Alzheimer-KrankheitPublikationsdatum 22.10.2021
Schlafen gegen die Vergesslichkeit
Der Schlaf und ein Medikament gegen Epilepsie vermindern die Erregbarkeit von Nervenzellen. Vielleicht lassen sich dadurch Gedächtnisdefizite beheben, die sich bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung einstellen. Das legen Resultate nahe, die Forschende der Universität Freiburg in Versuchen mit Fruchtfliegen erzielt haben.
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache für Demenz bei älteren Menschen. Gemäss den Zahlen der Gesellschaft Alzheimer Schweiz leben aktuell knapp 150’000 Menschen mit Demenz in der Schweiz, aufgrund der demografischen Entwicklung dürften sich die Fälle bis ins Jahr 2050 mehr als verdoppeln. Alzheimer geht mit einer fortschreitenden Abnahme der kognitiven Funktionen sowie einem allmählichen Gedächtnisverlust einher, viele Patient_innen entwickeln dabei auch Schlafstörungen.
Verklumpte Eiweissfragmente
«Die Ursachen und Krankheitsmechanismen sind noch nicht gut verstanden», sagt Simon Sprecher, Professor am Departement für Biologie der Universität Freiburg. Doch verklumpte Eiweissfragmente in den Zellzwischenräumen von Gehirnzellen scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Wenn Fruchtfliegen oder auch Mäuse gentechnisch so verändert werden, dass sie mehr dieser Klumpen bildenden Eiweissfragmente namens Amyloid-Beta produzieren, entwickeln sie Symptome, die einer Alzheimer-Erkrankung gleichen.
Gut gelernt, aber schnell vergessen
«Uns war bekannt, dass Fruchtfliegen zusehends Lernprobleme zeigen, wenn sie in allen Nervenzellen Amyloid-Beta bilden», ergänzt Sprecher. «Doch als wir die Produktion der Eiweissfragmente auf die Gedächtniszentren im Gehirn der Fruchtfliegen beschränkten, stellten wir erstaunt fest, dass sie genauso gut lernen wie die Kontrollfliegen.» Lernen bedeutet, dass Fruchtfliegen einen bestimmten Duft mit einer Bestrafung (z.B. Stromstössen) und einen anderen mit einer Belohnung (z.B. Zucker) verbinden.
Die gentechnisch veränderten Fruchtfliegen mieden den mit einer Bestrafung verbundenen Geruch genau so oft wie ihre genetisch unveränderten Tieren. Allerdings erinnerten sie sich bereits ab zwei Stunden später schlechter an das Gelernte. In anderen Worten: Die Fruchtfliegen mit Amyloid-Beta vergassen schneller.
Schlaf kann Gedächtnisverfall verhindern
In weiteren Versuchen behandelten die Wissenschaftler_innen die Fruchtfliegen mit einem Medikament gegen Epilepsie oder auch mit einem Schlafmittel. Dadurch konnten sie die Gedächtnisdefizite der genetisch veränderten Fruchtfliegen beheben. «Schlafen spielt eine wichtige Rolle bei der Verhinderung des durch Amyloid-Beta verursachten Gedächtnisverfalls», schreibt das Team um Sprecher in der Fachzeitschrift «PLOS Biology».
Sowohl das Medikament gegen Epilepsie wie auch der Schlaf schwächten die Erregbarkeit von Nervenzellen ab. Genau diese Nervenzellen sind bei Patient_innen während der Vorstufe der Alzheimer-Erkrankung übermässig erregbar. Deshalb vermutet Sprecher, dass die Vergesslichkeit mit der Aktivität der Gehirnzellen zusammenhängt. Tatsächlich liess sich bei Versuchen mit gentechnisch veränderten Fruchtfliegen mit reduzierter Gehirnzellenaktivität nachweisen, dass sich deren Gedächtnisleistungen verbessern liessen. «Vergessen ist ein aktiver und streng regulierter biologischer Vorgang», halten die Forschenden in ihrem Fachbeitrag fest.
Modell einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung
Dass die gentechnisch veränderten Fruchtfliegen nur Gedächtnisprobleme, aber noch keine Lernschwierigkeiten aufweisen, führt das Team um Sprecher auf den Umstand zurück, dass die Verbreitung der Amyloid-Beta-Klumpen auf die Riechzentren beschränkt ist. Damit haben die Forschenden nun ein Modell einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung zur Hand. «Ein besseres Verständnis dieser frühen Stadien ist von besonderem Interesse», sagt Sprecher. «Denn dadurch lassen sich hoffentlich Erkenntnisse ableiten, wie sich der Krankheitsverlauf verlangsamen oder im Idealfall sogar aufhalten lässt».
Literatur:
Kaldun JC, Lone SR, Humbert Camps AM, Fritsch C, Widmer YF, Stein JV, and Sprecher SG. (2021) Dopamine, sleep, and neuronal excitability modulate amyloid-β–mediated forgetting in Drosophila. PLoS Biol 19(10): e3001412. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001412