AlzheimerPublikationsdatum 25.04.2023
Virale Infekte und Alzheimer: ein neues Puzzleteil
Auch frühe virale Infekte könnten negative Auswirkungen auf das Nervensystem haben. Forschende der Universität Freiburg und des Swiss Integrative Center for Human Health konnten bei Mäusen einen direkten Zusammenhang zwischen Entzündungen und der viel späteren Entwicklung von Alzheimer ähnlichen Veränderungen im Gehirn nachweisen.
Es ist eines der grossen Rätsel der Medizin: Wodurch wird Alzheimer verursacht? In den letzten Jahren haben sich die Hinweise verdichtet, dass chronische Entzündungen, am ehesten durch Viren, eine entscheidende Rolle bei der Krankheitsentwicklung spielen. Jüngste Erkenntnisse der Gruppe von Lavinia Alberi Auber des Departements für Medizin der Universität Freiburg stärken die Indizienlage nun. Den Forschenden ist es gelungen aufzuzeigen, wie eine chronische Entzündung bei Mäusen schon in der Mitte des Lebens negative neurologische Veränderungen nach sich zieht. Diese Veränderungen erinnern insgesamt stark an das Krankheitsbild wie man es von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten kennt. So zeigten die Gehirne der Mäuse mit der Zeit spezifische Protein-Ablagerungen in Form von Fasern, sogenannten Tau-Fibrillen. Dazu kamen problematische genetische Veränderungen und Beeinträchtigungen der Mikroglia-Zellen, die eine wichtige Rolle im Immunsystem des Zentralnervensystems spielen.
Entzündungen mit späten Folgen
«Wir konnten erstmals zeigen, dass chronische Entzündungen, die aufgrund eines viralen Erregers früh im Leben auftreten, einen entscheidenden Einfluss auf Veränderungen im Gehirn im Alter haben», sagt die Gruppenleiterin Lavinia Alberi Auber. Bisher hatte man vor allem Infektionen in späteren Lebensphasen im Blick. Um den Zusammenhang zu studieren, haben die Forschenden ein neues Mausmodell entwickelt, das mit einem speziellen Polymer namens PolyI:C arbeitet. Das Molekül fungiert dabei als eine Art Pseudo-Virus, auf das der Organismus sehr ähnlich reagiert wie auf eine virale Infektion. Die Mäuse bekamen PolyI:C dabei zweimal gespritzt, einmal vor der Geburt während der Schwangerschaft der Mutter und das zweite Mal im Erwachsenalter. Danach studierten die Forschenden die Auswirkungen der Entzündungsreaktion auf das Gehirn während der gesamten Lebensspanne der Mäuse. Nach den Beobachtungen gehen sie davon aus, dass auch beim Menschen langandauernde Entzündungsreaktionen – auch wenn diese auf «kleiner Flamme köcheln» – ursächlich an der Entstehung von Alzheimer beteiligt sind. Versteht man wichtige auslösende Faktoren besser, tun sich damit natürlich auch neue Wege der Behandlung beziehungsweise Prävention auf. Alberi Auber betont aber auch, dass man Alzheimer nur verstehen kann, wenn man es als eine multifaktoriell verursachte und entsprechend komplexe Krankheit ansieht.
Am Start: Das Pathobiom
Die Erkenntnisse sind nicht nur von Bedeutung für die Alzheimer-Forschung, Alberi Auber und ihr Team hoffen, dass ihr Mausmodell noch viel breiter in der Forschung zum Einsatz kommen kann. Denn Alzheimer ist bei weitem nicht die einzige neurodegenerative Erkrankung, bei der infektiöse Ursachen diskutiert werden. Einen kausalen Zusammenhang vermutet man beispielsweise auch bei Demenz, Multipler Sklerose (MS), Parkinson oder sogar bei Schizophrenie. Und nicht zuletzt könnte das Modell helfen, die noch wenig verstandenen, langanhaltenden Auswirkungen von Covid-19 auf das Nervensystem besser zu verstehen. In diesem Sinne wurde von Lavinia Alberi Auber mit Kolleginnen und Kollegen eine globale Alzheimer-Pathobiom-Initiative ins Leben gerufen, um solche Zusammenhänge zu entschlüsseln. Könnte also gut sein, dass wir uns nach dem Mikrobiom bald mit einem weiteren medizinischen Konzept vertraut machen müssen: dem Pathobiom als Zusammenspiel verschiedener Pathogene, seien es nun Bakterien, Viren oder Pilze.
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