Im Frühling 2023 fand eine der aufregendsten Tiefseebohrungen des Jahres statt. Esther Schwarzenbach, Wissenschaftlerin am Departement für Geowissenschaften, spielte dabei eine entscheidende Rolle bei der Analyse der Gesteinsproben, die aus über 1200 Metern Tiefe unter dem Meeresboden entnommen wurden. Im Dezember 2024 war sie persönlich in Texas, wo sie im Bohrkernlager in College Station die Proben zusammen mit dem Petrologie-Team detailliert untersuchte und wertvolle Einblicke in die geologischen Prozesse der Erdkruste gewann.
Was waren die grössten Herausforderungen bei der Entnahme des Gesteinskerns aus einer so grossen Tiefe unter dem Meeresboden?
Die Tiefe des Bohrkerns ist insofern nicht das aussergewöhnlichste, da bereits an drei anderen Stellen am Meeresboden in Tiefen von über 1200 m gebohrt wurde. Bisher beinhalteten diese Bohrkerne jedoch Basalte und/oder Gabbros, also Gesteine, welche die typische ozeanische Kruste aufbauen, bzw. über 95% des Ozeanbodens ausmachen.
Das Interessante an dem Bohrkern ist, dass die gebohrten Gesteine grösstenteils aus den Gesteinen des Erdmantels bestehen. Das sind Gesteine, welche wir nur sehr selten studieren können, da der Erdmantel normalerweise von der bis zu 60 km dicken Erdkruste überdeckt wird. Um die Gesteine des Erdmantels zu studieren, müssen wir entweder alten ozeanischen Boden, der auf dem Kontinenten aufgeschlossen ist (sogenannte Ophiolite) untersuchen, oder sogenannte tektonische Fenster suchen (wie nun im vorliegenden Fall), also Orte, wo der Erdmantel am Meeresboden aufgeschlossen und erreichbar ist. Und genau so ein tektonisches Fenster finden wir am Atlantis-Massiv, einem über 4000 Meter hohen Massiv, das am Mittelatlantischen Rücken liegt, und wo Gesteine des Erdmantels direkt am Meeresboden freigelegt wurden.
Welche neuen Erkenntnisse erhoffen Sie sich durch die Analyse dieser Proben über die Zusammensetzung des Erdmantels?
Die gebohrten Gesteine können einerseits neue Informationen über die Bildung neuer ozeanischer Kruste geben, welche schlussendlich 60% der Oberfläche unseres Planeten ausmacht. Das heisst, die Prozesse welche sich im Oberen Erdmantel abspielen, haben einen direkten Einfluss darauf, wie sich die Lithosphärenplatten auseinander bewegen, was wiederum einen Einfluss auf die globalen Bewegungen der Lithosphärenplatten hat.
Noch spannender bei den gebohrten Gesteinen ist jedoch der Prozess der Serpentinisierung, der in diesen Gesteinen abläuft. Die Minerale des Erdmantels sind an der Erdoberfläche und vor allem im Kontakt mit Wasser sehr instabil, worauf sich andere, neue Minerale bilden, unter anderem das Mineral Serpentin. Bei diesem Prozess, wo nun das Meerwasser mit dem Gestein des Erdmantels reagiert, entstehen verschiedene chemische Komponenten, unter anderem gasförmiger Wasserstoff, aber teilweise auch Methan und andere Kohlenstoff-haltigen Verbindungen (z.B. Format, Acetat). Diese chemischen Verbindungen, vor allem gasförmiger Wasserstoff und Methan, welche durch diese abiogenen Mineralreaktionen entstehen, sind enorm wichtig, da sie eine Energiequelle für sehr einzigartige Mikroben sind. Diese Mikroben (Bakterien und sogenannte Archaea) gehören zu den einfachsten Lebensformen und könnten bereits eine wichtige Rolle auf der frühen Erde gespielt haben. Bzw. die Hypothese ist, dass diese Mineralreaktionen, also die Reaktion von Wasser mit dem Erdmantel, einen Einfluss auf die Entstehung des Lebens gehabt haben könnten. Ähnliche Prozesse finden aber zum Beispiel auch auf dem Saturnmond Enceladus statt, wo ähnliche Gesteine wie jene des Erdmantels direkt von einem dicken Ozean umgeben sind. Somit können die Prozesse, welche sich am Atlantis-Massiv abspielen auch ein Analog sein, für jene die sich auf dem Saturnmond Enceladus abspielen.
