Was tun, wenn es zwar eine grosse Anzahl gehaltvoller religionswissenschaftlicher Journale gibt, sie sprachlich aber nur einer begrenzten Leserschaft zugänglich ist? Man gründet einfach sein eigenes mehrsprachiges Journal und stellt es als Open Access-Publikation allen Interessierten zur freien Verfügung. Prof. Oliver Krüger vom Departement für Sozialwissenschaften hat sich mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa dieser Aufgabe angenommen und Ende 2022 das viersprachige Web-Journal AЯGOS auf Kurs gebracht.
Wie sind Sie auf die Idee für dieses Journal gekommen?
Seit langem schon hat mich das Problem beschäftigt, dass die meisten Fachzeitschriften in der Religionswissenschaft nur noch einsprachig publizieren, was ein Rückschritt gegenüber den 1960er Jahren darstellt, obwohl es insgesamt heute viel mehr Journale gibt. Das bewirkt, dass bestimmte Fachdebatten über Sprachgrenzen hinaus nur sehr verzögert (oder gar nicht) wahrgenommen werden. Daher bieten wir das Journal in den vier Sprachen deutsch, französisch, englisch und italienisch an.
Ein zweites Moment war die Beobachtung, dass Journale mit Printauflagen unter steigendem Kostendruck dazu tendieren, den Umfang zu begrenzen, d.h. vertiefte Abhandlungen von 20–30 Seiten sind kaum noch möglich.
Im Weiteren wollten wir ein reines Open Access-Journal ohne Zusatzkosten schaffen, das ohne Barrieren zugänglich ist und keine Gebühren von der Autorenschaft verlangt. Beides hätte Effekte entweder auf die Verfügbarkeit des Journals (nicht jede Universität kann sich teure Abos leisten) oder die Qualität (wenn ein Journal im Prinzip dafür bezahlt wird, etwas zu publizieren).
Impulse verdankt das Projekt letztlich der spezialisierten Open Access-Zeitschrift Online – Heidelberg Journal for Religions on the Internet, die ich 2005 mitbegründet habe und dem ausgezeichneten Journal Roadsides meiner Kollegin aus der Sozialanthropologie, Prof. Agnieszka Joniak-Lüthi.
Wie setzt sich das Team hinter AЯGOS zusammen?
Im engeren Herausgeberkreis sind dies Prof. Anja Kirsch (Trondheim), Prof. Andrea Rota (Oslo), Prof. Christophe Monnot (Strasbourg), zum Freiburger Team in der Redaktion gehören ferner Alice Küng, Maxime Papaux und Dr. Ricarda Stegmann. Ich möchte dabei noch betonen, dass ohne die geduldige Unterstützung von Herrn Thomas Henkel von der Kantons- und Universitätsbibliothek das Projekt in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.
Welche Leserschaft sprechen Sie an? Wen wollen Sie erreichen?
Wir sprechen ein breites Publikum an, das an der akademischen Religionsforschung interessiert ist und neben der eigentlichen Religionswissenschaft auch die Theologien, Anthropologie, Soziologie, Geschichte usw. einschliesst. Der Untertitel des Journals «Perspektiven in der Religionswissenschaft» impliziert bereits, dass wir uns «Religion» in Relation zu anderen gesellschaftlichen Feldern und aus interdisziplinärer Perspektive nähern wollen.
Welche Inhalte setzen Sie in den Mittelpunkt? Wie wählen Sie die Inhalte aus?
Es war uns ein Anliegen, nicht ein weiteres spezialisiertes Fachjournal der Religionswissenschaft ins Leben zu rufen, sondern eine starke «programmatische» Perspektive einzufordern. Das bedeutet, dass wir auch bei empirischen Fallstudien ein starkes Gewicht auf die theoretische Reflexion legen (das umgedrehte R im Journaltitel verweist darauf). Unter diesem Blickwinkel veröffentlichen wir im Kern Übersetzungen von aktuellen und klassischen Texten der Religionswissenschaft und Originalartikel in den vier genannten Sprachen. Dazu gehören auch Interviews und Foto-Essays sowie Buchrezensionen. Die Übersetzungen sollen relevante Texte dort sichtbar machen, wo sie noch gar nicht verfügbar waren oder auch die Nutzung im Studium erleichtern.
Wohin wollen Sie mit AЯGOS? Welche Ziele wollen Sie erreichen?
Wie die Reise der Heroen und Heroinen auf dem Schiff Argos ist auch die Wissenschaft ein Abenteuer, der Ausgang der Reise ist ungewiss… Wir verfolgten seit den ersten Vorüberlegungen im Jahr 2020 das grundsätzliche Ziel, in dieser Periode des digitalen Wandels ein Journal zu gestalten, das auch im Jahr 2030 noch funktionieren wird. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird es darum gehen, das Journal zu etablieren und insbesondere die jüngere Generation der Forschenden mit ihren Ideen einzubinden, um die Religionswissenschaft programmatisch weiterzuentwickeln, also neue Fragen aufzuwerfen, neue Felder zu erschliessen und methodische Ansätze zu diskutieren. Ideal wäre, wenn wir es noch schaffen würden, das Spanische ins Journal zu integrieren.
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