Wie beeinflusst die COVID-19-Pandemie den Schlaf von Kindern? Dieser Frage geht das Baby-Schlaflabor am Departement für Psychologie in einer neu lancierten Onlinestudie nach. Im Interview erklärt Professorin Salome Kurth, warum der Lockdown spannende Einblicke ermöglicht – und wie sich der veränderte Alltag auf das Schlafverhalten der Kinder auswirken könnte.
Durch den Lockdown verbringen Eltern und Kinder momentan sehr viel Zeit zu Hause. Was macht diese Konstellation so interessant für Sie?
Der Lockdown ist eine Art riesiges Experiment, in dem wir alle stecken. Ohne dass wir eine Wahl haben, sind wir jetzt mehr oder weniger eingesperrt. Während einige weiterhin einen strukturierten Alltag haben, sind andere völlig sich selbst überlassen. Viele Herausforderungen drehen sich um das Thema Rhythmus – und Rhythmus ist etwas, das uns in der Kinder-Schlafforschung auch sehr interessiert. Wie entsteht Rhythmus? Welche Faktoren sind förderlich, welche hinderlich? Momentan erleben wir alle, wie sich verschiedene Einflüsse in unserem Leben verändern, das macht es für die Forschung so spannend.
Eine vielleicht einmalige Chance, um leichter zu wichtigen Erkenntnissen zu gelangen?
Ja, ich denke, dass wir zu wichtigen Erkenntnissen kommen können, die über unsere regulären Forschungsmethoden hinausgehen. Bei unseren Studien ist der Faktor der Familienkonstruktion wichtig. Viele Eltern sind jetzt öfter zu Hause als sonst, haben wahrscheinlich auch näheren Kontakt zu den Kindern. Das ist eine grosse Dimension, die anders ist als üblich. Was verändert sich dadurch? Und wie wirkt sich das auf den Schlaf und auf den Rhythmus des Kindes aus? Ist es förderlich, oder bekommt das Kind stattdessen Mühe? Wir wissen es noch nicht. Gut möglich, dass dabei auch kulturelle Unterschiede im Umgang mit der neuen Situation offengelegt werden.
Inwiefern?
Die Studie ist international angelegt. Durch die unterschiedlichen Weisungen der Regierungen fallen vielleicht auch die Resultate anders aus. Sind die Einschränkungen beispielsweise strenger, bedeutet das vielleicht generell mehr Stress für die Eltern, während bei lockereren Regulationen die Stimmung entspannter sein könnte.
Schlafen Kinder Ihrer Meinung nach momentan besser oder schlechter als vor dem Lockdown?
Aus meinem privaten Umfeld habe ich von mehreren Seiten gehört, dass mehr Familienzeit bleibt, die Kinder also mehr von ihren Eltern haben – und dadurch besser schlafen. Viel hängt jedoch vom Alter der Kinder ab. Wir haben für unsere Studie Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren gewählt, und innerhalb dieses Altersbereiches wird es wahrscheinlich Unterschiede geben. Zudem kommt es ebenfalls darauf an, wie stark sich die Situation individuell verändert hat. Ob die Eltern schon vorher für die Kinder stark verfügbar waren, welche Rituale die Eltern beibehalten oder neu einführen, wie regelmässig etwa Mahlzeiten eingenommen werden – also letztlich auch wie der Rhythmus in den Familien umgesetzt wird.
Würden Sie Eltern also raten, momentan möglichst den normalen Rhythmus beizubehalten?
Ich rate ihnen, eine Balance zu finden und für die Familie einen realisierbaren Tagesablauf zu definieren – auch unter Einbezug des Faktors Tageslicht, der unter diesen erschwerten Bedingungen auch eine Rolle spielt.
Ist es ein Problem, wenn Kinder derzeit zwei Stunden später ins Bett gehen als üblich?
Nicht unbedingt. Wenn man die Schlafzeiten innerhalb dieser Lockdown-Zeit wiederum konsistent halten kann, ist das ebenfalls okay. Immer vorausgesetzt, die Eltern betrachten das nicht selbst als Problem.
Was versteht man aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt unter gutem und gesundem Schlaf?
Es kommt sehr auf die Altersgruppe an; der Schlaf verändert sich insbesondere in den ersten Lebensjahren enorm. Es gibt internationale Richtlinien, wie lange der Schlaf im jeweiligen Alter ungefähr sein sollte. Dabei ist jeweils eine Bandbreite vorgegeben, innerhalb der sich ein Kind bewegen kann, denn nicht alle Menschen benötigen gleich viel Schlaf. Die Dauer alleine ist also nicht unbedingt entscheidend. Als „schlechter“ Schlaf bei Kindern gilt dieser oftmals dann, wenn er für die Eltern ein Problem darstellt. Wenn zum Beispiel der Moment, in dem sich Eltern wünschen, dass das Kind schläft und der Moment, in dem es wirklich einschläft, weit auseinander liegen. Oder dann, wenn Kinder vermehrt aufwachen und etwas verlangen. Es geht also oft auch darum, was die Eltern erwarten, wozu das Kind fähig sein sollte. Und ob das mit den Bedürfnissen des Kindes übereinstimmt – und dadurch allenfalls ein Mismatch entsteht.
