Greenwashing ist ein Ärgernis. Wie aber lassen sich die Prinzipien der Nachhaltigkeit in Projekten und Unternehmen wirklich umsetzen? Mit dieser Frage setzt sich EPFL-Dozent und Unternehmer Sascha Nick intensiv auseinander – bald auch an einem Workshop an der Universität Freiburg.
Sascha Nick, Sie sind am 2. Mai Hauptdozent beim Workshop «How to transform sustainability principles into sustainable projects or companies?» Wie lautet Ihre Kernbotschaft?
Die Lösung für fast alle Nachhaltigkeitsprobleme liegt nicht in einer Technologie, Methode oder einem Produkt, sondern in einem besseren Denken – einer ganz anderen Denkweise. Das beginnt mit dem Verständnis, was Nachhaltigkeit im Rahmen eines Projekts oder Unternehmens bedeutet. Es erfordert nicht nur das Erkennen der unmittelbaren Auswirkungen, sondern auch der breiteren Auswirkungen auf die Umwelt, die Menschen und die Gesellschaft. Zum Beispiel werden durch die Umsetzung nachhaltiger Produktionspraktiken Energie, Materialien, Land und Arbeitskräfte genutzt – sie beeinflusst also auch die Gesellschaft im Allgemeinen. Darüber hinaus ist es wichtig, zu verstehen, wie Machtstrukturen und die Perspektiven der Menschen Entscheidungen beeinflussen. Eine Verschiebung von einem Fokus auf Profit und Konsum hin zum langfristigen Wohlbefinden (wellbeing) von Ökosystemen und Gemeinschaften wird beispielsweise zu einer anderen Organisation der Gesellschaft führen.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Die wichtigsten Herausforderungen bei der Annahme nachhaltiger Praktiken resultieren aus der Notwendigkeit, gesellschaftliche Normen neu zu definieren, die oft mit festgefahrenen Gewohnheiten und Überzeugungen kollidieren. Zum Beispiel erfordert der Übergang zu erneuerbaren Energiequellen, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu stoppen, die heute die Grundlage für gesellschaftliche Strukturen und wirtschaftliche Systeme sind – diese müssen sich ebenfalls ändern. Diese Barrieren zu überwinden, erfordert viel mehr als nur Technologie, zum Beispiel Veränderungen in Politik, Bildung und Kultur. Ebenso wichtig ist es, die heutigen Machtstrukturen und Interessen zu hinterfragen; so werden etwa Öl- und Bergbauindustrien den erforderlichen Übergang mit finanziellen Anreizen und politischer Einflussnahme bekämpfen.
Nachhaltigkeit ist ein oft verwendeter Begriff. Was bedeutet Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Projekten und Unternehmen genau?
In Projekten und Unternehmen umfasst Nachhaltigkeit mehr als nur das Erfüllen heutiger Bedürfnisse – es erfordert auch die Berücksichtigung der langfristigen Auswirkungen gegenwärtiger Handlungen auf die Artenvielfalt und zukünftige Generationen. Zum Beispiel können bei einem Bauprojekt umweltfreundliche Materialien und nachhaltige Baupraktiken verwendet werden, um den CO2-Fussabdruck zu minimieren und Umweltverschmutzung zu reduzieren. Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmassnahmen in Unternehmen und Projekten kann jedoch aufgrund ihrer Verflechtung mit breiteren gesellschaftlichen Systemen herausfordernd sein. Zum Beispiel kann die Lieferkette eines Unternehmens Materialien aus Regionen mit laxen Umweltvorschriften beziehen, was es schwierig macht, Nachhaltigkeitsstandards während des gesamten Produktionsprozesses aufrechtzuerhalten.
Greenwashing ist in diesem Zusammenhang immer wieder ein Thema. Wie verbreitet ist es in der Geschäftswelt, dass Nachhaltigkeit in erster Linie ein Marketingbegriff ist – und wie sehr schadet das echten Nachhaltigkeitsbestrebungen?
