30.01.2014
Ambrosia-Blattkäfer im Tessin identifiziert: Glücksfall oder Bedrohung?
Die Forschung rund um die Bekämpfung der Beifuss-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) macht einen grossen Schritt vorwärts: Zum ersten Mal wurde in Europa ein Käfer identifiziert, der dem schädlichen Gewächs den Garaus machen und somit als biologische Waffe eingesetzt werden könnte. Nun gilt es für Prof. Heinz Müller-Schärer von der Universität Freiburg noch zu beweisen, dass der Käfer nur dort zugreift, wo er erwünscht ist.
Kleiner Käfer mit grosser Wirkung: Der ca. 4mm grosse Ophraella communa könnte die Ausbreitung von Ambrosia in Europa entscheidend eindämmen. (Bild: Peter Toth)
Wenn auch nicht in den Schoss gefallen, so ist Ophraella communa, besser bekannt als Ambrosia-Blattkäfer, Prof. Heinz Müller-Schärer sozusagen zugeflogen. Der äusserst effiziente Ambrosiafresser wurde im letzten Sommer im Tessin nahe der italienischen Grenze entdeckt und seither nicht wieder aus den Augen gelassen. Im Gegenteil: Unter der Leitung von Prof. Müller-Schärer und Dr. Suzanne Lommen beobachteten Forschende an über 150 Ambrosiaplätzen im Tessin sowie in Italien und Frankreich, ob der Käfer ansässig ist und wie durchschlagend seine Attacken gegen die Pflanzen sind. Das vielversprechende und soeben in der Onlineausgabe der Fachzeitschrift Weed Research publizierte Resultat der letztjährigen Studie zeigt, dass der Käfer an über 80 Prozent der beobachteten Standorte präsent ist und die Ambrosia an gewissen Orten komplett vernichtet hat. Doch nicht nur das: Der Käfer scheint nicht nur effizient zu sein, er ist nun auch eindeutig identifiziert. Heinz Müller-Schärer’s erste, wissenschaftlich noch nicht belegte Annahme, dass es sich um Ophraella communa handelt, konnte kürzlich von amerikanischen und italienischen Kollegen bestätigt werden und ebnet damit den Weg zum Ziel.
Blinder Passagier
Die Forschenden gehen davon aus, dass der Käfer über den internationalen Flughafen Milano Malpensa den Weg nach Norditalien und in die Südschweiz gefunden hat. In China gilt Ophraella communa bereits seit längerer Zeit als die wichtigste biologische Waffe zur Vernichtung der Ambrosia. Ein Umstand, der den Forschenden wie auch den unter der Pflanze leidenden Menschen zu Gute kommen könnte: Es ist nämlich aus Sicherheitsgründen nicht möglich, eine hierzulande unbekannte Spezies einzuführen, so Prof. Müller-Schärer. Da sich der Käfer aber nun bereits hier befindet, gilt es „nur“ noch abzuklären, ob er sich auch wirklich nur an der Ambrosia zu schaffen macht und nicht zur Abwechslung auch mal über ein Sonnenblumenfeld herfällt. Zu diesem Zweck möchten Müller-Schärer und sein Team den Käfer in den Quarantäneraum an der Universität Freiburg bringen (das entsprechende Gesuch ist beim Bundesamt für Umwelt noch hängig) und ihn auf dessen Wirtsspezifität testen. Erst wenn definitiv feststeht und von Amtes wegen beglaubigt wurde, dass der Käfer anderen Pflanzen keinen Schaden zufügt, darf er willentlich ausgesetzt werden.
Parallel zu den Beobachtungen in der Quarantäne plant Heinz Müller-Schärer im kommenden Sommer Feldversuche in der Südschweiz und Norditalien, wo der Käfer ja bereits vorhanden ist. Der Biologe hat vor, Experimente zur Langzeit-Effizienz des Käfers zu beginnen, sowie in einem gemeinsamen Unterfangen mit Aerobiologen und Allergologen zu untersuchen, ob die relativ neue Ansässigkeit des Käfers in den entsprechenden Regionen bereits Auswirkungen auf die Pollenbelastung in der Luft, sowie auf die Meldungen bezüglich Ambrosia-Allergien und den Verkauf von Antiallergika zeigt. Ersten Daten von Messstationen im Tessin und in der Lombardei vom letzten Sommer und Herbst zufolge, scheint der Pollengehalt in der Luft bereits zurückgegangen zu sein, so Heinz Müller-Schärer.
Vereint zum Ziel
Die Ambrosia ist eine sich in Europa rasch ausbreitende Pflanze, die nicht nur die menschliche Gesundheit stark beeinträchtigt, sondern auch eine der wichtigsten Unkrautarten in verschieden Kulturen darstellt (u.a. in Mais, Zuckerrüben, Sonnenblumen). Nur mit vereinten Kräften kann es vielleicht gelingen, dem Schädling den Garaus zu machen. Vor diesem Hintergrund hat die EU-COST-Aktion SMARTER eine iPhone App entwickelt, die es sowohl Fachpersonen wie auch Laien ermöglicht, Ambrosiapflanzen zu identifizieren und ihr Vorkommen zu melden. Neue Fundstellen können so lokalisiert und überwacht werden. Die App SMARTER Ambrosia Reporter wird ab Ende Februar für iPhone in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch) gratis erhältlich sein.
Die COST-Aktion mit dem Namen SMARTER (Sustainable management of Ambrosia artemisiifolia in Europe) wurde 2013 von Prof. Heinz Müller-Schärer von der Universität Freiburg und Dr. Urs Schaffner vom CABI (Centre for Agricultural Bioscience International) in Delémont initiiert. Das Projekt konzentriert sich auf die Bekämpfung der Ambrosia mittels biologischer Waffen und die Förderung einer konkurrenzstarken Vegetation, hat aber zum übergeordneten Ziel, in der Bekämpfung invasiver Pflanzen Modell-Charakter zu erlangen und künftigen Bekämpfungskampagnen gegen gebietsfremde Schadorganismen die nötige transnationale und interdisziplinäre Basis zu bieten. SMARTER läuft über eine Dauer von vier Jahren, vereint zur Zeit gegen 200 teilnehmende Mitglieder aus über 30 Ländern und wird von Heinz Müller-Schärer und Suzanne Lommen geleitet und koordiniert.
Link zur Studie:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/wre.12072/abstract
COST-Aktion SMARTER:
www.ragweed.eu
http://www.cost.eu/domains_actions/fa/Actions/FA1203
Informationen zu COST:
www.sbfi.admin.ch/themen/01370/01670/01672/
Kontakt: Prof. Heinz Müller-Schärer, Departement für Biologie, Bereich Ökologie und Evolution, 026 300 88 35, 079 787 35 71, heinz.mueller@unifr.ch