In der Umfrage ist von Zeitgebern die Rede, die wir derzeit möglicherweise verlieren. Was muss man sich darunter vorstellen?
Zeitgeber sind all die Dinge, die uns helfen, einen Rhythmus zu finden: Regelmässige Nahrungsaufnahme, Bettrituale, geregelte Arbeitszeiten oder auch regelmässige Telefonate mit Angehörigen. Es sind zeitliche Ankerpunkte, die dem Körper die physiologischen Abläufe erleichtern. Im Lockdown sind diese oftmals weniger vordefiniert als sonst, es braucht mehr Selbstverantwortung.
Bei Mäusen haben Forschende herausgefunden, dass die Entwicklung des Gehirns gehemmt wird, wenn ihnen in jungen Jahren der Schlaf entzogen wird. Ist das möglicherweise bei Menschen ähnlich?
Wenn bei Mäusen oder auch Fruchtfliegen ein extremer Schlafentzug über längere Zeit stattfindet, hat das tatsächlich langfristige Konsequenzen. Die Tiere zeigen Entwicklungsstörungen – im Verhalten, aber auch die Hirnverbindungen weisen ein anderes Muster auf, im Vergleich zu denjenigen Tieren, die ungestört schlafen konnten. Inwiefern das für Menschen gilt, ist schwierig zu sagen, weil keine solchen Tests möglich sind, aus denen wir schliessen könnten, dass genau nur der Faktor „zu wenig Schlaf“ für solche Resultate entscheidend ist. Wir können Menschen nicht isoliert aufwachsen lassen. Wir können deshalb jeweils nicht explizit sagen: Es ist sicher der fehlende Schlaf, der zu einer gewissen Entwicklung geführt hat. Aber möglich ist es natürlich.
Warum ist Schlaf überhaupt so wichtig für Kinder?
Der Schlaf unterstützt die Entwicklungsprozesse des Gehirns. Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass der Schlaf, genau in den Hirnregionen, die je nach Alter besonders beansprucht werden, Erholung bietet. Dadurch wird diese Entwicklung, dieser Lernprozess, unterstützt. Der Schlaf hilft, am Tag gelernte Dinge aufzuräumen und zu verankern. Überhaupt ist es also wichtig, dass man zu seinem Schlaf Sorge trägt – und zwar in jedem Alter. Das ist nicht immer einfach, aber der Schlaf ist essenziell für unsere Gesundheit.
Der Lockdown in der Schweiz begann erst vor gut einem Monat – und schon haben Sie eine Onlinestudie lanciert. Wie kam es zu diesem spontanen Projekt?
Ich war in den Ferien, als es zum Lockdown kam und geriet somit erst ein bisschen verzögert in diese Situation. Das half vielleicht, aus einer Aussenperspektive zu sehen, was die Situation mit den Menschen anstellt, und wie gross die Veränderung ist. Wir haben uns dann im Team zusammengesetzt und ein Brainstorming gemacht. Eigentlich hätten wir in diesen Wochen mit einer Studie begonnen, bei denen wir jeweils bei vielen Familien zu Hause wären, viel interagieren und etwa auch bei Babys die elektrische Aktivität im Gehirn messen würden. Aber das geht ja momentan nicht. So kamen wir auf die Idee mit der Onlinestudie, die wir dann mit grossem Effort und einigen Nachtschichten zusammengestellt haben.
Lassen sich die Ergebnisse aus der Umfrage später mit den Messungen zu einem grossen Ganzen verbinden?
Auf jeden Fall werden die Daten der Onlinestudie einen Nutzen bringen. Diese Daten ermöglichen eine grössere Stichprobe an Teilnehmenden einzuschliessen. Unter den „normalen“ Umständen mit unseren Hausbesuchen wäre das nicht möglich. Die Sicht auf den Schlaf wird verbreitert, indem wir Familien erreichen, die für die aufwändigeren Messungen keine Kapazität hätten.
Wir bieten zudem in der Umfrage den Teilnehmenden die Möglichkeit, dass sie über weitere Folgestudien informiert werden. Wenn sie für diese Forschung ein wachsendes Interesse entwickeln, können wir sie später vielleicht noch einmal in einer anderen Form von Studie miteinschliessen.
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- Link zur Studie – Die Umfrage kann in Deutsch, Französisch, Englisch oder Italienisch durchgeführt werden.
- Assistenzprofessorin Salome Kurth hat sich nach ihrem Masterstudium in Biologie unter anderem intensiv mit der Neurophysiologie und Neurobiologie des Schlafs beschäftigt. Heute arbeitet und forscht die 38-Jährige aus Luzern am Universitätsspital Zürich sowie am Departement für Psychologie der Universität Freiburg, wo sie das 2019 lancierte Baby-Schlaflabor leitet. Salome Kurth ist Teil des Förderprogramms Eccellenza, mit dem der Schweizerische Nationalfonds herausragende junge Forschende unterstützt, die eine permanente Professur anstreben.
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