Greenwashing, eine verbreitete Praxis in der Geschäftswelt, täuscht nicht nur Menschen, sondern untergräbt auch echte Nachhaltigkeitsaktionen. Um die Dinge komplizierter zu machen, ist Greenwashing oft keine direkte Lüge, sondern konzentriert sich auf unwichtige Details, um das grosse Ganze zu verbergen. Zum Beispiel versucht ein Unternehmen durch die Verwendung von Bio-Baumwolle für Autositze und die Kommunikation darüber die verbleibenden zwei Tonnen des Autos zu überdecken, die jedes Jahr Tausende Liter Öl verbrennen und Machtstrukturen basierend auf der Autoabhängigkeit (car dependency) und der Zersiedelung festigen.
Können Sie ein Beispiel nennen, in dem die Prinzipien der Nachhaltigkeit erfolgreich umgesetzt wurden?Erfolgreiche Nachhaltigkeitsbemühungen beinhalten oft innovative Ansätze, die sowohl der Umwelt als auch der Gesellschaft zugutekommen. Zum Beispiel kann ein Versorgungsunternehmen energieeffiziente Geräte bereitstellen, zeitabhängige Preise einführen oder direkt Unternehmen oder Gemeinden beraten. Das hilft seinen Kund_innen, den Stromverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit zu verbessern. Ein problematisches Beispiel wäre ein Lebensmittelunternehmen, das zwar Landwirt_innen in der Lieferkette hilft, den Pestizideinsatz zu reduzieren und sich während des Gebrauchs der Pestizide besser zu schützen – aber gleichzeitig süchtig machende zuckerhaltige Produkte herstellt und verkauft.
Sie betonen in Ihren Texten, dass ein positives Zukunftsnarrativ für uns als Gesellschaft wichtig ist. Wie könnte ein solches Narrativ aussehen?
Eine positive Zukunftserzählung stellt sich eine Welt vor, in der nachhaltige Praktiken zur dominanten Kultur werden, leicht umzusetzen und wünschenswert sind. Gemeinschaften und Gesellschaften, die sich auf öffentliche Dienstleistungen, Zugang zu Elektrizität, Gesundheitsversorgung und die Reduktion von Ungleichheiten konzentrieren, können ein hohes Wohlbefinden, Glück und Widerstandsfähigkeit erreichen, während sie erheblich weniger Ressourcen verbrauchen – und gleichzeitig alle grossen Probleme lösen: Klima, Biodiversität, Ungleichheit. Diese Zukunftserzählung betont die Verflechtung von menschlicher und planetarer Gesundheit. Sie inspiriert Hoffnung und befähigt zur Tat für eine bessere Zukunft.
Was erhoffen Sie sich von der Konferenz in Freiburg?
Die Konferenz zielt darauf ab, die Teilnehmenden dazu zu ermutigen, ein ganzheitlicheres Verständnis von Nachhaltigkeit zu entwickeln, das menschliche Bedürfnisse, ökologische Einschränkungen und systemisches Denken integriert. Darüber hinaus möchte die Konferenz die Teilnehmenden dazu inspirieren, Pionier_innen für positive Veränderungen innerhalb ihrer Organisationen und Gemeinschaften zu werden, indem sie die Bedeutung von Zusammenarbeit und gemeinschaftlichem Handeln betont. Die Teilnehmenden dürfen spannende Diskussionen, praktische Einblicke, Networking-Möglichkeiten und eine angenehme Erfahrung erwarten.
Zur Person
Dr. Sascha Nick ist Dozent am Laboratory of Environmental and Urban Economics an der EPFL in Lausanne und lehrt als Dozent auch an der Universität Lausanne sowie als Professor an der Business School Lausanne. Das Zusammenspiel zwischen Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten. Er hat zudem mehrere Start-ups in den Bereichen Industriesoftware und Nachhaltigkeit gegründet.
Anmeldung zum Workshop
Der englischsprachige Workshop «How to transform sustainability principles into sustainable projects or companies?» findet am 2. Mai von 12.15 bis 14 Uhr im Adolphe Merkle Institut (Unifr PER 18) statt. Die Anmeldung ist kostenlos, aber obligatorisch.
Zusätzliche Informationen und Anmeldung hier.
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