07.06.2011

Universität Freiburg lässt ägyptisches
Amulett sprechen


Was bietet Schutz in einer Welt, in der Krankheit und Unglück den Dämonen zugeschrieben werden? Während Jahrtausenden verwendete man in Ägypten dazu Zauberformeln auf Amuletten. Das BIBEL+ORIENT Museum der Universität Freiburg verfügt über ein ganz besonderes Exemplar aus dem 7. bis 8. Jahrhundert. Dr. Gregor Emmenegger, Lehr- und Forschungsrat am Departement für Patristik und Kirchengeschichte, hat die darin enthaltenen Formeln entschlüsselt.

Wer sich im spätantiken Ägypten von Krankheit, Unglück oder Dämonen konfrontiert sah oder deren Bedrohung im Nacken spürte, wandte sich, nicht zuletzt mangels anderer Möglichkeiten, an einen Mönch oder einen Zauberer, der verschiedene Schutzformeln kannte und nach Wunsch aufschrieb. Das beschriebene Stück Papyrus oder Pergament wurde in eine Kapsel gesteckt und als Anhänger getragen oder auch im Türsturz versteckt.

Eine gewisse Anzahl solcher Amulette hat den Weg bis zu uns gefunden, die meisten davon jedoch in schlechtem Zustand. Ein erstaunlich gut erhaltenes Amulett befindet sich nun im BIBEL+ORIENT Museum der Universität Freiburg; es war Teil eines Sammelsuriums, das dem Museum durch einen Zürcher Sammler in einem Schuhkarton vermacht wurde. Die Entzifferung der Schutzformeln des Amuletts brachte Erstaunliches zu Tage.

Breit abgestützte Schutzformeln

Das dem Museum vermachte Amulett ist ein eher grosses Exemplar und misst rund 30 x 2,7 cm. Es besteht aus Pergament, das aus Ziegen- oder Gazellenleder gefertigt wurde und enthält einen Text in Koptisch, einer späten Form der alten ägyptischen Sprache, die aber in einer aus dem griechischen Alphabet hergeleiteten Schrift festgehalten wird. Eine Besonderheit des Amuletts ist die Komplexität von dessen Inhalt: Gewöhnlich enthält ein Amulett zwischen einer und drei Schutzformeln, dieses Exemplar jedoch besteht aus acht aneinandergereihten Formeln mit ganz unterschiedlicher Herkunft, ohne das zwischen den Formeln eine Verbindung oder auch nur ein Übergang geschaffen wurde; als ob der Träger des Amuletts durch die Anhäufung an Schutzformeln deren Macht verstärken wollte. Die erste dieser apotropäischen Formeln ist ein Auszug des legendären Briefes von Jesus Christus an Abgar, den König von Edessa in Mesopotamien. Christus sicherte dem König seinen Schutz und Segen über die Stadt zu; dieselben Wünsche sollten also dem Träger des Amuletts zuteil werden. Die zweite Schutzformel des aussergewöhnlichen Amuletts entstammt der Bibel: Jeweils der erste und der letzte Vers der Evangelien wurden aneinandergereiht und bilden ein Konzentrat zur Verteidigung gegen Dämonen.

These zu Markus-Evangelium bestätigt

Die Formel enthält eine interessante Besonderheit: Der dem Markus-Evangelium entnommene Abschnitt bestätigt nämlich die These, nach welcher dieses Evangelium ursprünglich vor der Auferstehung Jesu zu Ende ging und der heutige Schluss erst später angefügt wurde. Es folgen Schutzformeln altägyptischen, griechisch-römischen oder gnostischen Ursprungs, wie beispielsweise der Inschrift, die auf der Statue der Göttin Artemis in Ephesos zu finden war, einem der sieben Weltwunder. Die gewöhnlich für Schadenszauber verwendete Formel wurde im Amulett als Schutz vor Dämomen gebraucht. Es folgt eine Liste an heiligen Kriegern, darunter die Sieben Schläfer von Ephesus, einer sowohl unter Christen wie Muslimen bekannten Legende, deren Erwähnung die zeitliche Einordnung des Amuletts im 7. oder 8. Jahrhundert ermöglicht. Vor- und nicht-christliche Amulette schlossen oft mit einer Beschwörungsformel, in welcher der Gläubige seinem Gott damit droht, zu einem anderen Gott zu wechseln, sollte ihm nicht „hopp, schnell“ geholfen werden. Der erste Teil der Drohung ist in christlicher Zeit weggefallen, doch zeugt die letzte Formel auf dem Pergament noch davon: „Hopp, schnell, hopp schnell!“

Einblick in Religiosität des einfachen Volkes

Gemeinsam ist den im Amulett verwendeten Texten deren vielfache Verwendung und Beliebtheit. «Das Objekt ist äusserst interessant, zumal es ohne Erklärung zu uns gekommen ist. Das Amulett befindet sich in einem hervorragenden Zustand, der es uns ermöglichte, eine genaue Analyse vorzunehmen und neue Erkenntnisse zu gewinnen, wie beispielsweise zum Brief an Abgar, zur Siebenschläferlegende oder zum frühen Ende des Markus-Evangeliums. Faszinierend am Amulett ist der facettenreiche Einblick in die religiösen Vorstellungen des einfachen Volkes. Griechische Zauberei, ägyptische Götter und christliche Bibeltexte stehen Seite an Seite und sollten vereint vor Krankheit und Bösem bewahren“, erklärt Gregor Emmenegger seine Freude über das Amulett.


Kontakt: Gregor Emmenegger, Departement für Patristik und Kirchengeschichte, 026 300 74 01, gregor.emmenegger@unifr.ch