Prof. Dr. Ivo Wallimann-Helmer ist als Philosoph und Ethiker gern gesehener Gast in öffentlichen Debatten, gerade weil er sich vornehmlich mit Herausforderungen rund um das Thema Umwelt befasst. Wie weit er geht, um seine persönlichen Ansichten in den allgemeinen Diskurs einzubringen, erklärt er im vierten Teil unserer Serie über die Redefreiheit von Wissenschaftler_innen.
Ganz generell: Ist es jede Wahrheit wert, ausgesprochen zu werden?
Das hängt vom Kontext ab. Aus strategischen Gründen ist es manchmal sinnvoller, freundlich zu bleiben statt jemandem direkt ins Gesicht vorzuwerfen, von der Materie nichts zu verstehen. Manchmal ist es aber essentiell, etwas unmissverständlich festzuhalten, wenn man seine Ziele erreichen will. Solche strategischen Gründe sind das eine, moralische Gründe sind das andere. Manchmal sollte man aus Respekt vor einer Person oder einer Sache lieber die Unwahrheit sagen, als auf den Tatsachen herumzureiten. Aus ebenfalls moralischen Gründen kann es aber auch gegenteilig sein. Man muss die Wahrheit sagen, um einer Missachtung wichtiger Werte entgegenzuwirken. Bei offensichtlicher Diskriminierung ist es essentiell, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Einer gleichberechtigten Gesprächspartnerin angemessenen Respekt zu zollen, bedingt manchmal, dass man nebensächliche Ungenauigkeiten ausblendet, manchmal aber auch genau das Gegenteil.
Was ist Ihr Fachgebiet? Worüber forschen Sie?
Ich bin als Philosoph und Ethiker ausgebildet, der sich mit angewandten Fragestellungen im Bereich von Umweltherausforderungen auseinandersetzt. Dabei bin ich auf demokratie- und gerechtigkeitstheoretische Fragestellungen spezialisiert. Meiner Meinung nach ist es von entscheidender Bedeutung, dass im Kontext von Umweltherausforderungen nicht nur die Frage unserer Pflicht zum Ergreifen von Umwelt- und Klimaschutzmassnahmen behandelt werden, sondern auch die faire Verteilung der Belastungen bei der Umsetzung entsprechender Massnahmen.
Einige Wissenschaftler, aktuell oft aus der Klimaforschung, veröffentlichen nicht nur ihre Ergebnisse, sondern versuchen auch, die Öffentlichkeit zu warnen und die Behörden zum Handeln zu bewegen. Sind Sie der Meinung, dass dies die Rolle der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist oder dass sie sich auf ihre Forschung beschränken und keine Stellung beziehen/sich nicht einmischen sollte?
Als Ethiker forsche ich zu normativen Fragen, deshalb haben meine Äusserungen in der Öffentlichkeit fast zwangsläufig eine Stellungnahme meinerseits zur Folge. Wenn es um klimaethische Fragen geht, habe ich zu sehr vielen Herausforderungen eine Position und Meinung. Deren Begründung darzustellen, aber gleichzeitig auch kritisch zu diskutieren, scheint mir wichtig. Damit lässt sich grösseres Bewusstsein für die Herausforderungen schaffen, vor denen wir stehen. Diese sind nicht nur naturwissenschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Natur, sondern betreffen auch unsere grundlegenden Wertvorstellungen und unsere Haltung gegenüber der Zukunft.
Da die Zeit zum Ergreifen effektiver Massnahmen drängt, verstehe ich sehr wohl, dass viele Forschende, insbesondere Klimaforschende, das Bedürfnis haben, Stellung zu beziehen und die Behörden zum Handeln bewegen wollen. Auch mir ist es ein Bedürfnis, die Politik in ihren Entscheidungen zu unterstützen und in die aus meiner Sicht bestmögliche Klimapolitik zu bewegen. Doch Wissenschaft und Politik sind nicht das gleiche und gehören klar getrennt. Deshalb sollten Forschende meines Erachtens immer klar machen, wann sie als Forschende ihre Forschungsergebnisse kritisch diskutieren und wann sie als besorgte, sehr gut informierte Bürger_innen politisch Stellung beziehen. Das ist nicht immer einfach und eine Gratwanderung. Für die Glaubwürdigkeit der Forschung aber unabdingbar.
Wie schätzen Sie den Einfluss Ihrer Forschung auf die wissenschaftliche Debatte und die öffentliche Politik ein?
