Marco Polos Bewunderung für Khubilai Khan

Marco Polos Bewunderung für Khubilai Khan

Wer war Marco Polo und was ist sein Vermächtnis? Am kommenden Donnerstag referiert Marina Münkler von der TU Dresden in Freiburg zum Thema «Marco Polos Blick auf das mongolische China». Die Literaturprofessorin stellte sich den Fragen von Alma&Georges.

Marco Polo ist heute nahezu der einzige bekannte Fernostasienreisende des Mittelalters. 1271 begleitete der damals 17-jährige Venezianer seinen Vater Niccolò und seinen Onkel Maffeo nach China, trat in den Dienst des mongolischen Grosskhans Khubilai und kehrte erst 1295 nach Venedig zurück. Sein Reisebericht galt bald als ein «Buch der Wunder». 2024 jährt sich Marco Polos Todestag zum siebenhundertsten Mal.

Über die Person Marco Polo erfährt man in seinem Reisebericht nur sehr wenig. Wie weiss man heute, ob Marco Polo, ein Kaufmann, ein Abenteurer, ein Chronist der Fremde oder ein Kulturvermittler war? War er gar alles zusammen?
Marco Polo war Kaufmann, das können wir aus venezianischen Dokumenten der Zeit entnehmen. Aus seinen Berichten erfahren wir ausserdem, dass er ein Chronist der Fremde und Kulturvermittler war und voller Bewunderung von den Mongolen spricht. Am wenigsten war er vermutlich ein Abenteurer, jedenfalls berichtet er nichts von erlebten Abenteuern. Dafür ist der Bericht insgesamt zu objektivistisch gehalten.

Seit Mitte des 13. Jahrhunderts herrschte in Europa eine Mischung aus Furcht und Faszination vor den Mongolen. War Marco Polos Aussicht auf Handel also grösser als seine Furcht?
Ob Marco Polo Furcht empfunden hat, können wir schlicht nicht wissen, denn er spricht in seinem Bericht nicht darüber. Aber die venezianischen Kaufleute hatten auf die Mongolen, die ihnen sehr viel bessere Handelsbedingungen boten als das bis dahin im Asienhandel der Fall war, sicherlich eine andere Perspektive als die europäischen Herrscher. Diese waren mit dem mongolischen Weltherrschaftsanspruch konfrontiert und sahen ihre Reiche von mongolischen Heeren bedroht.

Ob Endzeitvorstellungen oder Heilserwartungen: Asien bildete zu jener Zeit den Erwartungshorizont der europäischen Kultur. Welches Bild hatte Marco Polos von Khubilai Khan, wie sah er das mongolische China?
Für Marco Polo war Khubilai Khan der weiseste und prächtigste Herrscher, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Aus Marco Polos Perspektive übertraf seine Herrschaft die sämtlicher europäischer Herrscher. Marco Polos Bericht präsentiert Khubilai Khan in strahlendem Licht und vermittelte so der europäischen Kultur einen Eindruck von der Überlegenheit der mongolischen Herrschaft in China. Das stand in starkem Widerspruch zu den Berichten der franziskanischen Gesandten aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die zu den Mongolen gereist waren, um herauszufinden, ob es sich bei ihnen um die Völker der Apokalypse handelte, die den Untergang der Welt bringen würden. Zwischen ihren Berichten und Marco Polos Bericht lagen vierzig Jahre sowie die mongolische Expansion nach China. Während die franziskanischen Gesandten die Mongolen der Steppe kennenlernten, lernte Marco Polo die mongolische Herrschaft über das hochentwickelte China kennen. Von daher gibt es objektive Gründe für die Differenzen zwischen ihren Berichten, aber Marco Polo vertrat eben auch entschieden eine positive Perspektive.

Marina Münkler

Was – neben seinem Bericht – ist das Vermächtnis von Marco Polos Reise ins mongolische China?
Sein Vermächtnis besteht sicherlich darin, dass er nicht aus der Perspektive einer selbstgewissen eigenen Überlegenheit auf das mongolische China blickte, sondern für die fremde Kultur der Mongolen ebenso grosses Interesse wie Bewunderung aufbrachte. Das hat seinen Grund sicherlich in der kaufmännischen Grundperspektive des Berichts, auch wenn diese in manchen Fassungen und Übersetzungen relativiert wurde. Fernhandelskaufleute mussten sich an die Umgebung, in der sie Handel treiben wollten, anpassen und wenn die Bedingungen für sie günstig waren, reagierten sie darauf mit Sympathie und Bewunderung, ohne die kulturellen Differenzen zu negieren oder negativ zu bewerten.

