Könnte beim Streit um die Kernenergie der rechtzeitige Ausstieg aus fossilen Brenn- und Treibstoffen verpasst werden? Sollte angesichts des Klimawandels und der Energiekrise die Rolle der Kernenergie neu überdacht werden? «Kernenergie – Chancen und Risiken» von Hansruedi Völkle beschäftigt sich mit diesen aktuellen Fragen.
Auszug
«Der Klimawandel, verursacht durch den Ausstoß von CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger, und die damit einhergehende Ressourcenverknappung haben uns die Notwendigkeit einer Energiewende vor Augen geführt. Unsere Wirtschaft muss sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brenn- und Treibstoffen befreien. Um das CO2-Budget der Klimafachleute einzuhalten, müssen wir den CO2-Ausstoß innerhalb einer Generation auf null reduzieren. Andernfalls werden wir es nicht schaffen, die Erwärmung der Erde bei 2 °C aufzuhalten. Viele Fachleute bezeichnen den Klimawandel denn auch als die größte Herausforderung, mit der die Menschheit je konfrontiert war. Es geht um drei Hauptziele:
• Energie- und Rohstoffverbrauch senken und Stoffe systematisch rezyklieren,
• Freisetzung von CO2 und anderer anthropogener Schadstoffe und Treibhausgase drastisch senken,
• Anpassung an eine durch den Klimawandel veränderte (Um-)Welt.
Die entscheidende Frage ist, wo die Prioritäten zu setzten sind: Beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas oder beim Ausstieg aus der Kernenergie? Dieses Buch möchte aufzeigen, dass der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern angesichts der realen Bedrohung durch den Klimawandel oberste Priorität haben sollte. Die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen mit der erforderlichen Stabilität und Versorgungssicherheit, braucht Zeit. Beim Übergang in eine CO2-neutrale Energieversorgung kann die Kernenergie nützlich sein, denn sie trägt zur Versorgungssicherheit und Diversifizierung der Elektrizitätsversorgung bei. Wir müssen auch berücksichtigen, dass eine Reduktion beim Verbrauch fossiler Energien zu einem erheblichen Mehrbedarf an Strom z. B. für Elektromobilität und für Wärmepumpen bei der Gebäudeheizung führen wird. Die Kernenergie ist damit auf absehbare Zeit eine sinnvolle Ergänzung zu den volatilen neuen, erneuerbaren Energien aus Photovoltaik und Windkraft. Der Autor ist der Meinung, dass wir uns nicht im Streit für oder gegen die Kernenergie die Köpfe einschlagen sollten, sondern uns gemeinsam den Herausforderungen des Klimawandels stellen und eine wirksame Strategie zum raschen Ausstieg aus den fossilen Brenn- und Treibstoffen entwickeln sollten.»
Zusammenfassung
Dieses Fach- und Sachbuch mit insgesamt 314 Seiten besteht aus 9 Kapiteln, mit 54 Abbildungen, 45 Tabellen, 40 Info-Boxen mit ergänzenden Zusatzinformationen, sowie einem Stichwortverzeichnis und eine Liste der Abkürzungen mit Glossar. Dr. Eduard Kiener, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie, verfasste das Geleitwort. Das Buch ist sowohl als Paperback als auch als E-Book bei Springer Heidelberg/D verfügbar.
