Die Pandemie sorgte letztes Jahr für Stress bei den Eltern – was wiederum zu schlechterem Schlaf bei den Kindern führte. Das geht aus den ersten Ergebnissen der immer noch laufenden Onlinestudie des Baby-Schlaflabors hervor. Doch es gibt auch Schutzfaktoren, die helfen, den Schlaf der Kinder zu verbessern.
Wie beeinflussen die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen den Schlaf von Kindern? Dieser Frage geht das Baby-Schlaflabor am Departement für Psychologie der Universität Freiburg seit fast einem Jahr nach. Mittlerweile hat es die ersten Ergebnisse der Onlinestudie veröffentlicht. Was ihr Team herausgefunden hat und was es in einem nächsten Schritt noch herausfinden will, erklären Professorin Salome Kurth und Postdoktorandin Andjela Markovic im Interview.
Welches ist die wichtigste Erkenntnis der Studie?
Salome Kurth: Für mich ist die Haupterkenntnis, dass sich durch die Einschränkungen im Lockdown negative Sekundärkonsequenzen ergeben. Das hat sich bei verschiedenen Aspekten des Kinderschlafs gezeigt. Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass die Eltern die Möglichkeit haben, Gegensteuer zu geben und durch Schutzfaktoren den Schlaf der Kinder wieder verbessern können.
Wie hat sich das Schlafverhalten konkret verändert?
Andjela Markovic: Einerseits gingen die Kinder später ins Bett. In der ersten Phase waren das im Schnitt 20 Minuten pro Tag, bei gewissen Kindern sogar bis zu drei Stunden. Andererseits brauchten sie auch länger, um einzuschlafen, im Schnitt zehn Minuten. Unter dem Strich haben die Kinder während der Nacht weniger lang geschlafen, am Anfang waren es sechs Minuten, mit der Zeit hat sich der Wert sogar noch verschlechtert. Allerdings gab es auch Kinder, bei denen sich die Schlafrate in der Pandemie verbesserte. Das hängt damit zusammen, dass die persönliche Situation im Lockdown von Familie zu Familie sehr unterschiedlich war. Das haben wir bei der Analyse versucht zu berücksichtigen – denn dadurch ergeben sich ebenfalls interessante Erkenntnisse.
Welche Kinder waren am stärksten betroffen?
Markovic: Der Hauptfaktor war das Stresslevel der Eltern. Kinder von stark gestressten Eltern wiesen eindeutig mehr Probleme mit dem Schlaf auf.
Kurth: In Israel fanden Forscher_innen zeitgleich in einer Studie heraus: Je grösser die individuelle Angst der Mütter war, desto grösser war der negative Effekt der Pandemie auf die Babys. Das deckt sich mit unseren Ergebnissen. Mit Angst und Stress verwendeten wir zwar zwei unterschiedliche Masse. Aber beide Studien zeigen, dass es eine Rolle spielt, wie die Eltern mit der Situation umgehen, dass eine Wechselwirkung besteht.
Welche weiteren Faktoren hatten einen negativen Einfluss auf den Schlaf der Kinder?
Markovic: Der Quarantäne-Status. Kinder von Eltern, die in Quarantäne waren, haben grundsätzlich schlechter geschlafen.
Wie erklären Sie sich das?
Kurth: Eine Quarantäne ist eine grosse Belastung, eine riesige Herausforderung. Daran erkennt man, wie wichtig soziale Kontakte für die Stressbalance sind. Fehlen die, wird man dünnhäutiger und kann das Stresslevel weniger gut regulieren.
Sie haben von Schutzfaktoren gesprochen, mit denen die möglichen Probleme in der Schlafqualität abgefedert werden können. Welche Schutzfaktoren haben sich in Ihrer Studie als die wichtigsten herausgestellt?
