KlimaPublikationsdatum 19.02.2025

Deutlicher Anstieg des Gletscherschwunds


Eine neue Studie, an der ein Wissenschaftler der Universität Freiburg beteiligt war, zeigt alarmierende Zahlen: Zwischen 2000 und 2023 haben die Gletscher der Erde (ohne Berücksichtigung der Polkappen) rund 5 % ihres Volumens eingebüsst. Die regionalen Unterschiede sind beträchtlich – während die Gletscher Mitteleuropas bis zu 39 % ihrer Masse verloren haben, beträgt der Rückgang in Grönland und der Antarktis lediglich 2 %. Besonders auffällig ist die Beschleunigung des Massenverlusts: Von 2012 bis 2023 stieg die Verlustquote um 36 % im Vergleich zur Periode 2000–2011.

Gletscher sind eindrucksvolle Indikatoren des menschengemachten Klimawandels. Ihr rasant fortschreitendes Abschmelzen birgt erhebliche Risiken für die Gesellschaft, da es Naturgefahren verstärkt und die Süsswasserressourcen bedroht. Eine kontinuierliche Überwachung dieser Entwicklungen ermöglicht eine bessere Einschätzung der Risiken und das rechtzeitige Ergreifen geeigneter Massnahmen.
Die Überwachung der Gletschermassen gestaltet sich jedoch aus zwei Gründen schwierig: Erstens wurden bisher weniger als 1 % der rund 200’000 Gletscher weltweit in situ (direkt vor Ort) vermessen – vor allem aufgrund ihrer Vielzahl und oft schwierigen Erreichbarkeit. Zweitens haben Forschende auf der ganzen Welt unterschiedliche Berechnungsmethoden verwendet, was zu schwer vergleichbaren Daten führte.
Um dieses Problem zu lösen, wurde das internationale Forschungsprojekt GlaMBIE (Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise) ins Leben gerufen. «Es handelt sich um eine gemeinsame Anstrengung, um die Ergebnisse jahrelanger Beobachtungen auf lokaler Ebene zu vereinheitlichen», erklärt Enrico Mattea, Forscher am Fachbereich Geowissenschaften der Universität Freiburg. «Wir haben die Stärken und Schwächen jeder einzelnen Methode berücksichtigt und die notwendigen Anpassungen vorgenommen, um die Daten vergleichbar zu machen. Dieses Projekt wird es uns ermöglichen, den Massenverlust der Gletscher auf globaler Ebene zuverlässiger zu bewerten.»

Massiver Gletscherschwund
Die standardisierte Berechnungsmethode bestätigt weitgehend die Ergebnisse der jüngsten IPCC-Berichte. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:
Zwischen 2000 und 2023 haben die Gletscher weltweit etwa 6542 Gigatonnen Eis verloren, was den Meeresspiegel um 18 mm ansteigen liess. Besonders alarmierend ist, dass sich die Rate des Massenverlusts zwischen den Zeiträumen 2000–2011 und 2012–2023 um 36 % erhöht hat. «Es überrascht nicht, dass das Abschmelzen in den letzten fünf Jahren deutlich beschleunigt wurde – mit einem Rekordverlust von 548 Gigatonnen im Jahr 2023», erklärt Enrico Mattea.

Starke regionale Schwankungen
Der Massenverlust betrifft alle von den Wissenschaftler_innen untersuchten Regionen, variiert jedoch erheblich von Ort zu Ort.
Am stärksten betroffen sind Alaska (-22 %), die kanadische Arktis (-20 %), die Randgletscher Grönlands (-13 %) und die südlichen Anden (-10 %). Besonders gravierend sind die Verluste in Regionen mit einer vergleichsweise kleinen Gletscherfläche (≤15.000 km²), darunter Mitteleuropa (-39 %), der Kaukasus (-35 %) und Neuseeland (-29 %).

In Regionen mit einer grossen Eisfläche (>15.000 km²) beträgt der Verlust zwischen 2 % und 12 %. «Unsere Berechnungen zeigen, dass der Massenverlust auf Gletschern insgesamt bis zu doppelt so hoch ist wie auf den Eiskappen Grönlands und der Antarktis», erklärt Enrico Mattea.

Sonderfälle
Die Wissenschaftler_innen stellen fest, dass der Massenverlust in Island und Skandinavien zurückgegangen ist – ein Phänomen, das sie auf eine regionale Abkühlung und erhöhte Winterniederschläge zurückführen. «Allerdings», relativiert Enrico Mattea, «haben wir auch eine Beschleunigung des Massenverlusts in Regionen festgestellt, in denen die Gletscher noch vor einigen Jahren vorrückten – ein Phänomen, das als Karakorum-Kunlun-Anomalie bekannt war. Diese glaziologische Kuriosität scheint nun zu verschwinden.»
Mattea, Wissenschaftler an der Universität Freiburg, konnte diese Entwicklung selbst beobachten, da er die Region mehrfach bereist hat: «Das aussergewöhnlich starke Schmelzen der letzten fünf Jahre hat mich besonders beeindruckt – wir haben das fast vollständige Verschwinden der Schneedecke auf den Gletschern festgestellt. Das ist ein echter Regimewechsel, eine historische Beschleunigung des Gletscherrückzugs auf der Erde.»

Ausblick
Da Gletscher trägheitsbedingt erst mit Verzögerung auf Klimaveränderungen reagieren, erwarten Wissenschaftler_innen, dass der Massenverlust in den kommenden Jahrzehnten anhalten wird. «Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden sich die Auswirkungen der Emissionsreduktionen bemerkbar machen – vorausgesetzt, die Gesellschaft schafft es, die Emissionen nachhaltig zu senken», schliesst Enrico Mattea.

Das GlaMBIE-Projekt
Das GlaMBIE-Projekt stützt sich auf die Arbeiten von 35 Forschungsteams, die seit den frühen 2000er Jahren durchgeführt wurden. Die Studie umfasst 19 Regionen weltweit und basiert auf Daten aus verschiedenen Beobachtungsmethoden wie glaziologischen Messungen vor Ort, Satellitenbildern und weiteren Fernerkundungsverfahren.
Insgesamt kombinierten die Autor_innen 233 Schätzungen der Gletschermassenänderung, um eine Zeitreihe von 2000 bis 2023 zu erstellen. Diese Ergebnisse dienen als Grundlage für zukünftige Wirkungs- und Modellstudien.
Enrico Mattea trug insbesondere zu den Schätzungen der Massenveränderungen isländischer Gletscher bei, indem er optische Bilddaten des französischen Satelliten SPOT 5 nutzte.
Die Studie mit dem Titel Community estimate of global glacier mass changes from 2000 to 2023 wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. https://doi.org/10.1038/s41586-024-08545-z