Bei den diesjährigen, 9. Ökumenischen Studientagen des Zentrums für Glaube und Gesellschaft an der Universität Freiburg sprach unter anderem der renommierte anglikanische Theologe und emeritierte Erzbischof von Canterbury Rowan Williams über die (christliche) Hoffnung für diese Welt. Die Veranstaltung ist ein paar Monate her, die Themen sind aktueller denn je: Umwelt, Territorialdenken, eine sich rasant entwickelnde Technologie … Theologie-Student Max Ammann blickt zurück und macht sich in einer Gastkolumne Gedanken über die Kernbotschaft der Veranstaltung.
Was ist die tragende Hoffnung für unsere Welt? In einer sich rasch verändernden Welt stellten sich die 9. Ökumenischen Studientage des Zentrums für Glaube und Gesellschaft in Freiburg genau dieser Frage. Der Klimawandel, gesellschaftlicher Wandel und der rasante technologische Fortschritt sind Themen, auf die auch der christliche Glaube eine Perspektive der Hoffnung ermöglichen muss. Das Zentrum für Glaube und Gesellschaft, das die Studientage jedes Jahr organisiert, möchte Brücken zwischen akademischer Theologie, christlicher Spiritualität und Gemeindepraxis schlagen und genau das ist bei einer so ambitionierten Fragestellung gefragt. Die Vorrangstellung erhielt die Spiritualität und in diesem Sinne begann die Tagung mit einem Morgengebet. Die meditativen Taizé-Gesänge, der Psalmengesang, die Schriftlesungen und nicht zuletzt die mehrminütige Stille zeigen an, dass die christliche Hoffnung nicht allein auf den klugen Vorträgen und Diskursen beruht.
Pilgerschaft nach Hause zu Gott
Nach dem Gebet ging es aber gleich los mit den ersten Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Ryan McAnnaly-Linz ist systematischer Theologe und stellvertretender Direktor des Yale Center for Faith & Culture in den USA. Er machte mit seinem Vortrag «Home on the way: Discipleship between Babylon and Jerusalem» den Anfang dieses ersten Tages, der die biblischen und theologischen Grundlagen der christlichen Hoffnung erörtern sollte. McAnnaly-Linz erinnerte daran, dass die Christen in dieser Welt nicht zuhause, sondern bloss Pilger seien. Das sei aber kein Anlass zu jenseitsvertröstender Weltflucht, vielmehr handle es sich um eine Pilgerfahrt «from here to here». Der leidenschaftliche vorgetragene und theologisch vielschichtige erste Vortrag verlangte den Teilnehmern bereits einiges Mitdenken ab. In den Pausen mischten sich Referenten und Zuhörer, neue Bekanntschaften geschlossen und alte erneuert. Die Mehrsprachigkeit der Studientage sowie die ökumenische Perspektive mit Vertretern aus den protestantischen, anglikanischen und katholischen Traditionen machen die Studientage auch zu einem hervorragenden christlichen Networkinganlass für den erweiterten akademisch-theologischen Bereich.
Bewahrung der Schöpfung und die Weisheit des Jubeljahres (Lev 25)
Der zweite Vortrag hielt Theologin, Sozialaktivistin und Mitglied des Domkapitels der Kathedrale von Rochester (England) Ruth Valerio. Sie zeigt auf, wie sich die biblische Genesis-Erzählung von den babylonischen Schöpfungsmythen unterscheidet, und wie sich daraus das äusserst positive christliche Schöpfungsverständnis ergibt: «[…] und siehe, es war sehr gut» (Gen 1, 31). Davon ausgehen wies sie auf den engen Zusammenhang von Schöpfung und Erlösung hin: Gottes Erlösungsplan betreffe die gesamte Schöpfung, also auch Natur und Umwelt. Deswegen müsse christliche Jüngerschaft die Welt miteinbeziehen und dürfe die Fragen des Klimawandels und Umweltschutzes nicht ignorieren. Damit legte sie den Grundstein für den auf sie folgenden Hauptreferenten der Studientage: Der Anglikaner Rowan Williams ist nicht nur emeritierter Erzbischof von Canterbury, sondern zweifellos auch einer der renommiertesten Theologen der letzten Jahrzehnte. Williams legte dar, wie sich der Blick der Menschen auf das Land insbesondere im 16./17. Jahrhundert gewandelt habe und sie zunehmend als Eigentum verstand. Hier verortete der emeritierte Erzbischof ein grundlegendes Problem des heutigen Umganges mit der Natur. Bei der Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Abend des ersten Tages brachte Williams auch die im Titel der Veranstaltung stehende Hoffnung ins Spiel, die im Letzten nur auf dem Heilshandeln Gottes in Christus gründen könne.
