Vor 50 Jahren sagten die stimmberechtigten Schweizer Männer endlich «JA» zum Frauenstimmrecht. Das Projekt «Hommage 2021» erweist den Pionierinnen die Referenz. Irma Gadient gibt fünf Freiburgerinnen ein Gesicht.
Frau Gadient, was muss ich mir unter «Hommage 2021» vorstellen?
Hommage 2021 ist ein historisch-künstlerisches Projekt, das die Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht in den Fokus rückt. Es ehrt Frauen, die für politische Rechte kämpften und sich für gesellschaftliche Gleichberechtigung stark machten. In einem Teilprojekt wurden Expertinnen aus allen Kantonen der Schweiz angefragt, fünf bis acht Vorkämpferinnen vorzustellen. Ihre vielfältigen Biografien sind auf www.hommage2021.ch in einer virtuellen Ausstellung zu entdecken.
Parallel dazu werden 52 Frauenportraits ab dem 7. Februar in der Berner Altstadt zu sehen und zu hören sein. Mittels QR-Code können Zitate der Frauen, die von Schauspielerinnen eingelesen wurden, gehört werden. Die geplante Lichtprojektion auf das Bundeshaus, die am 7. Februar Premiere feiern sollte, musste coronabedingt verschoben werden.
Sie haben im Rahmen dieses Projekts fünf Freiburgerinnen portraitiert. War der Kanton Freiburg für die Frauen ein besonders schwieriges Pflaster?
Bei der ersten nationalen Abstimmung 1959 sagten tatsächlich 70% der Freiburger Stimmberechtigten «Nein» – das sind sogar noch etwas mehr als die knapp 67% im landesweiten Durchschnitt. Zwölf Jahre später sagten 71% der Stimmberechtigten im Kanton «Ja» – etwas mehr als die 66% des Schweizer Durchschnitts!
Das ist ein starker Meinungsumschwung. Was geschah denn in diesen 12 Jahren, dass die Männer ihre Haltung so änderten?
Das ist kaum auf eine einfache Formel zu bringen. Es gab zahlreiche gesellschaftliche Veränderungen, die sich auf die Geschlechterverhältnisse auswirkten: Frauen konnten sich besser ausbilden und wurden in verschiedenen Berufen präsenter. Es gab Innovationen, vom Kühlschrank bis zur Antibabypille. Der Umbruch von 1968 prägte die Gesellschaft. Die bürgerlichen Parteien und die katholische Kirche änderten in diesem Zeitraum ihre Haltung zum Frauenstimm- und Wahlrecht. 1959 sagte die Kirche in Freiburg «Nein» und die Bürgerlichen beschlossen «Stimmfreigabe», was mit «Nein» gleichzusetzen ist. 1971 sprachen sich auch diese Akteure für ein «Ja» zum Frauenstimmrecht aus. Zahlreiche Freiburger Frauen hatten mit ihrem jahrzehntelangen beharrlichen Kampf massgeblichen Anteil daran, dass die Vorlage 1971 angenommen wurde.
Interessant ist, dass die Freiburgerinnen im Kampf um das Frauenstimmrecht 1959 und 1971 auf sehr unterschiedliche Argumente und Strategien setzten.
Inwiefern?
1959 wurde mit dem Prinzip der Rechtsgleichheit von Frau und Mann argumentiert. Der Abstimmungskampf von 1971 wurde anders geführt: Die Frauen führten eher eine Komplementarität der Geschlechter an und es gab Slogans wie: «Für die Frauen ein herzliches Ja».
Erwähnen möchte ich die Strategie der Historikerin Jeanne Niquille 1959: Sie argumentierte aus historischer Perspektive und zeigte auf, dass es im Kanton Freiburg im 18. Jahrhundert – beispielsweise in Villars-sur-Glâne – Gemeindepräsidentinnen gegeben hatte. Sie verwies damit auf eine «Freiburger Tradition» der politischen Rechte von Frauen.
Wenn Sie sich die Freiburger Vorkämpferinnen ansehen, gibt es da etwas, das diese Frauen verbindet?
Sie waren gut ausgebildet. Und sie verhielten sich untereinander solidarisch, waren auch mit der Schweizer Frauenstimmrechtsbewegung sehr gut vernetzt. Nicht alle Frauen waren in Freiburg geboren, einige stammten aus anderen Schweizer Kantonen oder anderen europäischen Staaten. Anne Reichlen-Gellens etwa wurde in Belgien geboren. Es gab alleinstehende Frauen ohne Kinder genauso wie verheiratete Familienfrauen.