Markovic: Achtsamkeitstechniken wie zum Beispiel Yoga gehören zu den stärksten Faktoren. Das ergibt Sinn, helfen sie doch beim Stressabbau. Überraschender war für mich, dass Kinder von Eltern, die im Homeoffice waren, besser schliefen. Trotz Kindern zu Hause zu arbeiten klingt ja grundsätzlich nach Stress. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Zeit, die eine Familie gemeinsam zu Hause verbringt, auch die Chance bietet, Beziehungen zu vertiefen. Sowohl die passive Zeit, die Eltern zu Hause verbringen, als auch die aktive Familienzeit haben den Schlaf der Kinder unterstützt. Als Schutzfaktoren haben sich ausserdem Geschwister und Haustiere herausgestellt. Auch das ergibt Sinn, da sie die fehlenden Kontakte ausserhalb des Hauses kompensieren.
Aus Ihrer Studie geht auch hervor, dass sich die Schlafqualität – mit einigen Ausnahmen – im Verlauf der Pandemie fast wieder normalisiert hat. Haben Eltern mit der Zeit von selbst Strategien entwickelt, um besser mit der Situation umgehen zu können?
Markovic: Das ist gut möglich. Das Stresslevel war durch die Überforderung am Anfang sehr hoch. Eine derart radikale Umstrukturierung des Alltags kann den biologischen Rhythmus und den Schlaf durcheinanderbringen. Es kann sein, dass mit der Zeit neue Strukturen und Rhythmen entstanden sind. Trotzdem blieb die Erkenntnis in allen Phasen dieselbe: Die Kinder der gestressten Eltern schliefen besonders schlecht.
Kurth: Die Angewöhnung an einen neuen Rhythmus braucht Zeit und fand in diesen drei Monaten wahrscheinlich statt. Aber nicht alles hat sich normalisiert. Die Verkürzung der nächtlichen Schlafdauer der Babys zum Beispiel kann und darf man nicht einfach wegwischen. Babys schliefen am Ende unserer Messung im Vergleich zum Anfang pro Nacht 29 Minuten weniger – das ist viel. Denn in diesem Alter findet ansonsten eine Zunahme des Nachtschlafes statt. Das müssen wir also im Auge behalten.
Was könnte das denn für Langzeitfolgen haben?
Kurth: Das wissen wir eben nicht. Aber wir wissen, dass das Gehirn bis ins Jugendalter grosse Veränderungen durchmacht, der Schlaf spielt in der Entwicklung eine wichtige Rolle. Von Tierversuchen wissen wir, dass Schlafentzug ein Risiko darstellen kann. Allerdings sind das extreme Bedingungen, die man allein schon aus ethischen Gründen bei Menschen natürlich nicht reproduzieren kann. Aber es ist nicht auszuschliessen, dass bei denjenigen, die am intensivsten gelitten haben, Auffälligkeiten im Verhalten zu beobachten sind. Andererseits sind Kinder sehr dynamisch. Wenn sie weniger Nachtschlaf erhalten, schlafen sie vielleicht einfach mehr am Tag. Das wiederum kompensiert eventuell den fehlenden Nachtschlaf. Damit wir das alles besser beurteilen können, braucht es Langzeituntersuchungen. Und da sind wir derzeit auch dran, uns das genauer anzuschauen.
Die Schlafqualität der Kinder hat im Lockdown mehr gelitten als diejenige der Erwachsenen. Warum?
Markovic: Die Kinder befinden sich in einer empfindlichen Phase, durchleben sehr dynamische und schnelle Entwicklungsschritte. Das macht sie empfänglich für Einflüsse aus ihrer Umgebung – und natürlich auch verwundbar. Nebst den bereits genannten Schutzfaktoren sind deshalb auch ganz allgemein die Regeln zur Schlafhygiene wichtig. Die gelten in jeder Situation und helfen dabei, die Strukturen an neue Umstände anzupassen.
Wie lauten diese Regeln?