Das erste Kapitel geht von der Entdeckung der Kernspaltung aus und beschreibt die Entwicklung und Erprobung von Kernwaffen sowie die Auswirkungen der Bombardierung der japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945. Beim zweiten Kapitel steht die, wie man es nannte, friedliche Nutzung der Kernenergie im Vordergrund, vor allem aber die Auswirkungen und die Bewältigung von Reaktorkatastrophen wie Lucens, Tschernobyl und Fukushima. Das dritte Kapitel behandelt die Herausforderungen, die bei der Nutzung der Kernenergie zu bewältigen sind, etwa die Strahlendosen der Mitarbeitenden in den Werken und in der Nahumgebung wohnenden Bevölkerung, das Risiko von Kinderleukämien durch die Emissionen, der Trend bei der Entwicklung neuer Reaktortypen, die Entsorgung radioaktiver Abfälle, die Gefahren durch Nuklearterrorismus und Cyberkriminalität sowie auch die Themen Strahlenangst und Risikowahrnehmung. Im vierten Kapitel geht es um die biologische Wirkung von Radioaktivität und ionisierender Strahlung, also um die Quantifizierung und Bewertung des Strahlenrisikos. Der Vergleich zu den übrigen, zivilisationsbedingten Risiken – insbesondere jenen aus der Stromerzeugung durch fossilen Energieträger – und den naturgegebenen in unserem täglichen Leben ist Gegenstand des fünften Kapitels. Im sechsten Kapitel geht es um die nukleare Sicherheit und wie diese zu verbessern sei, im siebten um die Notfallvorsorge und die Bewältigung von radiologischen Unfällen und Katastrophen. Das achte Kapitel versucht, die Kernenergie, deren Vor- und Nachteile, deren Chancen und Risiken, im Kontext von Klimawandel, Energiekrise und Nachhaltigkeit neu und objektiv zu bewerten. Dieses Kapitel enthält auch eine Prognose des Schweizer Stromverbrauch während dem uns bevorstehenden Ausstieg aus den fossilen Energien sowie Ansätze zur Bewältigung des dabei zu erwartenden Mehrbedarf an Strom. Der Ausblick im neunten und letzten Kapitel befasst sich mit unserer Verantwortung für diese Erde sowie gegenüber den kommenden Generationen.
Warum soll man das Buch lesen?
Klimawandel und Energiekrise sind eine globale Herausforderung und wir stehen nicht mehr am Anfang, sondern bereits mitten drin. Das Überleben der Menschheit hängt wesentlich davon ab, ob und wie wir diese Krise meistern. Die Umsetzung der von der UNO beschlossenen Nachhaltigkeitsziele geht jede und jeden Einzelnen von uns an. Wir dürfen nicht weiter zuwarten, denn wir haben nur diese eine Erde und erhalten auch keine zweite Chance. Jede und jeder muss sich selbst fragen, wie gross ihr oder sein ökologischer Fussabdruck ist und wie dieser zu reduzieren sei. Es geht darum bis 2050 aus den fossilen Brenn- und Treibstoffen auszusteigen, den Ausstoss von Schadstoffen deutlich zu senken, mit den Ressourcen der Erde respektvoller umzugehen und uns – aber auch die Länder des globalen Südens – an eine durch den Klimawandel veränderte Welt anzupassen. Diese, wahrscheinlich grösste Herausforderung in der Geschichte der Menschheit, meistern wir nur, wenn wir Streitigkeiten und Zwiste beiseitelegen und gemeinsam, lösungsorientiert und global vorgehen. Daran müssen sich alle Länder, Gesellschaften und Kulturen beteiligten, und es braucht eine aktive Mitwirkung von Forschung, Wirtschaft und Politik.
Das Buch präsentiert Argumente und Fakten zu dieser Energie- und Klimadiskussion. Es möchte dazu beitragen, die Rolle der Kernenergie in diesem Zusammenhang neu zu bewerten, denn sie könnte – zumindest in der Übergangsphase der Energiewende – einen nützlichen Beitrag leisten. Der Autor ist überzeugt, dass eine sichere Nutzung der Kernenergie dann möglich ist, wenn die Anlagen regelmässig gewartet, sicherheitstechnisch überprüft und nachgerüstet werden und auch, wenn dem Human Factor als Hauptursache von Pannen und Störfälle Rechnung getragen wird, dies durch eine entsprechende Aus- und Weiterbildung aller für einen sicheren Betrieb verantwortlichen Mitarbeitenden.
Völkle, Hansruedi (2020): Kernenergie. Chancen und Risiken. Springer-Verlag: Heidelberg.
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- Kontakt:
Prof. Dr. Hansruedi Völkle, hansruedi.voelkle@unifr.ch
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