweisungspolitik gegen straffällige Ausländer angewendet wird. Dies führt zu einer explosiven Mischung. Die Verbannung aus der Heimat ist eine zusätzliche Bestrafung – und für die meisten Ausgewiesenen die viel grössere Strafe als die eigentliche Gefängnisstrafe.
Ist Ihr Film eine Dokumentation über die Reue?
Nicht in erster Linie. Tatsächlich legten wir jedoch während der Montage viel Wert darauf, genau diesem Thema genügend Raum zu geben. Gezielt habe ich die Protagonisten während der Dreharbeiten auch immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Diese ist ja auch der Grund für ihr Verharren in der Fremde und daher ihr täglicher Begleiter. Es ist spannend zu sehen, wie der Umgang mit der Vergangenheit und damit verbunden mit Schuld und Reue bei allen dreien sehr unterschiedlich ist.
Sehen Sie sich in rein beschreibender Funktion oder ist Ihre Arbeit ein politisches Statement?
Zu Beginn ging ich ohne politische Motivation an dieses Thema heran. Ich war neugierig und an den Kontrasten, Reibungen, dem Skurrilen dieser Thematik interessiert. Mir war selbstverständlich klar, dass dieser Film wegen seines thematischen Rahmens sehr politisch aufgenommen wird. Doch hatte ich keine Lust darauf, einen aktivistischen Film zu machen. Ich wollte nahe bei den Schicksalen meiner drei Protagonisten bleiben, sie als Beobachter bei ihrem Alltag begleiten und sie immer wieder mit Fragen konfrontieren. Ich denke aber, dass diese Realität, die wir für diesen Film festgehalten und montiert haben, eine sehr politische Kraft hat. Das Abbild dieser verborgenen Realität spricht für sich und soll Probleme aufzeigen, von denen wir hier in der Schweiz nicht die Augen verschliessen dürfen.
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