Fragmentarium30.08.2017

Big Data hilft den Historikern


Unter der Leitung von Professor Christoph Flüeler von der Universität Freiburg haben sich die bedeutendsten Handschriftenbibliotheken Europas und Nordamerikas in den letzten drei Jahren am Aufbau der digitalen Forschungsplattform Fragmentarium beteiligt. Diese Weltneuheit ermöglicht es, wie in einem riesigen Puzzle, Teile von zerstückelten Handschriften wieder zusammenzusetzen.

Pergament von ausgesonderten Manuskripten wurde im Mittelalter meistens nicht entsorgt, sondern wiederverwertet. Dieses wurde zum Beispiel zerschnitten und als Einbandmaterial für die Verstärkung oder Verzierung von neuen Büchern verwendet. Diese Praxis war auch in der Neuzeit bis ins 17. Jahrhundert sehr weit verbreitet. Deshalb finden sich Hunderttausende von Handschriftenfragmenten über die ganze Welt zerstreut, die genauer bestimmt und erforscht werden könnten. Damit erhoffen sich Historiker und Literaturwissenschaftlerinnen ein umfassenderes und genaueres Bild des Mittelalters.

Grosse Menge unerforschter Fragmente
Mit Big Data und der zunehmenden Interoperabilität digitaler Bibliotheken kann ein neues Forschungsgebiet bearbeitet werden. Dies ist der Zweck der Webseite. Reproduktionen von mittelalterlichen Fragmenten können auf einer zentralen Plattform aus verschiedenen Servern in verschiedenen Ländern hochgeladen und online katalogisiert, wissenschaftlich beschrieben, transkribiert und zusammengesetzt werden.

«Es ist durchaus möglich, dass wir so in den nächsten Jahren einige sensationelle Funde machen werden», sagt Projektleiter Professor Christoph Flüeler von der Universität Freiburg. «Wichtiger ist es jedoch, unser fragmentarisches Wissen über das Mittelalter durch die grosse Menge unerforschter Fragmente zu vergrössern.»

Namhafte Partnerbibliotheken
Am internationalen Projekt beteiligen sich u.a. die Bibliothèque nationale de France, die Vatikanische Apostolische Bibliothek, die Bayerische Staatsbibliothek, die Bodleian Library in Oxford, die Universitätsbibliothek Leipzig, die British Library oder die Österreichische Nationalbibliothek, aber auch die amerikanischen Universitäten Harvard, Stanford und Yale. Geleitet wird das Projekt von einem Forscherteam an der Universität Freiburg, das seit Jahren führend ist im Bereich der digitalen Handschriftenforschung und mit e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz schon eine der innovativsten digitalen Bibliotheken geschaffen hat.

Internationale Tagung in St. Gallen
Neuartig an Fragmentarium ist in erster Linie die Form der Zusammenarbeit. Zurzeit arbeiten zwölf verschiedene Forschergruppen rund um den Globus und einige Doktoranden digital vernetzt an besonders aufschlussreichen Fallbeispielen. Nächste Woche treffen sich Forschende und leitende Bibliothekare an der Stiftsbibliothek St. Gallen. Im Anschluss an die internationale Tagung wird am 1. September 2017 die Weltneuheit feierlich eröffnet.