Mit dem Genderpreis werden Master-, Doktorarbeiten und andere wissenschaftliche Publikationen ausgezeichnet, welche eine Gender-Fragestellung in den Fokus rücken. Dominique Lysser vom Departement für Zeitgeschichte wurde mit sFr. 3000.- prämiert: Ihre Arbeit behandelt die Geschichte der KZ-Bordelle. Im Rahmen des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen haben wir die Historikerin zum ihrem Forschungsthema befragt und dabei viel Neues gelernt.
Wie fühlt es sich an, für die eigene Arbeit mit dem Genderpreis ausgezeichnet zu werden?
Die Anerkennung ist ein tolles Gefühl. Ich habe viel Zeit und Energie in meine Masterarbeit investiert und bin zu Recherchezwecken mehrmals nach Deutschland gereist. Zu spüren, dass sich dieser grosse Aufwand gelohnt hat, ist enorm wertvoll und motivierend. Als Feministin war mir eine gendersensible Perspektive auf meinen Forschungsgegenstand von Anfang an sehr wichtig. Dass genau dieser Fokus der Grund ist, warum die Arbeit ausgezeichnet wird, freut mich natürlich umso mehr.
Das Thema Ihrer Arbeit in einem einzigen Satz (oder in einer einzigen Frage) …
Meine Masterarbeit befasst sich mit der Ausstellungspraxis und Darstellungstradition der Geschichte der Sex-Zwangsarbeit in Häftlingsbordellen in den Dauerausstellungen der KZ-Gedenkstätten Neuengamme, Flossenbürg und Ravensbrück.
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Masterarbeit gekommen?
Ich habe eine Mastervorlesung von Prof. Dr. Christina Späti und Prof. Dr. Julia Gelshorn über die Rezeptionsgeschichte des Holocaust besucht. Auf der Suche nach einem Thema für das Midterm-Paper bin ich dann eher zufällig auf die Geschichte der KZ-Bordelle gestossen. Ich hatte vorher noch nie von Bordellen für männliche Häftlinge in Konzentrationslagern gehört. Das hat mich gleichermassen schockiert und motiviert, mehr über diesen Teilaspekt des nationalsozialistischen Gewaltsystems zu erfahren. Und ich habe sofort gemerkt: Mein Interesse an diesem Thema war definitiv grösser als der Umfang eines regulären Midterm-Papers.
Ganz viele Menschen wissen nicht, dass es KZ-Bordelle gab. Warum ist das Thema so unsichtbar?
Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Erstens ist die späte Historisierung und Musealisierung der Geschichte der Sex-Zwangsarbeit in den KZ-Bordellen das Resultat der langjährigen gesellschaftlichen Tabuisierung der geschlechtsbezogenen Gewalt im Nationalsozialismus. Obwohl sexuelle Gewalt eine Form der Machtausübung darstellt, die überall verfügbar ist und verstanden wird, wirken Skandalisierungstendenzen der sachlichen und kritischen Auseinandersetzung auf gesellschaftlicher, juristischer und historischer Ebene entgegen.
Zweitens bedeutete die Befreiung der NS-Konzentrationslager und der Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht für alle ehemaligen Häftlinge auch eine Befreiung der stigmatisierenden und diskriminierenden Behandlung durch die Mehrheitsgesellschaft. Die Hierarchisierung der Gefangenen in Haftgruppen unterschiedlichen Sozialprestiges wirkte auch nach Kriegsende fort. Die tiefe Position der als «asozial» Verfolgten, zu denen die Mehrheit der Sex-Zwangsarbeiterinnen gehörte, verortete sie auch nach ihrer KZ-Haft (wieder) an den Rand der Gesellschaft und damit auch ausserhalb der Geschichtsschreibung.
Und drittens entstand erst durch den Paradigmenwechsel von Politik- und Ereignisgeschichte zu Alltags- und Mikrogeschichte in den 1970er Jahren ein methodischer Bezugsrahmen, der geschlechtsspezifische Perspektiven auf die KZ-Geschichte überhaupt erst ermöglichte.
Sichtbarkeit ergibt sich folglich nicht einfach, sondern sie wird hergestellt. Jede Präsentation von Geschichte verweist zum einen auf die historischen Inhalte, die sie zu vermitteln versucht und zum anderen auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die sie geschaffen hat.
Wie werden KZ-Bordelle in den Museen behandelt? Sind Sie mit der Art und Weise einverstanden oder was sollte anders gemacht oder erzählt werden?
Die «eine» Darstellung der Geschichte der KZ-Bordelle und der Sex-Zwangsarbeit gibt es nicht und das ist auch gut so. Ich habe im Rahmen meiner Masterarbeit die Gedenkstätten Neuengamme, Flossenbürg und Ravensbrück untersucht. Dabei wurde sehr schnell deutlich, dass Fragen der musealen Inszenierungsmittel und gestalterischen Möglichkeiten von vielen verschiedenen Faktoren abhängen: Wie gross ist die zur Verfügung stehende Ausstellungsfläche? Welche Quellen können als Exponate zugänglich gemacht werden? Wie lässt sich dieser spezifische Aspekt der Lagergeschichte in das Narrativ der Gesamtschau integrieren?
