Adolphe Merkle Institut29.04.2019
Frühwarnung durch Polymere
Forschende des zur Universität Freiburg gehörenden Adolphe Merkle Instituts (AMI) und der japanischen Universität Hokkaido haben ein Verfahren entwickelt, mit dem Eigenschaften von spannungsanzeigenden Molekülen massgeschneidert werden können. In Polymere eingebaut, können diese Moleküle Schäden und übermässige mechanische Belastungen optisch signalisieren.
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit am Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Bioinspirierte Materialien erforschen Professor Christoph Weder, Leiter der Forschungsgruppe Polymerchemie und Materialien, und sein Team Polymere, die unter mechanischer Belastung ihre Farb- oder Fluoreszenzeigenschaften verändern. Der übliche Ansatz, um diese Funktion zu erreichen, basiert auf Sensormolekülen mit schwachen chemischen Bindungen, die aufbrechen, wenn die angewendete Kraft ein bestimmtes Mass überschreitet. Dieser Effekt kann Farbänderungen oder sonstige vordefinierte Reaktionen hervorrufen. Ein wesentlicher Schwachpunkt dieses Ansatzes besteht jedoch darin, dass die schwachen Bindungen auch unter der Einwirkung von Licht oder Hitze aufbrechen können. Dies schränkt den praktischen Nutzen von spannungsanzeigenden Polymeren ein. Zudem ist der Effekt oft irreversibel.
Die Fluoreszenz eines Moleküls beliebig verändern
Vor diesem Hintergrund entwickelten Weder und Dr. Yoshimitsu Sagara – ein japanischer Forscher, der zwei Jahre lang in Weders Forschungsgruppe am AMI war, bevor er eine Stelle als Assistenzprofessor an der Universität Hokkaido antrat – ein neuartiges Sensormolekül, das nur durch mechanische Kraft aktiviert werden kann. Anders als bei vorherigen kraftübertragenden Molekülen erfolgt hier kein Aufbruch einer chemischen Bindung. Stattdessen bestehen die neuen Sensormoleküle aus zwei Teilen, die mechanisch miteinander verbunden sind. Diese Verbindung verhindert, dass die beiden Teile getrennt werden, lässt es aber zu, dass sie zusammengeschoben oder auseinandergezogen werden. Ein derartiges molekulares Schieben und Ziehen führt dazu, dass die Fluoreszenz des Moleküls aus- oder eingeschaltet wird.
In einer neuen Publikation in der Open-Access-Zeitschrift ACS Central Science beschreiben Weder, Sagara und ihre Mitarbeitenden das neue Konzept als robust und vielseitig einsetzbar. «Mit diesem Ansatz können die Eigenschaften solcher Sensormoleküle gezielt abgestimmt werden, weil ihr Verhalten ziemlich vorhersehbar ist», erläutert Weder. «Um dies zu demonstrieren, haben wir Materialien gewählt, die eine weisse Fluoreszenz aufweisen, wenn sie gedehnt werden», ergänzt Sagara. «Eine mechanoresponsive weisse Fluoreszenz ist grundsätzlich nur schwer zu erzielen. Sie erfordert die Kombination von drei Sensormolekülen mit vordefinierten Emissionsfarben: Blau, Grün und Rot (oder Orange). Zusätzlich müssen die Sensormoleküle auch eine ähnliche Reaktion auf mechanische Belastung zeigen, damit ein Ein- und Ausschalten erzielt wird, wenn sie miteinander vermischt werden.»
Wie beabsichtigt, fluoreszieren Polymere mit den neuen Mustern ohne mechanische Kraft nicht, leuchten aber bei Dehnung hell auf, und zwar in Rot, Grün oder Blau, wenn nur eine Art von Sensormolekülen verwendet wird, und in Weiss, wenn diese kombiniert werden. Weil keine chemischen Bindungen aufgebrochen werden, ist der Prozess zudem komplett reversibel. Ein elastisches Polymer in welches die neuen Sensormoleküle integriert wurden zweigte daher weisse Fluoreszenz, wenn das Material gedehnt wurde, und leuchtete nicht mehr, wenn die Kraft beseitigt worden war und sich das Material wieder zusammengezogen hatte. Zudem zeigte sich, dass die Fluoreszenzintensität bzw. Helligkeit mit dem Ausmass der Verformung korreliert.
Nützliche optische Signale für den Alltag
Zu den möglichen Anwendungen solcher Materialien zählen eingebaute Überwachungseinrichtungen, die vor dem Ausfall eines Bauteils optische Warnsignale aussenden oder es Ingenieuren ermöglichen, Spannungen bei belasteten Bauteilen abzubilden und infolgedessen die Konstruktion zu verbessern. Die Sensormoleküle dürften sich ausserdem bei der grundlegenden Untersuchung auf molekularer Ebene von Mechanismen der Spannungsübertragung in Kunststoffen und biologischen Systemen als nützlich erweisen.
Das schweizerisch-japanische Team arbeitet derzeit daran, das Konzept weiter zu vereinfachen, um eine Ausweitung auf Materialien zu ermöglichen, die nicht ihre Fluoreszenz, sondern ihre Farbe verändern. In diesem Fall könnte eine Kraft-induzierte Farbänderung ohne Hilfsmittel untersucht werden, was praktische Anwendungen vereinfachen würde.
Diese Forschungsarbeit wurde von der Japan Science and Technology Agency (JST) und vom Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Bioinspirierte Materialien gefördert.