Christliche Hoffnung und die Rolle der Kirche
Die Hoffnung war auch am zweiten Tag der Konferenz das prägende Thema. Prof. Christine Schliesser, Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Zürich und Studienleiterin am Zentrum Glaube & Gesellschaft, markierte die Hoffnung als Signatur christlicher Existenz. Dabei eröffnete sie eine kleine Theologie der Hoffnung, um ihr neben den oftmals mehr beachteten göttlichen Tugenden Glaube und Liebe eine eigene Strahlkraft zu sichern. Besonders wichtig war ihr die Grundlage der Hoffnung in Christus, die leitende Kraft der Hoffnung zur Bewältigung von Hindernissen und die Antriebskraft der Hoffnung, die den Menschen Gott für das Heil bedrängen und der Erde treu bleiben lässt. Die christliche Hoffnung fordere von Gott ein Heilshandeln in der Welt und Erlösung für die Opfer der Geschichte im eschatologischen Jenseits zugleich. Darauf konnte Rowan Williams in seinem zweiten Vortrag «The Jubilee Community: dispossessed living, public hope» aufbauen. Er definierte den Zweck der Kirche so, dass sie zur Wiederherstellung der Welt durch die Gnade Gottes beitragen solle, statt ein bestimmtes Territorium geistlicher oder physischer Art in der Welt zu verteidigen. Die Kirche sei kein Verein unter anderen, sondern die tragende Gemeinschaft jener, die auf Gott vertrauen. Williams kritisierte scharf jede Form von Stammes- oder Territorialdenken und plädierte für eine im weitesten Sinne besitzlose und gottorientierte Kirche.
Christliche Gemeinschaften und Praxistipps für die Welt von heute
Eine Besonderheit der Studientage dieses Jahres stellte die Möglichkeit dar, eine Vielzahl von Ordensgemeinschaften kennenzulernen: Mit den Zisterziensern, Benediktinern, der Gemeinschaft der Seligpreisungen, der Bruderschaft der Christusträger, den Diakonissen von Riehen und vielen mehr waren zahlreiche katholische und protestantische Gemeinschaften vor Ort. Alle Gemeinschaften stellten sich vor, liessen sich befragen und man versuchte sich gemeinsam Gedanken zu machen, inwiefern sie Vorbild für die moderne Gesellschaft sein könnten. Das nötige intellektuelle Rüstzeug hierfür hatte man am Donnerstagvormittag vom Patristiker Prof. Gregor Emmenegger (Freiburg) erhalten. Emmenegger erzählte die Geschichte des christlichen Mönchtums von einer «anarchistischen Gegengesellschaft» in der ägyptischen Wüste bis zum gelehrten Benediktinertum hinter europäischen Klostermauern nach. Er zeigte auf, wie monastische Gemeinschaft je nach Ort und Zeit unter Pachomius eben als Gegengesellschaft, mit Basilius dem Grossen als Element des Gemeindeaufbaus und bei Augustinus als christliche Elite verstanden wurde. Dies schlägt sich bis heute in der Augustinus–, der Benedikts– und der Basiliusregel nieder.