Ich denke, insgesamt ist wichtig, dass die Geschichte der Lagerbordelle und der Sex-Zwangsarbeit in allen drei Ausstellungen als Teilaspekt des Gewaltsystems Konzentrationslager «zu sehen» gegeben wird, auch wenn diese Sichtbarkeit unterschiedliche Formen der Repräsentation umfasst. Die Gedenkstätte Ravensbrück beispielsweise widmet dem Thema einen eigenen Ausstellungsraum. Das ist nicht nur aufgrund der Ausstellungsarchitektur möglich, sondern auch dank dem vielfältigen Quellenmaterial. Im Gegensatz dazu nimmt die Sex-Zwangsarbeit innerhalb der Ausstellung zur Geschichte des KZ Flossenbürg verhältnismässig wenig Raum ein. Flossenbürg war ein reines Männerlager und die Zwangsarbeit im Lagerbordell in Relation dazu ein entsprechend marginaler Aspekt.
Wer hat von den KZ-Bordellen profitiert und wie lassen sich diese mit der NS-Logik (z.B. « Rassenschande ») vereinbaren?
Die Bordelle in den Konzentrationslagern waren Teil eines umfassenderen Prämiensystems, das Vergünstigungen an Häftlinge regelte. Heinrich Himmler erhoffte sich durch diese Leistungsanreize eine Produktivitätssteigerung der Häftlinge. Nur sehr privilegierte und besser gestellte Häftlinge durften (und konnten) das Lagerbordell besuchen. Das erklärt auch die geringe Dimension: Die Zahl der Bordellgänger machte weniger als 1% der männlichen Häftlinge aus. Das waren anfangs vor allem «Reichsdeutsche», später auch Polen, Skandinavier und Westeuropäer. Jüdischen Häftlingen und sowjetischen Kriegsgefangenen war der Bordellbesuch verboten. Entsprechend war auch die Mehrheit der Sex-Zwangsarbeiterinnen «reichsdeutscher» Herkunft. Es ist auszuschliessen, dass jüdische Frauen in den Lagerbordellen sexuell ausgebeutet wurden. Im Gewaltverhältnis «KZ-Bordell» greifen folglich die rassistischen, antisemitischen, antifeministischen sowie heterosexistischen Dimensionen der NS-Ideologie ineinander.
Zwangsprostituiert wurden u.a. auch lesbische Frauen. Bisher wird aber nirgends explizit und allein lesbischen Verfolgten des NS-Regimes gedacht. Die Debatte über ein Mahnmal in Ravensbrück zieht sich schon seit ein paar Jahren und es gab Konflikte innerhalb der LGBT+ Community, weil einige (schwule) Historiker lesbischen Frauen abgesprochen haben, zu den Opfergruppen dieser Zeit zu gehören. Wie gut dokumentiert ist das Thema? Und warum wird es so emotional diskutiert?
Weibliche Homosexualität wurde im Gegensatz zu männlicher Homosexualität, die als «volkszerstörerisch» galt, nicht strafrechtlich verfolgt, sofern nicht weitere Verfolgungsgründe vorlagen. Im Verständnis der Nationalsozialisten war auch eine lesbische (reichsdeutsche) Frau «geschlechtsbereit», das heisst biologisch dazu in der Lage, Kinder für den NS-Staat zu zeugen. Dieser genderspezifische Unterschied in der Verfolgung homosexueller Menschen war das Resultat der pronatalistischen Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten.
Trotzdem: Für homosexuelle Frauen war innerhalb der «deutschen Volksgemeinschaft» kein Platz und lesbische Beziehungen wurden als «Entartungserscheinungen» gewertet. Ich denke, deshalb ist es aus historischer Perspektive berechtigt und gesellschaftlich wichtig, lesbische Frauen zu den Opfergruppen dieser Zeit zu zählen, auch wenn sich ihre Verfolgungskontexte von denjenigen homosexueller Männer unterscheiden. Aber Opferzuschreibungen waren und sind immer ein politischer Streitpunkt, nicht zuletzt auch deswegen, weil es sich dabei um eine Frage der Definitionsmacht handelt.
Es gibt jetzt einen neuen Antrag für ein Mahnmal bzw. eine Gedenkkugel, der von einem breiten Bündnis queerer Gruppen getragen wird. Ist mit neuem Widerstand zu rechnen oder kommt es diesmal Ihrer Einschätzung nach doch noch zu einem guten Ende?
Wie der Antrag aufgenommen und ob mit Widerstand zu rechnen sein wird, kann ich nicht voraussagen. Als Historikerin setze ich mich in meiner Arbeit mit vergangenen Ereignissen auseinander und stelle in der Regel keine Prognosen für die Zukunft auf.
Ich denke aber, dass der zwangsläufig wiederkehrenden öffentlichen Debatte über den «richtigen» Umgang mit der eigenen Geschichte eine wichtige Korrektivfunktion zukommt. Jede Gesellschaft erwartet andere Erinnerungen und lässt andere zu: die kulturellen Kontexte und Sozietäten beeinflussen, was durch wen, wie und zu welchem Anlass erinnert wird. Eine solche Diskussion sagt also viel über unsere Bedürfnisse in der Gegenwart aus und wie wir diese gesamtgesellschaftlich verhandeln.
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- Webseite von Dominique Lysser
- Informationen zum Dies academicus 2020
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