Meine Forschung bezieht sich diesbezüglich vor allem darauf, herauszufinden, in welche Tiefen wir mikrobielle Aktivitäten im Gestein noch nachweisen können. In ähnlichen Gesteinen, wie jene, die nun am Atlantis-Massiv gebohrt wurden, konnte bereits gezeigt werden, dass sulfatreduzierende Bakterien mindestens bis in Tiefen von 150 m im Meeresboden leben (in Porenräumen oder Rissen im Gestein, die dafür gross genug sind). Die Aufgabe meiner Arbeitsgruppe wird nun sein, herauszufinden, bis in welche Tiefen wir diese Bakterien am Atlantis Massif finden und welche Bedingungen (z.B. welche Temperaturen) das Leben in der tiefen Biosphäre ermöglicht.
Wie könnte dieses Projekt unser Verständnis der Dynamik der Erdplatten und geologischen Prozesse verbessern?
Während das Meerwasser mit den Gesteinen des Erdmantels reagiert, bilden sich Minerale, welche das Wasser in ihrer Kristallstruktur speichern (so das Mineral Serpentin). So enthält ein Erdmantelgestein, das komplett zu einem Serpentinit umgewandelt wurde 13 Gewichtsprozent Wasser! Das heisst, ein 100 g schwerer Serpentinit kann bis zu 13 g Wasser enthalten. Diese Gesteine werden schliesslich entlang von sogenannten Subduktionszonen wieder in das Erdinnere transportiert, wodurch zum Beispiel die Bildung von Magmen ausgelöst wird. Das heisst, der Anteil an Wasser, der schlussendlich in Gesteinen des Erdmantels gespeichert wird, kontrolliert zahlreiche andere Prozesse, unter anderem Vulkanismus an konvergenten Plattenrändern, so wie wir ihn z.B. in den Anden finden.
Andererseits werden während das Meerwasser mit dem Erdmantel reagiert auch andere Elemente und chemische Komponenten, wie z.B. CO2 im Gestein gebunden. Dies sieht man unter anderem durch zahlreiche weisse Adern, welche das Gestein durchziehen. Damit spielen diese Prozesse auch eine Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf.
Welche technologischen Innovationen waren erforderlich, um die Bohrungen erfolgreich durchzuführen?
Das Tiefseebohren ist nun bereits über 50 Jahre alt und die jeweiligen Bohrungen profitieren natürlich auf den Erfahrungen der früheren Bohrungen. So war es möglich, mit guter Vorerkundung des Meeresboden und dem technologischen Fortschritt der letzten 50 Jahre nun endlich den Erdmantel bis in Tiefen von 1200 Metern zu bohren.
Gab es während des Projekts einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Vielleicht etwas Unerwartetes oder eine besondere Herausforderung?
Das besondere an dem Bohrkern ist wohl, dass ein so grosser Teil des Bohrkerns alteriert ist, also mit dem Meerwasser interagiert hat. Das heisst, Meerwasser ist mindestens bis in Tiefen von 1200 m eingedrungen und hat mit dem Gestein reagiert. Da die gemessenen Temperaturen in einer Tiefe von knapp über 1000 Metern immer noch bei ca. 90°C lagen, und somit im Bereich, wo mikrobielle Aktivität möglich ist, könnte entsprechend bis in diese Tiefen Leben in den Gesteinen noch möglich sein.
Zudem hat die intensive Wechselwirkung von Meerwasser mit dem Gestein direkt am Meeresboden zu starker Oxidierung geführt. Einige der Gesteine, die aus sehr geringen Tiefen stammen, sind fast rostrot und entsprechend schon sehr stark verwittert. Hier konnten wir einen Trend sehen, dass diese Meeresbodenverwitterung bis zu einer Tiefe von ca. 200 m abnahm und danach fast nicht mehr erkennbar war. Dies ist eine Beobachtung, die man bisher, aufgrund der viel geringeren Bohrtiefen, noch nicht machen konnte.
Auch hat mich die Variabilität und das Auftreten von unterschiedlichsten Texturen immer wieder erstaunt. Sie alle sind hinweise darauf, wie komplex die Prozesse sind, die im Meeresboden ablaufen und wir vieles immer noch nicht verstehen.
Als letztes fand ich zudem erstaunlich, über welche Länge die Bohrkerne noch intakt waren. Das heisst es gab 1.5 Meter lange Bohrkerne, bei denen das Gestein nicht zerbrochen war und entsprechend die ursprünglichen Texturen noch sehr gut nachvollziehbar sind.
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