Markovic: Regelmässige Bettzeiten, Einschlafroutinen, ruhige Aktivitäten vor dem Einschlafen. Möglichst viel Zeit draussen am Tageslicht verbringen, körperliche Aktivität – es gibt schon den einen oder anderen Tipp, um den Schlaf zu verbessern.
Kurth: Die Schlafhygiene ernst zu nehmen hilft sehr. Dazu gehört auch, sich mit dem Thema Bildschirm auseinanderzusetzen. Das haben wir in unserer Studie nicht konkret gemessen, aber es ist gut möglich, dass die Bildschirmexposition im Lockdown zugenommen hat. Bildschirmlicht kann den Schlaf hemmen – und es ist bekannt, dass Kinder sensitiver auf dieses Licht reagieren als Erwachsene.
Wie geht es weiter mit der Studie?
Kurth: Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei. Wir sind deshalb weiter am Rekrutieren, suchen weiterhin Eltern, die unseren Online-Fragebogen ausfüllen. Wichtige Fragen sind nun: Gibt es Langzeitauswirkungen? Gibt es Muster in Familien, die sich auch langfristig als schützend herausgestellt haben? Oder solche, die mit Risiken verbunden sind? Wir möchten aber auch noch ganz andere Sachen untersuchen. Andjela interessiert sich zum Beispiel für den Einfluss von Musik. Die Studie war letztes Jahr spontan entstanden, seither kamen neue Ideen hinzu, was effektiv schützend sein könnte. Grundsätzlich geht es darum, herauszufinden und der Öffentlichkeit zu kommunizieren, was Eltern tun können, um positiv Einfluss zu nehmen. Damit wir und damit auch die Eltern den Schlaf von Kindern besser zu verstehen lernen.
Markovic: Die veröffentlichten Resultate beziehen sich auf die Umfrageergebnisse der ersten drei Monate. Im Herbst hatten wir eine Folgeumfrage durchgeführt. Da ging es unter anderem bereits um mögliche langfristige Konsequenzen und Fragen zur kognitiven Entwicklung. Da sind wir nun gerade dran, diese auszuwerten.
_________- Assistenzprofessorin Salome Kurth hat sich nach ihrem Masterstudium in Biologie unter anderem intensiv mit der Neurophysiologie und Neurobiologie des Schlafs beschäftigt. Heute arbeitet und forscht sie am Universitätsspital Zürich sowie am Departement für Psychologie der Universität Freiburg, wo sie das 2019 lancierte Baby-Schlaflabor leitet. Salome Kurth ist Teil des Förderprogramms Eccellenza, mit dem der Schweizerische Nationalfonds herausragende junge Forschende unterstützt, die eine permanente Professur anstreben.
- Andjela Markovic hat ein Bachelorstudium in Informatik und ein Masterstudium in Biomedical Engineering an der ETH Zürich sowie ein Klavierstudium an der Schweizer Akademie für Musik und Musikpädagogik absolviert. Im Rahmen ihres Doktorats in Neurowissenschaften an der Universität Bern hat sie den Zusammenhang zwischen Schlaf, Hirnentwicklung und der psychischen Gesundheit untersucht. Als Postdoktorandin im Baby-Schlaflabor geht sie nun der Frage nach, welche Umgebungsfaktoren die Hirnentwicklung im frühen Leben beeinflussen und welche Rolle der Schlaf dabei spielt.
- Die Studie: Die aktuellen Ergebnisse basieren auf einer Onlinestudie, die in den Monaten April, Mai und Juni 2020 durchgeführt wurde. Dabei wurde der Effekt des Lockdowns auf die Schlafqualität von 452 Babys (0 bis 35 Monate) und 412 Vorschulkindern (36 bis 71 Monate) aus verschiedenen Ländern (die meisten davon in Europa) untersucht. Die Studie wird weitergeführt und geht in die nächste Runde.
- Quelle: Severe effects of the COVID‐19 confinement on young children’s sleep: A longitudinal study identifying risk and protective factors, Markovic et al, 2021, Journal of Sleep Research
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