Yuval Noah Harari und die Bedrohung des Transhumanismus
Nach zahlreichen im weitesten Sinne hoffnungsvollen Impulsen nahmen die Studientage am Abend des zweiten Tages eine dunkle Wendung. Bei der Vorpremiere des Films «The Great Fake», der unter Mitarbeit des Zentrums für Glaube und Gesellschaft entstanden war, erhielten die Teilnehmer einen kritischen Einblick in die dystopischen Fantasien des israelischen Bestsellerautors und Historikers Yuval Noah Harari («Homo Deus»). Dieser entwirft ein Szenario, in welchem der technologische Fortschritt einen Grossteil der Menschheit arbeitslos und im Grunde überflüssig macht, weswegen diese mit Drogen und Computerspielen ruhiggestellt werden. Die Zukunft des Menschen liege in einer Symbiose mit der Technik, die ihn in allen Bereichen übertreffe. Im Film kritisierten die Macher die äusserst fragwürdigen anthropologischen und epistemologischen Annahmen des Israelis und der transhumanistischen Szene. Dr. Oliver Dürr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Glaube & Gesellschaft und Habilitand am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich, gab dann am Freitagmorgen einen Einblick in das Thema seiner Dissertation «Homo Novus. Vollendlichkeit im Zeitalter des Transhumanismus. Beiträge zu einer Techniktheologie» und kritisierte den sogenannten technischen Solutionismus, d. h. die Annahme, dass man mit der Technik alle Probleme der Menschheit lösen könne. Er zeigte auf, dass technischer Fortschritt immer auch einen menschlichen Fortschritt, eine positive Anthropologie verlange, wenn sie dem Menschen wirklich helfen soll.
Christlicher Humanismus und tätige Hoffnung
Hier konnte Prof. Dr. Carmody Grey, Assistenzprofessorin für Theologie an der University of Durham (England) und assoziierte Professorin für Ethik an der Universität Bern, anknüpfen. Die katholische Theologin sprach über den Zusammenhang von Humanismus und Christentum. Präzise und stringent legte sie dar, wie der Humanismus zum Grundparadigma unserer Zeit geworden, aber wegen der Krise des Menschenverständnisses in der Moderne in Schieflage geraten sei. Jeder gehe heutzutage selbstverständlich von der Heiligkeit des Menschen aus und empfinde daher z.B. Folter als in sich böse. Doch seien wir uns nicht mehr einig, was der Mensch überhaupt sei. Das Christentum sei zwar die höchste und reinste Form des Humanismus, aber trotzdem nicht mit diesem deckungsgleich – zu konfliktbeladen war die Geschichte der Kirche mit dem Humanismus. Trotzdem gäbe es keinen reineren Humanismus als die Vorstellung, dass der Schöpfer von Himmel und Erde Mensch geworden sei, wie die Engländerin in Anlehnung an Papst Benedikt XVI. bemerkte. Den Christen käme also weiterhin eine wichtige Rolle zu. Prof. Dr. Dr. Günther Thomas, Professor für Systematische Theologie, Ethik und Fundamentaltheologie an der Ruhr-Universität Bochum, gab zum Abschluss Einblick in mögliche praktische Konsequenzen christlicher Hoffnung. Er beschrieb mit viel Wortwitz und Eloquenz die Rolle der Christen im «Weltabenteuer Gottes» und die Provokation einer tätigen Hoffnung in «Klage, Arbeit, Modellierung und Feier». Dieses Schlussstück liess die Tagung dem Titel entsprechend auf einer hoffnungsvollen Note enden. Die anfangs gestellte Frage, was die Hoffnung der Welt sei, wurde aber am schönsten von Rowan Williams beantwortet. Dieser sagte bei einem Podiumsgespräch sinngemäss, dass die Hoffnung der Welt letztlich nur das Antlitz Christi tragen könne. In diesem Sinne endeten die Studientage mit einem längeren ökumenischen Abschlussgebet vor der Kreuzikone von Taizé.
Die Studientage 2024 stehen dann unter dem Titel «Cultural Witness – Das christliche Zeugnis in einer pluralen Welt» und finden vom 12. bis 14. Juni 2024 statt.
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