Eine dieser Frauen war Madeleine Joye-Thévoz. Können Sie uns kurz erzählen, wer sie war?
Madeleine Joye-Thévoz wurde 1906 in Freiburg geboren und engagierte sich bereits sehr früh für die politischen Rechte von Frauen. Schon als 18-Jährige nahm sie an Veranstaltungen der Schweizer Frauenbewegung teil. Dabei schlief sie, weil sie kein Geld hatte, oft einfach irgendwo im Stroh. Sie wollte unbedingt die Frauenrechtlerinnen kennenlernen und zum Beispiel erfahren, wie man einen Frauenstimmrechts-Verein führt.
Sie war Lehrerin und unterrichtete junge Frauen in Staatsbürgerinnenkunde, wobei sie diese mit feministischer Literatur bekannt machte. Sie betonte, dass politische Rechte vom Geschlecht unabhängig sein müssen und fiel immer wieder mit mutigen Aktionen auf. Sie engagierte sich stark im Abstimmungskampf von 1959. Mitstreiterinnen fanden sie mitreissend, Gegner beschrieben sie als exzentrisch. Ihr Verdienst war es unter anderem, dass sie den Staatsrat dazu zwang, Farbe zu bekennen. Dass sie und andere Frauen 1959 keinen Erfolg hatten, lag letztlich an der zu starken Gegnerschaft.
Und inwiefern verhielten sich die Kämpferinnen von 1971 anders?
Das kann ich am Beispiel von Augusta Kaelin-Anastasi beschreiben. Sie ist in Lugano aufgewachsen und hat an der Universität Freiburg studiert. Später lebte sie im Bezirk Gruyère, einem der Bezirke, die 1959 den höchsten Neinstimmen-Anteil aufwiesen. Kaelin organisierte, dass in jedem Dorf eine Frau mit Blumen von Hof zu Hof ging, um die Menschen mit «Charme» zu überzeugen. Augusta Kaelin arbeitete auch eng mit den Männern ihrer Partei – der CVP – zusammen. Sie war ab 1971 in der Legislative von Bulle politisch aktiv und wäre eigentlich gerne Grossrätin geworden, musste dann aber aus parteipolitischen Gründen hinter männlichen Kandidaten zurückstehen. Ihre Tochter Thérèse Meyer-Kaelin wurde später Nationalrätin und 2005 sogar Nationalratspräsidentin. Und auch andere weibliche Familienmitglieder, darunter zwei Enkelinnen Augustas, sind politisch engagiert.
Wie haben die Menschen denn auf diese Frauen reagiert?
Es gibt eine interessante Reportage des RTS von 1969- eine historische Perle! Sie zeigt in einem Ausschnitt, wie die Frau eines Bezirksobmanns von Hof zu Hof geht, und zwar keine Blumen verteilt, aber mit den Menschen übers Frauenstimmrecht spricht. Das Interesse war gross, gerade auch am Bürgerrechtsunterricht, den Sekundarlehrpersonen für interessierte Frauen auf dem Land anboten.
Quelle: https://rts.ch/play/tv/redirect/detail/3474385
Zurück zum Projekt Hommage 2021: Ist es zeitlich befristet oder bleibt es in einer Form erhalten?
Die Frauenporträts bleiben aufgeschaltet. Über 50 neue Frauenporträts sind in Arbeit für eine Aufnahme in das Historische Lexikon der Schweiz (https://hls-dhs-dss.ch/de/). Das Gosteli-Archiv, eine wichtige Partnerin von Hommage2021, das die Geschichte der Frauenbewegung aufbewahrt, steht allen interessierten Personen offen. Die Ausstellung der Frauenporträts an den Berner Hausfassaden ist bis Ende Juni befristet. Vielleicht finden sich ja künftig noch andere Formen der Würdigung: Es werden Stimmen laut, dass viele Freiburger Frauen schon längst einen Strassennamen verdient hätten. Jeanne Niquille beispielsweise, die promovierte Historikerin und innovative Archivarin, hat für Freiburg enorm viel geleistet – nach ihr ist bis jetzt erst ein Archivsaal benannt.
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Webseite des Projekts «Hommage 2021»
Webseite von Irma Gadient
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