Marco Polos Vater, den er auf der Reise begleitete, war Jahre zuvor schon bei Khubilai Khan. War es für den damals 17-jährigen Marco trotzdem eine Reise ins Ungewisse?
Vermutlich hat er von seinem Vater und seinem Onkel auf der Reise schon einiges über Khubilai Khan und die Mongolen erfahren. Und es gab zweifellos auch schon andere Venezianer in China. Dennoch wird man von einer Reise ins Ungewisse sprechen können, denn das, was ihm mündlich vermittelt worden sein dürfte, waren zweifellos nur Bruchstücke von Wissen. Die Gewissheit eigener Erfahrung konnten sie sicherlich nicht produzieren.

War der Reisegrund nur wirtschaftlicher Natur oder war da auch Neugierde an neuen Kulturen?
Der Reisegrund dürfte ausschliesslich wirtschaftlicher Natur gewesen sein. Venezianische Fernhandelskaufleute reisten nicht aus Neugier auf andere Kulturen, sondern um gewinnbringenden Handel zu treiben. Natürlich lernten sie dabei auch die lokalen Sprachen und die sozialen Regeln fremder Kulturen so weit zu begreifen, dass sie sich innerhalb dieser Kulturen bewegen konnten.

Die Meinung hält sich hartnäckig, dass Marco Polo gar nie in China war, er ein Hochstapler gewesen sei. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Die These, Marco Polo sei nicht in China gewesen, ist in den letzten beiden Jahrzehnten insbesondere von der britischen Sinologin Frances Wood vertreten worden. Sie argumentiert mit dem, was Marco Polo nicht beschrieben hat: die chinesische Mauer, den chinesischen Tee und die gebundenen Füsse der Frauen. Solche «argumenta e silentio» (Argumente aus dem Schweigen, d. h. der Nichterwähnung) hat schon Cicero kritisiert, weil sich aus ihnen keine ernsthafte Schlussfolgerung ziehen lässt. Sie sind zumal bei einem Autor unangemessen, der vor 700 Jahren verstorben ist, weil sie unterstellen, wissen zu können, wovon er demzufolge hätte berichten müssen. Die chinesische Mauer, die Wood für so wichtig hält, gab es vor 700 Jahren so noch gar nicht, den Tee tranken die Chinesen, aber nicht unbedingt die Mongolen … Der Sinologe Hans-Ulrich Vogel hat demgegenüber gezeigt, dass Marco Polo die Herstellung von Papiergeld und Salzgeld sehr korrekt beschreibt, was er aus keiner europäischen Quelle der Zeit erfahren haben, sondern nur aus eigener Augenzeugenschaft wissen konnte.

Zur Person
Marina Münkler, Professorin für Ältere und frühneuzeitliche deutsche Literatur an der TU Dresden, ist Expertin für mittelalterliche Reiseberichte, insbesondere für die Verbreitung und Rezeption von Marco Polos Reisebericht in ganz Europa.

Öffentlicher Vortrag
Im Rahmen der «Freiburger Gastprofessur für Germanistische Mediävistik» wird jedes Frühjahr eine international renommierte Forscherpersönlichkeit eingeladen, an der Universität Freiburg eine Lehrveranstaltung zur Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext anzubieten. Zudem werden im Rahmen eines öffentlichen Vortrags der interessierten Öffentlichkeit aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt:

Donnerstag, 23. Mai 2024, 18 Uhr
Museum für Kunst und Geschichte Freiburg

Marina Münkler (TU Dresden) referiert zum Thema «Im Reich des Grosskhans. Marco Polos Blick auf das mongolische China». Der Vortrag wird musikalisch umrahmt von Bayanzul Damdinsuren, Spezialist für mongolische Musik und Pferdekopfgeigenspieler.

Der Eintritt ist frei.

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  • Event in der Unifr-Agenda

Author

Jean-Luc Brülhart mag Fussball und die Natur. Ist auch freischaffender Journalist.

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