Am 8. Dezember gastiert die Universität Freiburg in Murten für ein Wissenschaftscafé auf Deutsch. Unter dem Titel «Wer bin ich und zu wen gehöre ich?» diskutiert unter anderen Zivilrechtsprofessorin Alexandra Jungo, die im Auftrag des Bundesrats eine Expert_innen-Gruppe zum Abstammungsrecht geleitet hat.
Bundesbern war sich 2018 beim entsprechenden Postulat der Rechtskommission des Ständerats einig, dass eine Überprüfung des Abstammungsrechts überfällig ist. Wo liegt das Problem der heutigen Gesetzgebung?Seit der Revision des Kindesrechts von 1976 hat sich die Situation der Familien in der Schweiz stark verändert. Obwohl sich nach wie vor ein Grossteil der Paare bei der Geburt eines Kindes für eine Heirat entscheidet, hat sich die Spannweite gelebter und gesellschaftlich akzeptierter Familienentwürfe erweitert. Sie reicht von Alleinerziehendenfamilien bis hin zu Patchwork- oder Regenbogenfamilien. Gleichzeitig haben sich die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin und der Humangenetik im In- und Ausland stark entwickelt. Diese Entwicklungen stellen die Gesetzgebung aller Länder vor grosse Herausforderungen. Namentlich wird immer wieder – auch vom Bundesgericht – bemängelt, dass ein genetischer Vater seine Vaterschaft eines Kindes nicht anerkennen kann, wenn die Mutter des Kindes verheiratet ist. In diesem Fall wird der Ehemann als Vater des Kindes vermutet, und nur er kann seine eigene Vaterschaft anfechten, wenn er und die Mutter des Kindes sich nicht trennen wollen.
Bei all diesen vielen Aspekten, die hier reinspielen: Die Arbeit in dieser Expert_innen-Gruppe muss nebst aller gebotenen Ernsthaftigkeit auch eine grossartige Spielwiese gewesen sein, wo Sie sich juristisch austoben konnten. Oder täuscht dieser Eindruck?
Die Kommission hatte den Auftrag, aus interdisziplinärer Sicht (Recht, Psychologie und Ethik) die aktuellen Defizite des Abstammungsrechts und neue Möglichkeiten darzustellen. Die interdisziplinär sowie aus Wissenschaft, Advokatur und Justiz zusammengesetzte Kommission hat die vorliegenden Empfehlungen und den dazugehörigen Bericht häufig einstimmig verabschiedet. Wo es zwei starke Meinungen gab, sind sie in Form von Varianten abgebildet. Der Vorteil der Kommissionsarbeit lag darin, dass wir unsere Vorschläge nicht primär unter Rücksicht ihrer politischen Machbarkeit formulieren mussten.
Gleichzeitig können unterschiedliche Familienidealbilder hochemotionale Diskussionen auslösen. Befürchten Sie, dass die Politik das Fuder überlädt und sich am Schluss am Gesetz gar nichts ändert?
Nein, das befürchten wir nicht. Der Bundesrat hat in seinem Bericht zum Bericht und zu den Empfehlungen der Kommission drei Revisionsthemen in den Vordergrund gerückt: 1. die Anfechtbarkeit der Vaterschaft des Ehemannes der Mutter; 2. die Regelung der sog. Becherspende, also der privaten Samenspende ausserhalb von Fortpflanzungsmedizinzentren; 3. die Kenntnis der eigenen Abstammung sowie der eigenen Nachkommen.
Am Wissenschaftscafé in Murten nehmen auch ein Psychologieprofessor und eine Vertreterin des Dachverbands Regenbogenfamilien teil. Was darf das Publikum erwarten?
Das Publikum darf sich auf eine spannende und informative Diskussion zu einem interdisziplinären und gleichzeitig emotionalen Thema freuen. Wir selbst freuen uns auf die Fragen aus dem Publikum.
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- Website des Wissenschaftscafés