Mit philosophischer Forschung einen klar messbaren Einfluss auf die Öffentlichkeit zu haben ist nicht ganz leicht. Denn viele der Argumente und Konzepte unserer Forschung finden sich auch in der öffentlichen politischen Debatte. Die Herausforderung ist deshalb immer, den Gewinn philosophischer Klärung und Argumentation zu vermitteln, ohne gleichzeitig allen ihre eigenen Ansichten zu erklären. Gleichzeitig hoffe ich natürlich, mit meinen öffentlichen Auftritten immer auch eine gewisse Klärung und Hilfestellung in die politische Debatte zu tragen. Wie gross der Einfluss meiner Auftritte in den Medien genau ist, weiss ich nicht. Ich erhalte aber immer wieder Rückmeldungen, dass man mich gehört oder gesehen hätte und es spannend war. Am einflussreichsten war hier sicherlich mein Auftritt in «Sternstunde Philosophie» letzten Herbst.
Meine Forschung ist in vielem interdisziplinär angelegt. Damit hoffe ich, disziplinenübergreifend Einfluss auf die Klimaforschung und -politik allgemein ausüben zu können. In den neuesten IPCC-Berichten (Intergovernmental Panel on Climate Change) spielen Gerechtigkeitskonzepte eine grosse Rolle. Ich hoffe, mit meinen Veröffentlichungen zu Klimaschäden und -verlusten zumindest für diesen Bereich etwas konzeptionelle Klärung beigesteuert zu haben. Zumindest in der breiteren Forschung zu diesen Fragen werden meine Forschungsbeiträge wahrgenommen, weniger aber von anderen Kolleg_innen meiner eigenen Zunft. Das liegt wohl am interdisziplinären Charakter von vielem, was ich publiziere. Auch an politischen Foren mit wichtigen Mitgliedern des Schweizer Parlaments und der Regierung war ich schon beteiligt. In solchen Kontexten ist die grosse Herausforderung aber immer, gegenüber empirischer Forschung Gehör zu erhalten und als relevant zu gelten.
Sind Sie der Typ, der seine Überzeugungen vom «Philosophischen Lehnstuhl» auf die Strasse tragen würde, um einem Thema das nötige Gewicht zu verleihen?
Meine Forschungsergebnisse und Positionen trage ich regelmässig in die Medien und die Öffentlichkeit. Wenn es meine Zeit zulässt, bin ich mir nie zu schade, mich an politischen Foren oder anderen inter- und transdisziplinären Zusammenhängen zu beteiligen. Ebenso engagiere ich mich aus Überzeugung in der Universitätspolitik für mehr Nachhaltigkeit. In diesem Sinne trage ich als Professor der Universität Freiburg meine Überzeugungen in die Öffentlichkeit und beteilige mich an der politischen Debatte. Als Bürger werde ich unter Umständen auch noch anders aktiv, doch das tue ich als Bürger und nicht als Professor der UniFR. Deshalb gehört das nicht hierher.
Wichtig scheint mir bei all meinem Engagement als Forscher immer, klar zu machen, vor welchem Hintergrund ich mir erlaube, Positionen zu ergreifen. Ich bin als Forschender spezialisiert auf normative Fragen und habe keine Daten. Deshalb kann ich mich bei Aussagen über das Phänomen des Klimawandels nur auf die Forschung anderer stützen. Dies explizit zu machen, scheint mir wichtig. Zudem glaube ich auch, dass es wichtig ist, Gegenpositionen darzustellen bzw. anzuerkennen, wenn man als Ethiker eine Position vertritt. Sonst betreibt man Politik und ist nicht mehr als Forschender unterwegs. Dies ist nicht immer einfach, zumal man manchmal auch einfach Pflöcke einschlagen muss. Den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, scheint mir aufgrund meiner Kenntnis der aktuellen Forschungsliteratur inakzeptabel. Genauso bin ich der Meinung, dass wir unsere liberalen und demokratischen Errungenschaften nicht leichtfertig über Bord werfen sollten.
Glauben Sie, dass Sie als Wissenschaftler die Legitimität oder sogar die Pflicht haben, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen?
Wir Forschende werden durch die öffentliche Hand finanziert und haben die Ehre, uns intellektuell mit denjenigen Dingen zu beschäftigen, in denen unsere Leidenschaft liegt. Nur schon deshalb sind Wissenschaftler_innen verpflichtet, sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen. Darüber hinaus haben wir ein spezielles Wissen, das wir zum Besten der Gesellschaft erarbeiten. Dieses sollten wir nicht nur an unsere Studierenden weitervermitteln, sondern auch in die Öffentlichkeit tragen.
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